4. Im Lazarett

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Kapitel 4 - Im Lazarett

Lillys Sicht

„Ah, Lilly", hörte ich Óins Stimme durch das dichte Getümmel zu mir hinüberschallen. Ich drehte mich um und sah den alten Zwerg schon auf mich zueilen. „Es ist gut dass du kommst, hier ist sehr viel zu tun und die Helfer sind knapp. Komm mit"
Ich packte meine Krücken fester und humpelte hinter ihm her. Etwas unbeholfen bahnte ich mir ein Weg durch die dichte Menge, die sich jedoch etwas zu lichten schien, je mehr wir uns von dem großen Platz entfernten, der anscheinend der Aufenthaltsplatz aller Kranken und Verletzen war.
Óin führte mich durch die Reihen der Zelte, die sich in einer endlosen Reihe hinzogen. Klagerufe und Schreie waren die Begleiter, die uns auf Tritt und Schritt zu begleiten schienen.
„Was sind das für Nummern an den Zelten?", fragte ich Óin, der mit zügigem Schritt vorauslief und ständig prüfend auf irgendeine Liste sah.
„Nun das hier sind die Zelte, die unter meiner Obhut stehen, was du an dem roten Stoff an der vordersten Zeltstange erkennen kannst. Die Zelte, die unter dem Arzt von Dáins Heer stehen erkennst du an dem blauen Bändel. Die Nummern, die über den Eingängen der Zelte angebracht sind, geben dir einen Überblick. Die erste Nummer ist die eigentliche Zeltnummer und die zweite, ist die Einteilung der Zelte in Kategorien. Diese sagen aus, wie schwer verletzt die Patienten sind, die in ihnen liegen", er seufzte. „In Kategorie Eins liegen die Patienten, die schon bald wieder entlassen werden können. Kategorie Zwei beherbergt die, die so schwer verletzt sind, dass sie nicht mehr ohne Betreuung auskommen werden und in Kategorie Drei liegen die absoluten Notfälle, von denen wir leider am Meisten haben. In jeder Kategorie gibt es unterschiedlich viele Zelte", ernst tippte er dabei auf seine Liste und zeigte mir ein fein säuberlich gehaltenes Register, in dem jedes Zelt mit Nummer und Kategorie aufgelistet waren. Genauso wie die Patienten und deren Verletzungen.
„Das sind aber eine Menge", murmelte ich und hatte nun zum ersten Mal einen ungefähren Überblick, dass der Krieg seinen Tribut gefordert hatte.
„Es herrschte auch Krieg, doch den größten Ansturm haben wir zum Glück hinter uns", sagte Óin und bog in eine neue Zeltreihe ein.
„Wie viele Patienten liegen in einem Zelt?", hakte ich schließlich nach und versuchte in eines der Zelte zu sehen.
„Um die dreißig Mann. Anfangs war der Platz zu knapp, sodass wir uns Zelte von Thranduil borgen mussten. Er war nicht erfreut, doch schließlich verarzten wir auch seine Leute. Die meisten meiner Helfer sind Elben. Sie stellen sich am geschicktesten an und wissen auch eine Menge über Heilkunde", sagte Óin und deutete auf einen Elb, der gerade einem Menschen einen frischen Verband umband.
„Ich dachte die kümmern sich nur um die Ihrigen"
Óin nickte seufzend. „Zum größten Teil stimmt das schon. Am Anfang zumindest war es so, aber jetzt haben die Meisten angefangen sich dem Gesamtgebilde zu fügen"
„Und die Zwerge und Menschen?"
„Die bauen Thal auf und richten den Erebor wieder her, Außerdem müssen sie sich auch um das Essen kümmern und um ausreichend Medizin", sagte Óin und hob seine dicke Tasche hoch, die er bei sich trug.
„Aber gibt das nicht Streit zwischen Zwergen und Elben?", hakte ich nach. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass zwei Völker, die Kurz vor einem Krieg standen, plötzlich auf gut Kumpel taten.
Óin nickte. „Streitereien und Prügeleien lassen sich leider nicht verhindern. Du ahnst nicht wie viele blaue Augen ich gesehen und wie viele gebrochene Hände ich schon gerichtet habe"
„Wäre es aber nicht besser das Lazarett in den Berg zu verlegen?", fragte ich und dachte daran wie zugig und kalt es in den Zelten immer war. Vor allem nachts. „Dort wäre es wärmer und windgeschützter"
„Im Großen und Ganzen hast du recht, doch wir müssten die Zimmer erst putzen, bevor wir sie mit den Kranken besetzen könnten. Zudem wäre es laut und staubig und ein halbwegs sauberes Umfeld ist vor allem für die schwer verletzten Patienten von Belang. Außerdem würden wir die Renovierungsarbeiten behindern und diese die Verletzen an der Genesung", erklärte Óin und machte vor einem großen Zelt halt.
„Hier ist der Zentralpunkt, wo auch die Medikamente lagern", fuhr er fort, wuselte in das Zelt nur um gleich wieder daraus aufzutauchen und mir einer eine prall gefüllte Umhängetasche in den Arm zu drücken. „Da ist das nötigste drin. Von den Standartmedikamenten über Nadel und Faden bis zu Spinnenweben und Verbänden. Hast du ärztliche Erfahrung und Praxis?"
„Ein bisschen", gab ich zögernd zu und versuchte durch die Krücken umständlich in die Tasche zu schauen. Als ich es endlich geschafft hatte mit einer Hand die Schnalle zu öffnen, stellte ich erleichtert fest, dass mir viele der Pflanzen und Salben bekannt vorkamen. Meine Mutter hatte mir früher immer ziemlich viel über Medikamente und Heilungsmittel beigebracht, da sie auch gerne mit herkömmlichen Pflanzen gearbeitet hatte. „Meine Mutter Naturheilerin und ich hatte selbst ein Studium als Ärztin begonnen...doch gab es bei uns viel bessere Medikamente" Was mir aber irgendwie klar war. Synthetisch hergestellte Medikamente gab es hier nicht und alles beruhte zum größten Teil auf Naturheilkunde und frühen mittelalterlichen Heilpraktiken.
„Hier wirst du wohl mit dem auskommen müssen was wir haben", meinte Óin unbeeindruckt. „Du wirst erst einmal in den Zelten der Kategorie Eins unterwegs sein. Wenn du Hilfe brauchst oder mit einem Patienten überfordert bist, dann komm einfach zu Sam oder mir und frag nach"
Ich nickte und zusammen liefen wir wieder zurückdurch die langen Zeltreihen der Patienten. Ich sah wie sich viele Verletzte durch die Gegend schleppten und ich wusste, dass hier Mitleid fehl am Platz war.
Ein Zwerg, der ebenfalls auf einen Stock gestützt an uns vorbeihinter warf mir einen merkwürdigen Blick zu und musterte mich gründlich. Ein anderen verlor das Interesse an seinem Stück Brot, nur um mich mit der gleichen Weise zu betrachten.
„Was haben die denn alle?", fragte ich Óin etwas unsicher und versuchte nicht auf die gaffenden Patienten zu achten.
Óin schmunzelte leicht. „Nun, ich schätze, sie haben noch nie eine Frau, als Ärztin in einem Lazarett gesehen. Dafür sind die Männer verantwortlich, da die Frauen nicht in den Krieg ziehen und ausschließlich in der Heimat auf ihre Rückkehr warten. Außerdem gibt es nicht wirklich viele Zwergenfrauen und da ist die Überraschung noch einmal größer", erklärte Óin und ging raschen Schrittes weiter. „Wenn dir irgendjemand blöd kommt, kannst du zu mir kommen, dann regeln wir die Sache" Er legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Ich nickte, doch wirklich wohler fühlte ich mich auch jetzt nicht. Ich fand die Umstände entsprechend irgendwie ein bisschen gruselig. Es war einfach ein ungutes Gefühl, das mich begleitete, seit dem ich dieses Lazarett betreten hatte und die Tatsache, dass ich auf Krücken lief, verstärkten mein Unbehagen nur noch.
„Danke", sagte ich trotzdem und setzte ein Lächeln auf, während ich einem starrenden Zwerg ganz bestimmt den Rücken kehrte. Óin nickte mir nur zu, bevor er mir eine Liste in die Hand drückte und zu den Notfällen eilte.
Zögernd ging ich in ein Zelt, das die Nummer Eins hatte und sah mich um. Zwischen manchen Betten waren Trennwände aufgehängt, doch herrschte hier ein recht munteres Klima, da sich die Patienten unterhielten und teilweise aufrecht in ihren Betten saßen. Ich sah auf meine Liste und las mir den ersten Namen durch.

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