8. Eine Hand Voll Glück

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Kapitel 8 - Eine Hand Voll Glück

ACHTUNG! Kitschgefahr!

Lillys Sicht

Ich stand schwer atmend vor seiner Zimmertüre, hatte ich doch den restlichen Weg in einem Sprint hinter mich gebracht – bei Olympia wäre ich sicherlich Weltmeister im „Krückensprinten" geworden – doch nun stand ich vor seiner Zimmertür und wollte sie irgendwie nicht aufmachen. Das war doch albern, oder? Immerhin hatte ich jetzt seit Tagen bis Wochen nur darauf gewartete, dass er es schaffte...und nun...? Im Krieg gab es so viele Missverständnisse und Streitereien...wir hatten unsere Differenzen nie geklärt, hatten uns nie ausgesprochen...war es falsch, dass ich jetzt ein wenig Angst davor hatte dieses Zimmer zu betreten?

Ich seufzte und schüttelte den Kopf, während ich eine Hand auf die Türklinke legte. Ich atmete tief durch, bevor ich sie langsam hinunterdrückte. Als ich die Tür aufdrückte und vorsichtig in den Raum lugte, kamen mir Balin und Óin entgegen. Die beiden Zwerge hatten mich auf dem Weg zum Berg überholt, ich war ja schließlich auf einem Bein hinkend nicht die schnellste. Mein Blick huschte von ihnen zum Bett.
„Er ist wieder eingeschlafen", teilte mir Óin mit. „Aber er wird in den nächsten Stunden wieder aufwachen", fügte er schnell hinzu, als er meinen Blick sah.
Ich nickte und atmete tief durch. Das war gut. Sehr gut sogar. Ich trat einen Schritt beiseite um Óin und Balin vorbeizulassen.
„Ich werde die anderen vorerst nicht einlassen", erklärte Balin und blieb einen Augenblick bei mir stehen. „Er soll in Ruhe aufwachen" Dabei zwinkerte er mir kurz zu.
„Danke", murmelte ich heißer.
Balin nickte und verschwand nun ebenfalls im Korridor. Angespannt humpelte ich durch die Tür und ließ sie hinter mir sachte ins Schloss fallen, ehe ich auf das Bett zuschritt. Thorins Situation schien sich auf den ersten Blick nicht verändert zu haben, doch wenn man genauer hinsah konnte man erkennen, dass sein Gesicht den aschfahlen, bleichen Farbton verloren hatte und seine Haut etwas rosiger schien. Auch wirkten seinen Gesichtszüge entspannt, beinahe friedlich...nicht gehetzt so wie in den letzten paar Tagen.
Leise seufzend ließ ich mich auf meinem alten Platz neben seinem Bett nieder und ergriff seine Hand. Ich wusste nicht ob ich es mir einbildete, aber sie schien wärmer zu sein.

***

Ich erwachte weil mir die Kälte durch die Knochen kroch. Ich war mit dem Oberkörper auf Thorins Bett gesunken und auf seiner Decke eingeschlafen. Langsam richtete ich mich auf. Draußen war es dunkel geworden und kalter Wind wehte durch das leicht geöffnete Fenster in den Raum. Fröstelnd stand ich auf und schloss es mit einem leisen Quietschen. Das Mondlicht schien silbern in das Zimmer und während ich zurückhinkte sah plötzlich in zwei blaue Augen.
Ich stockte und blieb wie zu einer Salzsäure erstarrt stehen, blinzelte und suchte erneut sein Gesicht. Tatsächlich...er war wach. In seinen blauen Augen spiegelte sich das Mondlicht...ich konnte es ganz genau sehen. Mit weichen Knien stand ich nun wie angewurzelt stand ich da, direkt neben seinem Bett, während wir uns gegenseitig anstarrten. Plötzlich war ich nun ganz froh an meinen Krücken, auf die ich mich stützen konnte und die mir einen festen Halt versprachen.
„Wie...", nervös räusperte ich mich. Warum war mein Mund auf einmal so trocken? „Wie lange bist du denn schon wach?". Meine Stimme hörte sich leise und zittrig an, drückte genau das aus was ich gerade fühlte.
Thorin antwortete mir nicht, sondern musterte mich nur schweigend von oben bis unten. Sein Blick wanderte erst über mein Gesicht, dann über die Verbände um Arme und Hüfte, bis er schließlich an dem gebrochenen Bein hängen blieb. „Verzeih mir", sagte er schließlich nach einer halben Ewigkeit. Seine raue, kratzige Stimme war voller Reue, Trauer und Verzweiflung, sodass es mir einen Schauder über den Rücken jagte. „Ich hatte das nie für dich gewollt"
Ungewollt traten mir Tränen in die Augen, ehe ich eilig nickte. „Ich weiß" Ich lächelte, während mir eine Träne über die Wage rollte. „Wie geht es dir, ich...ich..." Ich brach ab, wusste nicht wie ich die vielen Gefühle, die in mir herumwirbelten und nur darauf warteten herauszukommen, in Worte packen sollte. „Du weißt gar nicht wie viele Sorgen ich mir gemacht habe", platze ich dann völlig überfordert heraus. „Warum hast du mich nicht einfach liegen gelassen?" Ich atmete zitternd aus. „Ich war doch schon tot, du hättest dich retten müssen, nicht mich, du...du wärst fast gestorben, nur weil du...", meine Stimme versagte.
Thorin sah mich immer noch unverwandt an. „Ich wäre zu gerne für dich gestorben", flüsterte er. „Ich hätte all dein Leid nur zu gerne auf mich genommen. Verzeih mir...Verzeih mir, wie ich dich behandelt habe, dass ich dich geschlagen habe, verzeih mir die Schmerzen, die ich dir bereitet habe, als ich dich von mir gestoßen habe..."
Ich schüttelte den Kopf. „Thorin, hör bitte auf, ich..." Ich brach ab, als ich bemerkte, dass Thorin mich zwar ansah, jedoch auf irgendeine Weise durch mich hindurchblickte. Sein Blick war unverwandt auf meine Augen gerichtet, aber es schien so, als würde er mich dennoch nicht richtig wahrnehmen.
Als er wieder anfing zu sprechen, konnte ich ihn fast nicht verstehen, so leise sprach er. „Bitte verzeih mir...ich habe dich in dem Moment verraten, indem du mich zur Rede gestellt hast...und in diesem Moment habe ich das kostbarste verloren", nun zitterte auch seine Stimme. „Vergib mir, dass du für mich sterben musstest...das hast du nicht verdient" In seinen Augenwinkeln begann es nun ebenfalls zu Glitzern.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. „Thorin ich-", setzte ich an, doch er schien mich gar nicht zu hören, denn obwohl er mich mit seinen Augen fixiert hatte, sprach er einfach weiter.
„Ich trage die Schuld an deinem Tod..." Sein Blick wurde gläsern. „Ich danke Durin dafür, dass du an der Schwelle des Todes stehst um mich abzuholen", er lächelte und schien mich nun zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. „Wenn ich dich sehen kann, dann ist es zu meinem Ende nicht mehr weit...ich hoffe nur, das bedeutet, dass du mir meine Taten vergeben hast"
Ich schüttelte den Kopf und eine unendliche Traurigkeit ergriff mich, als ich nun endlich begriff von was Thorin schon die ganze Zeit sprach.
„Thorin", sprach ich sanft und hob zögerlich meine Hand um sie an seine Wange zu legen. „Ich bin nicht tot...Ich lebe"
Thorin war bei meiner Berührung erstarrt, ehe er zögerlich die Hand hob und sie an meine Wange hob. „Ich kann dich spüren", hauchte er leise, runzelte ungläubig die Stirn.
Ich nickte, legte meine Hand auf seine, während sich immer mehr Tränen in meinen Augen sammelten. Thorin folgte meiner Geste mit den Augen. „Aber du...du bist tot. Ich habe dich sterben sehen" er schein mehr mit sich selbst zu reden als mit mir. Murmelten wirre Sachen vor sich hin, doch ließ mich keine Sekunde aus den Augen.
„Nein, nein" Ich schüttelte heftig den Kopf und schlang fest die Arme um ihn. „Ich bin hier, ich bin wirklich hier" Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeugen und schloss die Augen, ließ zu, dass sich die Tränen stumm ihren Weg über mein Gesicht suchten.
„Du lebst", flüsterte Thorin leise. „Du lebst", wiederholte er und hob zögerlich erst einen Arm um ihn um mich zu legen, dann den zweiten. „Du lebst wirklich"
Ein Beben ergriff meinen Körper als er dies sagte und ich konnte nun nicht mehr an mich halten. Haltlos schluchzend brach ich in seinen Armen zusammen und vergrub heulend mein Gesicht an seiner Schulter. Ich spürte wie Thorin nun anfing fahrig über meinen Rücken zu streichen, meine Arme abzutasten und über meinen Kopf zu streicheln, als wollte er sich vergewissern, dass ihm sein Verstand keinen Streich spielte.
Langsam löste ich mich von ihm, sah ihn lange an. „Wie geht es dir?", meine Stimme war durch den Heulkrampf ganz heiser geworden.
Thorin sah mich verwirrt an und als hätte ich mit diesen Worten etwas ausgelöst verzog sich sein Gesicht vor Schmerz. Er hob leicht die schwere Decke von seinem Oberkörper an und registrierte erstmals die vielen Verbände und Bandagen, die sich um seinen Körper wickelte.
„Was ist...was ist passiert? War ich-"
„-bewusstlos? Ja", vollendete ich seinen Satz.
„Wie lange?"
„Um die zwei bis drei Wochen", murmelte ich und sah ihn mitfühlend an. „Ich weiß du hast Schmerzen, ich kann Óin holen gehen", sagte ich und stemmte mich vom Bett hoch auf meine Krücken. „Ich gehe schnell und bi-"
„Nein", Thorin hatte mich unterbrochen. „Bitte, bleib"
Ich schluckte und nickte. Stellte die Krücken beiseite und ließ mich langsam neben ihm nieder.
„Lilly ich...was in der Schlacht passiert ist, i-"
„Oh wir haben übrigens gewonnen", plapperte ich nervös dazwischen. Irgendwie wollte ich jetzt nicht hören was er mir zu sagen hatte.
Thorin starrte mich an. „Warum bist du gekommen?", platzte er schließlich heraus und ich wusste sofort was er meinte. „Ich habe dich verletzt, die von mir gestoßen...vor ganz Mittelerde habe ich dich bloßgestellt...und du bist in meiner dunkelsten Stunde zu mir gekommen und...", seine Stimme wurde zu einem Flüstern. „Und an meiner Seite bist du dann gestorben...Warum? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mir verziehen hast, wie...?", zögerlich hob er eine Hand, doch bevor er mich berühren konnte ließ er sie wieder sinken.
Ich holte tief Luft, während ich mein Blick seine Augen kein einziges Mal verließ. „Hast du irgendeine Ahnung, wie lange ich an diesem Bett gesessen bin?", fragte ich ihn mit leiser Stimme und machte mit der Hand eine kleine, kläglich Geste. Hast du irgendeine Vorstellung, wie sehr ich um dich getrauert habe? Ich habe die ganze Zeit damit gerechnet, dass du stirbst" Müde sah ich ihn an. „Thorin, ich habe dir nie verziehen", murmelte ich und fixierte seine blauen Augen, in denen sich der Schmerz und die Müdigkeit speigelten, die ich schon seit Wochen mit mir herumschleppte.
„Ich habe es nicht anders verdient" Thorin verzog vor Schmerzen das Gesicht und schloss die Augen. „Das was ich dir angetan habe, ist unverzeihlich" Erschüttert sah ich wie etwas silbrig Glänzendes über seine Wange rollte und wurde mir schlagartig bewusst dass er weinte. Es waren Tränen. Die im Mondlicht silbern aufleuchteten.
„Thorin ich...nein" Ich schüttelte den heftig den Kopf. „So meinte ich das nicht" Hastig fuhr ich mir über die Augen. „Während der Schlacht, nachdem ich den Berg verlassen hatte war ich so unglaublich wütend und verletzt und...ich weiß auch nicht. Aber als ich mitten in der Schlacht um mein Leben gekämpft habe, dann musste ich plötzlich nur noch an dich denken und ich hatte so eine wahnsinnige Angst" Ich schluckte und begann nun wieder mit den Tränen zu kämpfen. „Ich wollte dich auf keinen Fall verlieren", murmelte ich und deswegen bin ich zu dir gekommen"
Thorin schlug die Augen auf und sein intensiver Blick traf mich. „Du...?"
„Verdammt Thorin", brachte ich heraus und fing heftig an zu schluchzen. „Ich liebe dich so dermaßen, dass ich für dich sogar mit dem Tod aufgenommen habe"
Ich schlug die Hände vor mein Gesicht und spürte wie meine Tränen die Ärmel meines Oberteils aufweichten.
„Lilly", sanft strich Thorin mir über den Rücken und zog ebenso sanft meine Hände von meinem Gesicht. Durch einen Tränenschleier konnte ich sehen wie er mich warm anlächelte. Ein Lächeln, das sein von Krankheit eingefallenes Gesicht leuchten und seine Augen strahlen ließ.
„Ich liebe dich auch"

(1 843 Wörter)

Eine Reise Durch MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt