23. Zu Höhlen Tief

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Kapitel 23 - Zu Höhlen Tief

Lillys Sicht

Am nächsten Tag saß ich müde neben Thorin am Frühstückstisch und stützte meinen Kopf auf meinen Händen ab. Die ganze Nacht hatten wir die Ratsmitglieder aufgesucht – meistens aus den Betten gerissen – und befragt. Zumindest hatte Thorin dies getan. Ich hatte einfach nur versucht der Unterhaltung zu folgen und aus Fragen und Aussagen schlau zu werden...mit mäßigem Erfolg. Ich kannte die Zwerge kaum, zwar hatte ich sie alle schon mindestens einmal gesehen, denn Thorin hatte mir alle irgendwann einmal vorgestellt, doch wusste ich weder was ihre genaue Funktion und Aufgabe war noch welche charakterlichen Eigenschaften sie vertraten. Mit über der Hälfte hatte ich kaum einen Satz gewechselt.

Den einzigen, den ich wirklich kannte war Bardin. Zu meiner Erleichterung war dessen Befragung schnell vorbei gewesen. Tatsächlich hatte sie nicht einmal stattgefunden, denn der alte Zwerg hatte die letzte Woche in Thal verbracht. Als Träger seines diplomatischen Amtes war dies auch nicht verwunderlich und auf Grund dessen, würde er erst heute Mittag wieder im Berg angekommen. Diese Tatsache, hatte meine Laune tatsächlich gehoben, doch alle anderen Befragungen waren ebenso Ergebnislos verlaufen, was hieß, dass wir genauso schlau waren, wie zu Beginn.
„Was machen wir jetzt?", fragte ich Thorin und unterdrückte ein tiefes Gähnen, während ich lustlos den Haferbrei anstupste, den mir Bombur hingestellt hatte.
Thorin zuckte mit den Schultern und starrte trübe vor sich hin.
„Schlafen gehen", ertönte Mias Stimme von hinten.
„Dazu muss man aufstehen", murrte ich und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Und ich will nicht aufstehen"
„Tja, Faulheit ist keine Tugend", hörte ich eine erneute spitze Stimme.
Am liebsten hätte ich frustriert um mich geschlagen. Was tat die denn hier? Ich vergrub meinen Kopf noch ein bisschen tiefer in meinen Armen und schloss die Augen, hoffte bittend, dass sie mich einfach nicht ansprechen würde. Doch das war ein verlorener Wunschtraum. Als ich es schließlich schaffte mich in eine aufrechte Position zu zwingen, sah ich schon, wie sie von der Tür aus auf uns zu stolziert kam.
„Na dann viel Spaß", murmelte Mia und drückte mir einen kleinen zusammengefalteten Zettel in die Hand.
„Melde dich, sobald du das hier überstanden hast", wisperte sie leise und war schon verschwunden, bis mein müdes Hirn überhaupt realisiert hatte, was sie getan oder gesagt hatte.
Ich sah auf das kleine Stück Pergament in meiner Hand und war versucht es aufzufalten. Neugierig war ich schon, denn was auch immer Mia mir hatte sagen wollen, es war zumindest so wichtig gewesen, dass sie eigentlich nicht hatte warten können. Doch bevor ich die Zeit hatte mir den Zettel anzusehen, musste ich mich erst einem dringlicherem und bedeutend unangenehmeren Problem zuwenden.
„Guten Morgen, Dis", sagte ich mit einer geheuchelten Fröhlichkeit. „Was tust du denn hier?"
Dis rümpfte die Nase, als sie mich musterte. „Die bessere Frage ist eigentlich, was tust du hier?" Ihr Blick glitt über meine Haare, mein Gesicht und musterte schließlich meine Kleidung. „Was trägst du denn da?"
Ich sah ebenfalls an mir hinab. „Ich glaube das nennt sich eine Hose"
Dis' Blick loderte, ehe sie sich abrupt von mir abwandte und nun an Thorin gerichtet sprach: „Hast du etwas herausgefunden?", fragte sie harsch.
Thorin reagierte nicht gleich, er sah sie mit trübem Blick an, ehe er den Kopf schüttelte. „Nein, es scheint so, als könnten unsere Angreifer Gedanken lesen"
„Aber irgendjemand muss sich doch auffällig verhalten haben", beharrte Dis.
„Wenn ich es dir doch sage", Thorins Stimme wurde lauter. Er warf mir einen kurzen Seitenblick zu. „Ich habe ein paar in Verdacht, doch ich werde keinen von ihnen nur aufgrund einer Ahnung hinrichten" Er erhob sich schwerfällig. „Wenn mich jemand sucht, ich bin in meinem Arbeitszimmer"
„Aber du musst etwas essen und dann auch schlafen", protestierte ich, doch Thorin reagierte nicht. Ob er mich nicht hörte oder nur nicht hören wollte war mir in diesem Moment schleierhaft.
Ich seufzte und starrte ihm besorgt hinterher, ehe mir auffiel, dass Dis noch immer neben mir stand und ihrerseits mich musterte.
„Was?", herrschte ich sie an und stand nun ebenfalls auf. „Wenn du etwas zu sagen hast dann tu es jetzt"
Dis kniff die Lippen zusammen. „Ich verbitte mir diesen Ton", ihre Stimme war schneidend und kritisch zugleich.
„Nun denn, könntest du mir bitte mitteilen, durch welches Versagen ich wieder deine Missgunst erregt habe?", flötete ich und stemmte die Arme in die Hüfte.
„Ich habe versucht meinen Bruder zu bekehren, habe versucht ihm auszureden, sich mit einer Bauernmagd einzulassen, ohne Namen, ohne Titel und ohne Besitz", fauchte sie und schritt um mich herum. „Aber er wollte nicht auf mich hören und jetzt stehe ich vor einer trotzigen, schamlosen Ziege, die sich weder um angemessenes Auftreten schert noch um ihre Pflichten" Ihre Stimme wurde immer lauter, bis sie mir ihre Worte regelrecht ins Gesicht pfefferte.
Ich starrte die Frau fassungslos an. Hatte ich gedacht oder auch nur das entfernteste Gefühl gehabt, nach der letzten Nacht, wäre sie mir gegenüber nicht mehr so feindschaftlich gesonnen, so hatte ich mich getäuscht. Es schien beinahe so, als hätte sich ihre Abneigung gegen mich nur noch vertieft.
„Du hast mir doch von Anfang an keine Chance gegeben", fauchte ich erbost.
Ich würde es nie zugeben, aber vor Dis hatte ich ein bisschen Angst...na gut, vielleicht auch mehr als nur ein bisschen. Sie war auf eine Art furchteinflößend und gleichzeitig wirkte sie erhaben. Auch wieder etwas was sie sich mit ihrem Bruder teilte. Nur dass ich mich vor Thorin nicht fürchtete.
„Du hast doch keine Ahnung was passiert ist" Dis durchdrang mich mit ihren blauen Augen. Es war kein freundlicher Blick. So wie sie mich ansah würde ich etwas zutiefst Verabscheuungswürdiges ansehen...keine Ahnung, eine Ratte vielleicht. Ich seufzte resigniert auf. Mich selbst auf die gleiche Stufe mit einem Nagetier zu setzen war ein neuer Rekord der Selbstachtung meinerseits.
„Würdest du mich vielleicht aufklären?", fragte ich und konnte den bockigen Unterton zu meinem Leidwesen leider nicht ganz aus meiner Stimme verbannen. „Was ist denn passiert?"
Dis schnaubte. „Du verstehst die Bedeutung nicht, die der Anschlag hatte und dich interessiert es nicht"
„Wie bitte?", presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Vor unterdrücktem Zorn beinahe unfähig in ganzen Sätzen mit ihr zu reden...aber nur beinahe. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, während ich einen drohenden Schritt auf sie zu tat. „Ich lasse mir nicht vorwerfen ich hätte kein Interesse. Ich war die ganze Nacht wach und habe Thorin unterstützt und versucht-"
Weiter kam ich nicht, denn ein hysterisches Lachen unterbrach mich. Dis, die nun nicht minder zornig vor mir stand funkelte mich an. „Versucht", höhnte sie. „Du tust nichts, bevor du nicht aufgefordert worden bist. Du jammerst, aber spendest keinen Trost, du bist nutzlos und musst von der Schwester deines Liebhabers beschützt werden"
„Lass Thorin aus dem Spiel" Nun wurde meine Stimme lauter. Zugegeben tat es gut einen kleinen Teil meiner Frustration und meines Zornes gegenüber dieser Frau loszuwerden, die alles tat, um mir das Leben schwer zu machen. „Auch wenn ich es versuche, so leiste ich dennoch mehr, wie du es getan hast, seitdem du hier bist. Du beschwerst dich nur in eine Tour darüber, was ich alles falsch mache und an welchem Fehler dies wohl liegen könnte", meine Stimme zitterte, während ich sie nun beinahe anbrüllte. „Ja ich mache Fehler und ja, es ist hier im Berg nicht leicht für mich, aber momentan setzte ich alles daran Thorin zu unterstützen so gut es geht"
„Gerade du kannst dir ein solches Urteil nicht erlauben", sagte Dis und ihre blauen Augen schienen zu brennen, während sie mir ihren geballten Zorn entgegenschleuderte. „Und wenn deine Versuche ihm eine gute Gefährtin zu sein immer wieder aufs Neue scheitern, dann solltest du dir vielleicht überlegen, ob du die richtige an seiner Seite bist"
Es war wie ein Schlag in die Magengrube und mein Zorn verpuffte ins nichts. Sie sprach eine Sache an, die ich mich auch schon gefragt hatte. Ich hatte immer wieder festgestellt, dass ich mit den in dieser Welt vorherrschenden Regeln und Gebräuchen nicht wirklich klarkam und sie auch teilweise nicht verstand. Unabhängig von meiner eigenen Krise und auch mit meinen Überlegungen nach Hause zurückzukehren, konnte ich nicht umhin mich zu fragen, ob ich auch wirklich in die Rolle eine Herrscherin passte, worauf es früher oder später unvermeidlich hinauslaufen würde.
„Ich...", meine Stimme versagte, während ich in Dis' selbstzufriedenes Gesicht blickte.
„Wenn dir mein Bruder auch nur ein bisschen am Herzen liegt, dann machst du dir am besten Gedanken darüber wie deine Zukunft hier im Berg aussehen soll" Ihre Stimme klang beinahe sanft und doch mehr spottend als besänftigend. „Denn solltest du dich weitestgehend als nutzlos erweisen, dann schadest du dem ganzen Königreich"

Eine Reise Durch MittelerdeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt