Kapitel 24 - Mitten Ins Gesicht
Lillys Sicht
Als ich wieder erwachte, hatte die Abenddämmerung bereits eingesetzt. Blinzelnd setzte ich mich auf und rieb mir über die Augen. Ich war nach den Ereignissen von gestern Abend, sowie heute Morgen wie tot ins Bett gefallen, hatte mich nicht einmal meiner verschmutzten und zerrissenen Kleidung entledigt. Nach einer Wachperiode von über 24 Stunden und vielen körperlichen Verausgabungen auch nicht sonderlich verwunderlich.
Nun gut, zuerst war ich im Sessel eingeschlafen, weil das Bett ja in Stücke gerissen worden war, danach hatte ich mich einfach nur ein paar Meter weiterbewegt, mich auf die neue Matratze gelegt und war wieder eingeschlafen.
Thorin war zwar mit mir zu Bett gegangen, jetzt jedoch war seine Seite leer und kalt. Er musste schon länger wieder auf sein. Seufzend betrachtete ich das weiße Laken, träge, mein Kopf schien wie mein Körper eine Ruhepause zu benötigen. Jeder Muskel schmerzte, vor allem in den Beinen hatte ich den übelsten Muskelkater meines Lebens. Es erinnerte mich ein bisschen an den Anfang unserer Reise und an die Tage, an denen wir so viel hatten rennen müssen, dass alles unterhalb der Gürtellinie taub gewesen war.
Leise vor mich hin jammernd schwang ich die Beine aus dem Bett und humpelte fluchend und schimpfend ins Badezimmer, wo ich einen Trog mit Wasser und einen Stapel Handtücher vorfand.
Dies war eine Sache, an die ich mich wohl niemals würde gewöhnen können. Aufgrund der Tatsache, dass es hier kein fließendes Wasser gab, gab es auch keine Möglichkeit sich täglich zu duschen oder zu baden. Durch Thorin hatte ich zumindest das Privileg mir alle ein oder zwei Wochen den Waschzuber, eine Art hölzerne Badewanne, füllen lassen zu können, doch das war eine absolute Ausnahme. Und dann war das Wasser meistens auch noch eisig kalt, denn es zu erwärmen war neben dem Anschleppen ein weiterer zeit- und energieverschlingender Prozess. Nichts im Vergleich zu meiner himmlischen Tropendusche, die ich noch vor rund zwei Jahren besessen hatte. Hier musste ich mich also mit einer Katzenwäsche abgeben...besser als nichts.
Was man in den ganzen Filmen nie so wirklich sah war, wie schmuddelig hier eigentlich alle herumliefen und auch in diesem Sinne rochen. Ja das Mittelalter duftete nicht nach Rosen, sondern eher nach einer Mischung aus Schweiß, Urin und fauligen Überresten. Ich seufzte, vielleicht sollte ich mich über Thorins Rolle nicht so oft beschweren, immerhin hatten wir nur Dank ihm täglich wenigstens ein bisschen frisches Wasser zum Waschen und genossen so eine gewisse Sauberkeit. Wer nicht zum Adel gehörte musste entweder darauf warten, dass es regnete, täglich den beschwerlichen Weg zum See oder Fluss einschlagen oder sich damit abgeben, dass man eine leichte Duftfahne mit sich zog...nein, ich sollte mich wirklich nicht beschweren.
Zu Beginn tauchte ich meinen kompletten Kopf in den Trog, denn erstens vertrieb das kalte Wasser die Trägheit aus Kopf und Gliedern und zweitens fand ich, dass wenn die Haare frisch aussahen, der gesamte Anblick einer Person aufgewertet wurde. Zumindest redete ich mir dies immer ein. Dennoch erfrischte es, wenn auch in eingeschränktem Maße. Gegen Ende biss ich in den sauren Apfel und unterzog mich der nicht zufriedenstellenden Prozedur. Ich bückte mich nach meiner Kleidung, um sie zum Waschen oder je nach dem in den Müll bringen zu lassen, als ein kleiner Zettel aus meiner Hosentasche fiel.
Verwirrt bückte ich mich noch einmal, um das gefaltete Stück Pergament aufzuheben, bis mir einfiel, dass es von Mia stammte. Durch das ganze Tohuwabohu hatte ich komplett vergessen ihre Nachricht zu lesen.Ich habe die Lösung
~ GVier Worte? War das alles? Ich drehte den Zettel, aber nichts. Verwirrt runzelte ich die Stirn und starrte auf die fein geschwungenen Linien. Eigentlich konnte dieser Fetzen nur von Gandalf stammen, oder? Und das wiederum konnte nur bedeuten, dass er im Rätsel um das Buch und damit auch und unserer Heimat ein Stück weitergekommen war. Aber zu ein paar mehr Worte hätte er sich schon herablassen können, ich meine, wenn er sich schon die Mühe machte uns eine Nachricht zukommen zu lassen, dann war „Ich habe die Lösung" schon ein bisschen frech.
Dennoch, der Enthusiasmus, den ich beim Lesen dieser Nachricht eigentlich hätte verspüren sollen, blieb aus, sollte ich mich nicht eigentlich freuen, feiern und dumm in der Gegend herumhüpfen? Ein Tropfen befeuchtete das Papier. Dann noch einer und noch einer...zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass ich weinte. Leise Tränen, die etwas besiegelten. Für mich würde es keine Rückreise geben.
Ich wusste nicht, was mich hatte die Entscheidung fällen lassen, vielleicht war es einfach die Tatsache, dass es nun eine Möglichkeit gab, die mir die Einsicht gebracht hatte. Wie bei einer Münze, denn erst wenn sie Kopf oder Zahl zeigt, weiß man, was man wirklich will. Vielleicht hatte ich es schon immer gewusst, oder aber ich konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder in einer anderen Welt zu leben, mit den Erinnerungen und Erfahrungen, die ich hier gemacht hatte...und nach allem was passiert war konnte ich auch nicht vergessen. Was es auch war, denn eigentlich scherte es mich nicht, aber die Gewissheit einer Entscheidung nahm eine große Last von meinen Schultern. Ich stotterte meine Liste an Problemen ab, zwar langsam, doch alles was zählt war, dass sie tatsächlich schrumpfte.
Ich schloss die Hand um den kleinen Papierzettel und ließ ihn in den Waschzuber fallen, sah zu, wie sich die Tinte langsam davon löste und sanfte Schlieren im Wasser bildete...und als ich durch die Badezimmertür ging, war ich von einer seltsamen Hochstimmung getrieben.
Ich nahm mir das Handtuch aus den nassen Haaren und während ich begann es neu um meinen Kopf zu wickeln, hörte ich ein Räuspern.
Vor Schreck schrie ich auf, stolperte ein paar Schritte zurück und plumpste über den gepolsterten Fußschemel eines Sessels geradewegs zu Boden.
Ich hörte ein Fluchen und dann wie schwere Schritte auf mich zukamen. In meiner Hast wieder auf die Beine zu kommen, konnte ich aus dem Augenwinkel einen Schemen erkennen, der auf gar keinen Fall Thorin sein konnte. Ich spürte eine Hand, die sich fest um meine Schulter schloss, panisch versucht ich dem Griff zu entgehen, doch als er nur noch fester wurde dachte ich nicht lange nach, drehte mich um und schlug blindlings zu. Es tat ein lautes Knacken und einen Schrei, Blut spritzte, doch ich achtete nicht darauf, rollte mich zur Seite, sprang auf die Beine und hastete zur Kommode, wo ich mir mein Schwert griff und es aus der Scheide zog.
Ich blickte zu einem blonden Zwerg, der sich die Hände vor das Gesicht drückte und versuchte eine Blutung zu stoppen, die an einen Sturzbach erinnerte. Wo zur Hölle hatte ich ihn bitte getroffen? Der Kerl tat mir ja fast schon leid. Er versuchte irgendetwas zu sagen, doch alles was ich durch den Mund voll Blut, seinen stöhnenden Schmerzensschreien und ein merkwürdiges Pfeifen seiner Nase verstehen konnte, waren Flüche und Verwünschungen.
Irgendetwas stimmte nicht. Er war zwar bewaffnet, doch sein Schwert steckte noch in seinem Gürtel, auch meinte ich mich daran zu schwach erinnern, dass jemand „Vorsicht" gerufen hatte, bevor ich gestürzt war. Im Raum war ansonsten niemand, doch ein Attentäter, würde mich wohl kaum warnen, bevor er mich abstach, oder sich räuspern...oder?
Der Zwerg versuchte einen Schritt auf mich zuzumachen, doch als ich die Klinge angriffsbereit ein Stückchen anhob, blieb er stehen und blutetet still vor sich hin, während ich noch immer leicht benommen zu ihm hinüber starrte.
Hinter mir erklangen Stimmen vom Flur her und dann wurde auch schon die Tür aufgerissen. Ich schnellte herum und erhob wieder mein Schwert. Ich erwartete einen weiteren Angreifer, doch nicht erwartet hatte ich einen Thorin, der wie vom Blitz getroffenen erstarrt dastand und einen Balin, der sich gerade irgendetwas Schweres auf den Fuß hatte fallen lassen, sodass dem alten Zwerg nun das Wasser in die Augen schoss.
Beide starrten mich an und schienen nicht in der Lage ihren Schock in Worte zu fassen, bis Thorin schließlich aufgebracht herausbrachte: „Was in Durins Namen ist denn hier passiert?"
„Der da ist hier eingedrungen und hat mich angegriffen" Ich deutete auf den Zwerg, der sich noch immer die Hände auf sein Gesicht – vermutlich auf die Nase – drückte, fluchte und mir zornige Blicke durch mittlerweile auch zugeschwollene Augen zuwarf.
Thorin rauschte an mir vorbei auf den Zwerg zu, doch zu meiner Überraschung ließ er ihn links liegen und nahm sich eine der Tagesdecken vom Bett, die er dann mir hinhielt.
Verwirrt sah ich ihn an. „Aber er-"
„Lilly du bist unbekleidet", unterbrach Thorin energisch meine Protestlaute.
Nun war ich es, die wie erstarrt dastand, als ich realisierte, dass er Recht hatte. Langsam sah ich an mir hinab...splitterfasernackt...vor Schreck ließ ich das Schwert fallen. „Verfluchte Scheiße" Mit vor Scham brennenden Wangen riss ich ihm die Decke aus den Händen und bedeckte meine Blöße. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Als mein Blick zu Balin huschte, sah ich, dass der alte Zwerg rote Flecken im Gesicht hatte und irgendetwas an der Decke höchst interessiert musterte...das machte die Sache nicht gerade besser.
Thorin begegnete meinem Blick und zog fragend eine Augenbraue nach oben.
„Warum hast du denn nichts gesagt, als du in der Tür standest?", fauchte ich ihn erbost an.
„Es tut mir leid. Denkst du ich finde es toll, dass meine Gefährtin durch die Gegend rennt und sich anderen Männern in ihrer Freizügigkeit präsentiert?"
„Durch die Gegend? Ich war hier im Zimmer", sagte ich mehr als nur missgelaunt. „Und er hat mich angegriffen, ich verstehe nicht warum du-", ich brach ab, als ich das belustigte Blitzen seiner Augen vernahm.
„Es war ein sehr überraschender Anblick", sagte Thorin und reichte nun dem Zwerg ein Taschentuch, dass dieser sich sofort auf die Nase drückte. „Aber kannst du mir verraten, warum du deine Leibwache verprügelt hast?"
„Leibwache?", fragte ich verwirrt und ließ das Schwert, dass ich gerade vom Boden gehoben hatte, wieder fallen. „Oh"
Nun ergab es freilich einen Sinn, warum mich der Zwerg nicht angegriffen hatte, selbst, nachdem ich ihn geschlagen hatte. Und als ich stolperte, hatte er mir wahrscheinlich nur aufhelfen wollen.
Mir kroch vor Scham die Röte wieder in die Wangen, als ich sah, wie der Zwerg den Kopf in den Nacken legte, in einem leidlichen Versuch das Blut zu stoppen, dass noch immer wie kleine Sturzbäche aus seiner Nase rann und von Balin begleitet aus dem Zimmer ging. Der alte Zwerg wirkte, als würde er keinen Moment länger hier verbringen wollen.
„'Tschuldigung", rief ich dem Geschändeten noch kleinlaut hinterher, doch ich wusste nicht, ob er es überhaupt noch gehört hatte.
„Du kannst dich auch morgen noch entschuldigen", sagte Thorin, bückte sich und hob mein Schwert erneut vom Boden auf, um es wieder zu verräumen. „Er wird dich nun nämlich täglich begleiten"
Wütend starrte ich ihn an. „Hättest du mir nicht vorher sagen können, dass mir eine Leibwache zugeteilt worden ist?"
„Mich ärgert diese Situation auch", sagte Thorin und kniff leicht die Augen zusammen. „Aber du bist eigentlich nur wütend auf dich selbst, gib nicht mir die Schuld, du bist selbst dafür verantwortlich, wenn du unbekleidet herumrennst"
Zornig funkelte ich ihn an. „Woher hätte ich denn wissen sollen, dass da ein fremder Mann in unseren Räumlichkeiten ist?"
Thorin seufzte. „Was ist denn genau passiert?"
Ich ließ mich ausgelaugt und missgelaunt auf die Bettkante plumpsen. „Gewaschen, wollte frische Kleidung holen, Eskalation", fasste ich knapp zusammen. „Noch Fragen?"
Thorin ließ ein tiefes brummiges Lachen hören. „Mit dir wird es auch nicht langweilig"
Ich blitzte ihn wütend an und er verstummte augenblicklich.
Seufzend schlug ich mir die Hände vors Gesicht. „Peinlicher geht's kaum noch", murmelte ich. „Er wird mich hassen"
Thorin sagte nichts, doch als ich zwischen meinen Fingern hindurchspähte, sah ich ihn grinsen.
„He, hör auf damit", schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Kannst du mir niemand anderen zuweisen?", fragte ich kleinlaut.
Thorin schüttelte den Kopf. „Er ist einer der besten, obwohl ich mir kurz überlegt habe, ob du ihn überhaupt brauchst", stolz sah er mich an. „Du hast dich gut verteidigt und ihm dabei wahrscheinlich sauber die Nase gebrochen"
„Er hat sich aber auch nicht gewehrt", warf ich fairerweise ein und mit schlechtem Gewissen hakte ich nach: „Gebrochen...meinst du wirklich?" nach den ganzen Vorfällen war ich wahrscheinlich etwas paranoid geworden.
„Er wird es überleben", sagte Thorin sanft und strich mir die immer noch nassen Haare aus dem Gesicht, die mir nun wirr vom Kopf hingen. „Jetzt zieh dir etwas an, damit wir ins Bett können"
Ich zog eine Grimasse. „Die falschen Worte, mein Lieber", murmelte ich und ließ die Decke fallen, warf ihm einen kecken Blick zu und stolzierte an ihm vorbei zum Schrank.
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Eine Reise Durch Mittelerde
FanfictionDie Schlacht ist vorüber, aber das Leben im Berg geht weiter. Die Zwerge haben viel Arbeit damit den Berg wieder bewohnbar zu machen. Auch Bard baut mit einem Anteil des Schatzes Thal wieder auf, die Elben ziehen sich in ihr Reich zurück und der Fri...