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Dass ich einmal freiwillig und ohne mich im voraus tagelang selbst überreden zu müssen joggen zu gehen, hätte ich nie gedacht.
Dennoch habe ich es getan.

Zwei Wochen lang saß ich zuhause oder bin irgendwo hingefahren um mir Bastelsachen zu kaufen. Ja. Bastelsachen. Schließlich wollte ich mein Tagebuch etwas dekorieren.
Ich kam mir erst wie ein kleines Kind vor, was Tagebuch schreibt, aber das erledigte sich schnell. Denn als ich auf YouTube schaute, was andere mit ihren Tagebüchern machten, sah das aber mal sowas von nicht nach Kinderkacke aus.

Ich schreibe da ja nicht rein, wer mein Schwarm ist und kicher dabei.
Nein. Vielmehr geht es um meine Gefühle in meinem jetzigen Lebenszustand. Und von denen hat Jacob überraschenderweise extrem wenig eingenommen, im Vergleich zu letztem Jahr. Um es mal geradeaus zu sagen: So gut wie nichts.

Dafür dachte ich ganz oft über mich selbst nach, und was mir Freude bereitet. Und da ich oft zuhause rumhang und nichts zu tun hatte wurde mir schnell langweilig und mein ehemaliger Sportlerkörper (der jetzt btw. nicht mehr GANZ so sportlich war, wie ich merkte) schrie nach Training. Oder eher Bewegung. Und nachdem mein Piercing einigermaßen stable war und nicht mehr bei jeder Zuckung wehtat, konnte ich auch endlich wieder Sport machen.

So fing ich langsam an mit zwei Kilometer im moderatem Tempo.
Das Ergebnis war, dass meine viel zu kurzen Beine bereits nach, laut meinem Handy, den ersten 870m den Geist aufgegeben haben und ich schwer schnaufend im gefühlten Schneckentempo weitermachen musste.
Aber es tat mir gut, bis zu dem Zeitpunkt...

"Wow, alles klar bei dir?", fragte ich eine besorgte, männliche Gestalt.
Ich bin gerade voll in ihn reingerannt oder er in mich. RIP.
"Ne passt, aber danke. Also ja, also...", ich musste laut seufzen, denn ich konnte seine Verwirrung spüren, "ach egal."
Aber irgendwo her kannte ich die Stimme.
Verdutzt und etwas außer Atem, schaute ich mit zusammengekniffenen Augen zu ihm hoch, während der Schweiß an meinem Gesicht herunterrannte und die Sonne meine viel zu kleinen Augen blendete.

"Neece?", fragte er verwundert.

"Toastbrot?", antwortete ich darauf.

"Was?"
"Egal. Kenn ich dich irgendwo her? Warst du ne Woche auf Malle oder so? Sorry aber du scheinst mich ja zu kennen, und du kommst mir auch bekannt vor. Also ist das gerade ein Versuch mit dir so zu Reden wie mit nem Kumpel, in der Hoffnung, dass mir wieder einfällt, mit welchem Typen ich mal was zu tun hatte, der Selbstbräuner benutzt."

"Halt die Fresse, ich bins Tim."

"TIM DU GEILE SAAAAUUUUUU", schoss es freudig aus mir raus, obwohl ich immernoch nicht sein Gesicht erkennen konnte.

"Und ich benutz kein Selbstbräuner?", kam von ihm verdutzt.

"Ja sorry hab keine Brille auf.", antwortete ich gelassen.

"Was machst du Mädel?!", fragte er langsam und etwas verwirrt nach.
Übel nehmen kann ich es ihm nicht denn, wie ein Hund kam ich ihm auf drei Zentimeter mit zugekniffenen, angestrengten Augen an ihn rann, um zu versuchen zumindest ein Teil seines Gesichts zu erkennen. Als ich sein verschwitztes Gesicht sah, wie ihm die Augen vor skeptischem Starren fast aus dem Kopf fielen, entspannte ich mich wieder und ging einen Schritt zurück.
"Ja sorry ich bin halt sehbehindert. Und wie läufts so?", antwortete ich deutlich entspannter als zuvor, aber immernoch schwer atmend, jetzt wo ich mir sicher bin, dass ich wirklich mit Tim spreche. "Und du benutzt echt kein Selbstbräuner? Alter warst du auf Malle oder sowas? Du bist ja richtig brutzel-braun. Damn. Lass mal was essen gehen, beziehungsweise, moment." Ich schnaufte einmal kurz für ein paar Minuten durch und stützte mich dabei an die Hauswand neben mir. Eine awkward Sprechpause entstand, in dem Tim mich einfach nur fassungslos anstarrte. Ihm stand das "Bruder muss einfach nur los" ins Gesicht geschrieben.

Als ich fertig war mit atmen war, fing ich an zu erklären:
"Ja tut mir leid alter. Ich bin so übelst eingerostet einfach nur. Hab seit nem halben Jahr kein Sport mehr gemacht, wie man unschwer erkennen kann. Und dann bin ich auf die beste Idee meines Lebens gekommen, doch mal mit JOGGEN anzufangen. Ich weiß garnicht warum, ich hab nicht mal früher gejoggt, als ich noch im Ring war. Jesus christ. Ja sag mal willste jetzt was essen gehen?"

"Du warst mal im Ring?", fing er an zu fragen, doch ich unterbrach ihn direkt.

"Junge kommst du jetzt mit oder nicht? Alter ich bin kurz vor meiner Periode und ich hab grad Fressflashs und wenn ich jetzt nicht gleich was esse raste ich komplett aus ja? Können wir das besprechen während ich mir nen fetten Burger reinstopfe?"

Er nickte einfach nur langsam, und ich fing an loszugehen.
Als wir in meinem Lieblingsburgerlokal angekommen waren und uns endlich was bestellt haben, bzw. Ich mir was bestellt habe, ich hab keine Ahnung was er sich bestellt hat, oder ob er sich überhaupt irgendwas bestellt hat, hatte das Schweigen ein Ende.

"So. Sag mal. Benutzt du Selbstbräuner?", fragte ich ihn gelassen. Zum Glück hatte ich keine Brille an, und so kam mir das auch nicht blöd vor, denn anstatt seines Gesichtsausdrucks sah ich einfach einen unscharfen fleischigen Haufen.

"Bist du schwanger?", kam fast zeitgleich aus dem nichts von ihm.

"Nein?", antworteten wir beide.

"Ich bin adoptiert.", antwortete er, während ich am überlegen war, wie man jemandem das mit der Regel erklärt, der noch nie eine Freundin hatte.

"Aaaaaahhh.... Ich hab schon gedacht. Irgendwie hatte ich deine Eltern ja etwas bleicher in Erinnerung... Und dann wär halt entweder Selbstbräuner oder Assitoaster die Antwort gewesen."

"Alter ich benutz kein Selbstbräuner....", erklärte er genervt. "Meine Eltern sind ursprünglich aus Italien und Marokko. Aber irgendwie hat der Jugendschutz meine Schwester und mich von meinen Eltern weg. Ich hab keine Ahnung warum, ich war da noch viel zu klein.... Hab ich dir das nie erzählt?"

"Erzählt man sowas seinem Tinderdate?", antwortete ich schnippisch, während die Kellnerin, die uns das essen brachte seltsam beäugte, als sie das gehört hatte.

Tim fasste sich einfach nur an die Stirn. "Du bist nicht mein Tinderdate!", sprach er extra laut, damit die Kellnerin es auch hörte, die jetzt kichernd weglief.

"Was mach ich eigentlich hier ey. Ich könnte so viel besseres mit meiner Zeit anstellen, aber stattdessen sitze ich hier mit nem Blindfisch, der mich auf meine Knochen blamiert.", nörgelte er leise, während er sich an die Stirn fasste.

"Ich bin sehbehindert, aber hören kann ich noch.", flüsterte ich ihm zu.

Er ignorierte das gekonnt und fing die 0815 Leier an runterzurattern mit "Was machst du jetzt so, was hast du gemacht, was willst du noch machen?" Und so weiter und so fort...

Neece 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt