11. Alles Auf Anfang

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Kapitel 11 - Alles Auf Anfang

Lillys Sicht

Die Tage vergingen, der Winter verflüchtigte sich und die ersten Frühlingsstrahlen drängten sich durch die dichte Wolkendecke und begannen den Schnee zu tauen.

Als ich dann eines Morgens verschlafen die Augen aufschlug fiel mein Blick sofort auf den hölzernen Rollstuhl. Sachte rutschte ich aus dem Bett und begutachtete das Meisterwerk.
Nachdem sich Thorin am laufenden Band über seine Situation beschwert hatte – was ich ihm auch tatsächlich nicht verübeln konnte...nervig war es trotzdem – hatte ich an einem Abend die Zwerge aufgesucht, die alle an einem gemeinsamen Mahl in der Küche gesessen hatten und ihnen erklärt, was genau jetzt ein Rollstuhl war. Schließlich hatten wir uns daran gemacht eine Skizze von unserem Modell anzufertigen. Danach hatte ich mich mithilfe von Bofur, Dwalin und Ori, daran gemacht ihn nachzubauen, doch da ich mit den Händen im Leim eingeschlafen war, hatten die anderen es als sinnvoll erachtet, mich ins Bett zu stecken. Und sie hatten gut damit getan, denn wer weiß ob ich meine Hände jemals wieder hätte gebrauchen können, wenn nicht Dwalin so wachsam gewesen wäre und mich aus dem Leim gezogen hatte, bevor ich auch noch mit dem Kopf hineinstürzen konnte. Am nächsten Tag hatte mir Bofur dann mitgeteilt, dass der Bau sich noch etwas ziehen konnte. Verständlich, denn die Zwerge hatten alle Hände damit zu tun bei den Reparaturen am Berg mitzuhelfen, da blieb nicht mehr besonders viel Zeit für den Rollstuhl. Doch heute schien er fertig geworden zu sein und ich stellte fest, dass sie solide Arbeit geleistet hatten. Der Stuhl bestand aus Kirschholz, wie Bofur mir gestern Abend noch verraten hatte. Es war ein hartes und vor allem edles Holz, welches schon seit Urzeiten für die Gestaltung vornehmer Möbel in Königshäusern genutzt wurde. Was ich jedoch nicht erwartete hatte, war dass der ganze Stuhl kunstvoll herausgearbeitete worden war. Die Griffe und die Rückenlehne zierten eingeritzte Bilder und die Runen, die die Zwerge immer benutzen. Das Sitzpolster bestand aus einem weichen Kissen und ich fand es fast schon zu schade, dass der Stuhl nicht mehr allzu lange benutzt wurde. Er war einfach zu schön dafür.
Langsam stand ich auf und begann mich zu richten, bevor ich Thorin anstupste. Dieser drehte sich jedoch nur grummelnd auf die andere Seite und ließ die Augen weiterhin hartnäckig geschlossen.
„Jetzt wach halt auf!", versuchte ich es noch einmal und hörte nicht auf unablässig gegen seine Schulter zu stupsen. „Ich hab nicht ewig Zeit"
„Warum? Hast du was vor?" Endlich hatte er die Augen aufgeschlagen. Seine Mine war noch etwas trübe, doch sein Blick war sogar zu dieser frühen Uhrzeit scharf und aufmerksam.
„Heute kommt Óin um mir die Schiene abzunehmen. Ich kann diese verdammten Krücken endlich zum Mond schießen", jubelte ich. Thorin setzte ein heiteres Lächeln auf, das ich ihm sogar beinahe abgenommen hätte.
„Jetzt hab dich nicht so" Gut gelaunt drückte ich ihm einen Kuss auf die Backe. „Du bist auch bald wieder ganz gesund"
Thorin atmete schwer ein und antwortete darauf nichts. Ich wusste wie sehr es ihn störte an das Bett gefesselt zu sein und sich die Fortschritte des Berges nicht ansehen zu können.
Ich stand auf und ging immer noch leicht humpelnd durch das Zimmer zu meiner verstaubten Arzttasche und begann sie frisch zu packen.
„Was tust du da?", fragte Thorin und sah mir nicht gerade begeistert zu.
„Ab heute helfe ich Óin wieder"
„Und wann hattest du vor mir das mitzuteilen?"
Ich zuckte die Schultern. „Ich dachte das erklärt sich von selbst. Ich kann jetzt ja wieder laufen"
Ich hatte Thorin versprochen im Berg zu bleiben, solange ich noch nicht sicher auf den Beinen war. Das hatte mir auch nichts ausgemacht. Der letzte Monat war wie im Fluge vergangen. Ich hatte mich um Sarah gekümmert und Thorin beim genesen zugesehen, er hatte sich blendend erholt, auch wenn er noch nicht gänzlich gesund war und Óin ihm immer noch verbot längere Strecken zu gehen. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass der weiteste Weg, den er schaffte, bis zum Bad war und wieder zurück, auch wenn er es nicht so ganz wahrhaben wollte. Außerdem hatte ich Zeit gehabt den Berg zu erkunden. Es war kaum zu glauben wie schnell die Zwerge mit den Reparaturen voranschritten. Der komplette Berg war fast vollkommen saniert und wieder bewohnbar. Es waren auch Raben gekommen, die die baldige Ankunft der Zwerge aus den blauen Bergen ankündigte.
„Ich will aber nicht, dass du dort erneut hingehst", Thorin setzte sich zur Unterstützung seiner Worte etwas aufrechter hin. „Ich vertraue nicht darauf, dass dich diese Zwerge in Ruhe lassen werden"
„Ich war jetzt einen ganzen Monat unter Aufsicht im Berg und habe Afdar kein einziges Mal gesehen. Meinst du nicht, dass er mich jetzt in Ruhe lässt?", seufzend hörte ich auf meine Arzttasche zu packen, ging zum Bett zurück und ließ mich neben Thorin auf die Kante sinken. „Außerdem kann ich nicht den ganzen Tag auf dem Zimmer herumsitzen, da werde ich irgendwann verrückt"
Und das war nicht einmal gelogen. Tatsächlich hatte ich mich noch nie so nutzlos gefühlt wie in diesem letzten Monat. Klar, mir war nicht langweilig geworden, doch ich brauchte eine Aufgabe, irgendetwas woran ich Spaß hatte, mich aber auch einbringen konnte. Auch wenn das Lazarett kein Ort war, den ich gerne aufsuchte, so liebte ich dennoch meinen Beruf als Ärztin.
„Tja dann weißt du jetzt wie es mir schon die ganze Zeit geht", meinte Thorin und zog mürrisch eine Augenbraue nach oben. „Ich bin der König dieses Berges und in diesem Zimmer gefangen"
Ich musste lachen. „Findest du nicht, dass du es vielleichte ein bisschen überdramatisierst?"
Thorin sah mich nur ernst an. „Ich halte es trotzdem für keine gute Idee"
„Und da wären wir wieder beim Thema", seufzte ich.
„Du kannst mir nicht verbieten, dass ich mich um dich Sorge, so wie du zugerichtet wurdest"
Abwesend fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht. Die Schwellung war gänzlich verschwunden.
„Aber ich kann nicht hierbleiben", meinte ich nun etwas sanfter. „Ich habe Bardin seit einem Monat nicht mehr besucht und ihm eigentlich versprochen, dass ich vorbeikommen würde, und-"
„Wer ist Bardin?", unterbrach mich Thorin scharf.
„Ein sehr liebenswürdiger Freund", murmelte ich. „Er ist schlau, belesen und hat er in der Schlacht treu und tapfer gekämpft. Außerdem hat einen guten Sinn für Humor."
Thorins Lippen formten einen Strich. „Wie kann ich ihn finden?", knurrte er.
Verwirrt sah ich ihn an. Seine Miene war unbewegt und seine Augen funkelten gefährlich. „Was meinst-" Ich brach in lautes Gelächter aus, als ich verstand was er meinte.
„Was ist so lustig?", fragte Thorin grimmig.
Ich schmunzelte und ging zurück zum Bett. „Du bist eifersüchtig", stellte ich nüchtern fest.
Thorin machte den Mund auf, doch bevor er sich weiter entrüsten konnte zog ich ihn zu mir hinunter und küsste ihn. Erst überrascht brauchte er erst einen Moment, um sich zu fangen, doch dann spürte er wie er erwiderte. Seine Hände fuhren mir durch die Haare, den Rücken hinunter und landeten an meiner Hüfte, wo sie auch blieben. Er dominierte den Kuss, wie er es gerne tat und ich spürte wie der Kuss immer intensiver wurde. Was so zärtlich begonnen hatte endete damit, dass ich unter Thorin in die Matratze gedrückt wurde.
Als wir uns voneinander lösten sah ich in zwei eisblaue, funkelnde Augen. „Warum kannst du nicht einfach tun was ich dir sage und hier bei mir im Berg bleiben", murmelte er und ich spürte, wie seine Finger mit meinen Haaren spielten.
Ich schmunzelte leicht und griff nach seiner Hand. „Du hast überhaupt keinen Grund eifersüchtig zu sein", murmelte ich leise, während ich spürte, wie sich unsere Finger miteinander verflochten.
„Aber wer-"
„Thorin", unterbrach ich ihn sanft. „Ich habe ihn behandelt. Es ist ein alter gebrechlicher Zwerg, der übel zugerichtet wurde, der mich aber als einziger von allen mit Anstand behandelt hat"
Thorin schwieg und ich spürte wie er aufhörte durch meine Haare zu streichen. „Wenn es nach mir gehen würde, dann würde ich dich nicht gehen lassen. Niemals"
Er sagte das so ernst, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Es klang eher wie ein Schwur, den er gerade eben mit sich selbst besiegelt hatte. Ich legte meine Hände an seine Wange und gab ihm noch einen kurzen Kuss.
„Hör auf darüber nachzudenken, ich liebe dich...hörst du?"
Thorin lächelte. Es war ein Lächeln, das er nur selten zeigte. Eines das seine Augen erreichte und sie richtig strahlen ließ. Er drückte mich an sich und ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge.
„Ich habe trotzdem kein gutes Gefühl dich allein gehen zu lassen", murmelte er. „Ich verbiete dir, dahin zu gehen."
Abrupt löste ich mich von ihm und stemmte verärgert die Arme in die Hüfte. „Wie bitte?" Ich schnaubte, wusste aber mittlerweile, dass ich solche Aussagen von ihm nicht allzu wörtlich nehmen konnte. Er war nun mal ein Zwerg. „Ich lasse mir von niemandem etwas verbieten und du mein Lieber" ich stupste ihm den Zeigefinger in die breite Brust, „bist da auf jeden Fall keine Ausnahme"
Thorin seufzte und nickte. „Ich weiß, aber ich lasse dich trotzdem nicht ohne Begleitschutz gehen", er klang bestimmt und ich war kurz davor die Augen zu verdrehen.
„Na wie wäre es, wenn du einfach meinen Begleitschutz spielst?", fragte ich und verkniff mir ein Grinsen als Thorin einen Flunsch zog.
„Wie denn? Óin hat doch gesagt, dass-"
„Jaja, ich weiß, dass du nicht laufen darfst", unterbrach ich ihn rasch. „Aber wenn du deine Augen mal richtig aufmachen würdest, dann hättest du bemerkt, dass hier im Zimmer ein Rollstuhl steht"
„Ein Roll...was?" Thorin machte eine verdatterte Miene.
Ja, diese Reaktion kannte ich schon, doch fand ich es noch immer verwunderlich, dass es hier noch keine Rollstühle gab, immerhin hatten sie schon das Rad.
„Ein Rollstuhl", erklärte ich geduldig sprang auf und schob den Stuhl näher an Thorins Bettseite. „Das ist ein Stuhl, der zwei große Räder an den Seiten hat. Somit musst du nicht laufen, aber man kann dich durch die Gegend schieben"
Thorin starrte den Stuhl an. „Das heißt also ich muss nicht ewig im Bett bleiben?", fragte er schließlich und schien langsam zu begreifen.
Ich nickte zustimmend mit dem Kopf und gab nur ein kurzes „Genau" von mir. Thorins Augen begannen zu leuchten und er gab mir einen Kuss auf den Haaransatz.

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