12. Unschuldig Bis Zum Beweis Der Schuld

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12. Unschuldig Bis Zum Beweis Der Schuld

Lillys Sicht

„Lebst du noch?"
Schlecht gelaunt stand ich mit verschränkten Armen in der Tür zu Thorins Arbeitszimmer. Dieser saß an seinem riesigen Schreibtisch hinter hohen Bergen aus Pergament und studierte irgendwelche Listen.
Thorin sah auf und lächelte. „Schön, dass du mich besuchen kommst", er stütze sich schwerfällig auf einen Krückstock und begann langsam hinter dem Schreibtisch hervorzukommen. „Haben dich die Wachen dieses Mal eingelassen?"
Ich verdrehte die Augen. Als ich gestern hier gewesen war, hatten mich diese Pfeifen von Wachmännern, die vor Thorins Arbeitszimmer standen, nicht zu ihm hineingelassen.
„Jup", ich setzte mich auf seine Schreibtischplatte, die glatt und glänzend poliert war...wahrscheinlich ein ziemlich teures und vor allem edles Stück. „Die wissen jetzt wer ich bin"
„Ja, nachdem du sie lautstark beschimpft hast, vergessen sie dich nicht mehr so schnell", Thorin schmunzelte.
Ich nickte stolz und grinste. „Ja, mir sind schon sehr kreative Beleidigungen eingefallen"
„Warum bist du hier?", Thorin griff nach meiner Hand und küsste sie sanft. Ich musste lächeln und erwiderte seinen leichten Händedruck. Meine schlechte Laune war wie weggeblasen.
„Weil ich dich seit gestern Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen habe", erklärte ich ihm und prompt fiel mir auch der Grund für meine schlechte Laune wieder ein. „Wenn ich aufstehe bist du schon weg und wenn ich schlafen gehe noch nicht wieder zurück", beleidigt sah ich ihn an. „Deswegen auch meine vorige Frage, ob du noch lebst"
Thorin legte den Kopf etwas schief. „Offensichtlich ja", erklärte er mit breitem Grinsen.
Ich sah ihn finster an. „Nicht witzig", kommentierte ich grimmig und verschränkte die Arme. „Ich fühle mich ja schon dämlich genug, dass ich eifersüchtig bin"
„Eifersüchtig?"
„Ja auf dieses dumme Stück Holz", ich machte eine gestikulierende Armbewegung in Richtung des Schreibtisches und warf ihm einen finsteren Blick zu. „Immerhin sieht dich dieser Schreibtisch dich am Tag länger, als ich dich in der ganzen letzten Woche"
Thorin seufzte leise, obwohl er ein breites Lächeln im Gesicht hatte. „Es tut mir wirklich leid", murmelte er. „Doch die Arbeit hat kein Ende."
Schmollend verschränkte ich die Arme, ehe ich von seinem Schreibtisch wieder hinunterglitt. „Ich weiß, ich verstehe das auch, nur...ich wäre viel lieber bei dir", ich seufzte ebenfalls. Seitdem Óin mir mitgeteilt hatte, dass er im Lazarett keine Hilfe mehr benötigte, hatte ich den ganzen Tag nichts mehr zu tun. Und ich musste wohl nicht betonen, dass ich mich langweilte. „Du fehlst mir...klingt das blöd?"
Thorin schüttelte den Kopf und gab mir einen kurzen Kuss. „Nein, ganz und gar nicht" Ich schwieg und sah ihn nur an. „Ich komme in einer Stunde nach, versprochen", sagte er, während er wieder auf den Stuhl hinter seinen Schreibtisch zusteuerte. Ich zog nur die Augenbraue nach oben. Ich glaubte ihm kein Wort.
Seufzend zog ich die Türe hinter mir zu und stand nun neben den Wachen in dem durch Fackeln beleuchteten Korridor.
„Rührt euch", sagte ich mit tiefer gewichtiger Stimme und vollführte das Salutzeichen der Soldaten, ehe ich den Korridor entlang schritt. Die Wachen sahen mir nur verdattert hinter her, doch sagen taten sie nichts.
Ich seufzte leise in mich hinein. Es stimmte wirklich, dass ich Thorin vermisste, denn irgendwie fühlte ich mich in diesem riesigen Berg allein. Mia und Sam sah ich kaum noch, da sie vor zwei Wochen übergangsweise nach Thal gezogen waren, um dort auszuhelfen. Ich derweilen kümmerte mich um Sarah, half im Lazarett und versuchte nebenbei meine Alpträume zu verkraften. Ich hatte Thorin erzählt, dass es mir besser ginge, dass tat es auch, es wurde wirklich besser, doch die Träume verschwanden nie. Sie blieben und ich war mir auch sicher, dass sie nicht mehr weggehen würden. Ebenso sicher war ich mir, dass Thorin mir nicht glaubte. Doch er hatte aufgehört mich ständig danach zu fragen. Ich wusste, dass er sich um mich sorgte, doch er hatte momentan so viel zu tun, dass ihm einfach keine Zeit blieb. Einerseits war ich dankbar dafür, denn so konnte er mir nicht seine ganze Sorge widmen, doch andererseits vermisste ich ihn.
Meine Schritte führten mich zu Sarahs Zimmer. Im dunklen setzte ich mich an meinen gewohnten Platz neben der Türe.
„Hey Sarah", murmelte ich in die Stille. „Ich habe dir wieder etwas zu essen mitgebracht" Ich nahm etwas Brot und Käse aus der Tasche, sowie frisches Obst und einen neuen Wasserbeutel, während ich das alte, unberührte essen in die Tasche packte. Ich seufzte. Sie hatte wieder nichts gegessen. Ich lehnte den Hinterkopf an die Wand an und schloss die Augen. „Thorin schafft es mittlerweile kürzere Strecken selbst zu gehen, nur das mit dem Treppensteigen klappte noch nicht so ganz" Ich hielt inne und lauschte auf eine Antwort. Nichts. „Óin möchte, dass er schon heute Abend versucht auch ohne Gehhilfe zu laufen. Mal sehen ob's funktioniert, aber er packt das schon", ich lächelte leise vor mich hin und hörte nun Sarahs leisen Atem in der Dunkelheit. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht ihr von meinem Tag zu erzählen. Zu Anfang hatte ich sie immer noch nach ihrem Befinden gefragt und versucht auf sie einzureden, doch es war nicht einmal eine Antwort gekommen. So hatte ich es aufgegeben, doch ich wollte trotzdem, dass sie wusste, dass ich da war. Und es war allemal besser als hier stumm herumzusitzen und mich die ganze Zeit zu fragen, was ich hätte besser machen können.
„Ich mache mir Sorgen um ihn, immerhin ist er noch nicht wieder ganz gesund, er hat noch immer Schmerzen und dass die ganze Verantwortung des Berges auf ihm ruht passt mir überhaupt nicht. Ich bin der Meinung, dass er sich übernimmt, doch als ich das Thema angesprochen habe, hat er mich stur ignoriert. So ein Trottel, er sollte es besser wissen und auf mich hören"
Ich schwieg und sah nun in die Richtung, in der ich Sarah vermutete. Auch wenn ich sie nicht sehen konnte, so fühlte ich mich ihr so ein bisschen näher. „Ich vermisse dich Sarah", flüsterte ich nun und die altbekannte Traurigkeit überkam mich. Ich stand auf und verließ den Raum. Draußen auf dem Gang fühlte ich mich vollkommen ausgelaugt, wie immer, wenn ich in diesem Raum gewesen war. Meine Hoffnung, dass sich Sarah besann schrumpfte mit jedem Tag weiter. Es brach mir das Herz meine Freundin so zu sehen und mich daran zurück zu erinnern, dass sie einst eine so lebensfrohe und herzliche Natur hatte, war schmerzhafter denn je. Ich schüttelte den Kopf und schluckte die Trauer hinunter, ehe ich den Weg in mein Gemach aufsuchte.
Ich bog in den Teil des Berges ab, in dem die Schlafgemächer der Zwerge lagen, die wohl eine höhere Stellung in der Rangfolge nach der Krone hatten. Also quasi die 5-Sterne-Suite eines Nobelhotels...und ich übertrieb nicht. Es war nicht so, dass der Rest des Berges nicht bewohnbar war oder in schlechtem Zustand, doch in diesem Teil des Berges nahm das Wort „nobel" eine völlig andere Bedeutung an. Zwar waren nur wenige Gemächer belegt, denn die Zwerge aus den blauen Bergen waren ja noch nicht angekommen, doch hier würde ausschließlich der Adel leben. Offen zugegeben, ich war noch nie so dermaßen von dem ganzen Prunk und Glanz des Goldes angetan gewesen, doch in den dunklen Gängen, in die niemals ein Strahl Tageslicht gelangte, war der goldene Schein angenehm, denn er reflektierte das Feuer und ließ das alte Gestein heller wirken.
Und diesen Abschnitt des Berges musste man passieren, um in die Königsgemächer zu gelangen. So wanderte ich also den langen Korridor entlang, bis ich auf einmal Bardin etdeckte, der einem anderen Zwerg gegenüberstand. Es war ein jüngerer, der sich gerade etwas in die Tasche gesteckt hatte. Beide sahen ernst, fast grimmig aus, als sie sich die Hand gaben und sich eisern in die Augen starrte. Ein Unwohlsein überkam mich und ich wollte gerade dort verschwinden, wo ich hergekommen war, als mich der jüngere Zwerg entdeckte. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Hand schnellte zu seinem Schwertgriff. Bardin packte das Handgelenk des Jüngeren und sah ihn mahnend an, ehe er ein Lächeln aufsetzte und mich anstrahlte. „Lilly, warum seid ihr zu solch später Stunde noch unterwegs?"
Skeptisch sah ich den Zwerg an. Irgendetwas war mir hier nicht ganz geheuer. Der jüngere Zwerg starrte mich noch immer feindselig an, außerdem schwebte seine Hand noch gefährlich nah über seiner Klinge. Ich beschloss mich blöd zu stellen und setzte ebenfalls ein unbeschwertes Lächeln auf.
„Ja, ich hatte Hunger und kam gerade von der Küche, bis ich mich unglücklicherweise verlaufen habe", ich schlug mir leicht meine Hand gegen die Stirn und zuckte mit den Schultern. „Es tut mir wirklich leid, ich bin auch gerade auf dem Weg ins Bett, also entschuldigt mich", ich lächelte noch einmal und drückte mich an den beiden Zwergen vorbei. Der Jüngere schien beruhigt, doch Bardin würde mir diese Show nicht abnehmen, keine Chance.
Als ich in den sicheren Gemächern angekommen war ließ ich mich in das große Bett fallen und atmete einmal tief durch. Erst jetzt bemerkte ich wie schnell mein Herz geschlagen hatte. Irgendetwas war wirklich merkwürdig gewesen. Die beiden Zwerge hatten heimlich gewirkt, aber nicht gezwungen...fast wie ein Handel...oder sogar ein Tauschgeschäft. Grübelnd strich ich mir die Haare aus dem Gesicht, ehe ich wieder auf die Beine sprang und den Kopf schüttelte. Wahrscheinlich hatte ich mittlerweile nur eine übertriebene Paranoia und da war überhaupt nichts gewesen. Ich schlurfte ins Bad um mich umzuziehen.

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