Im tiefen Walde

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Philipp kniff die Augen zusammen, als die Augenbinde ihm brutal vom Kopf gerissen wurde. In seinem Kopf drehte sich alles und die Sinne mussten sich an das grelle Licht der Taschenlampe gewöhnen, mit dem Kessler ihm direkt ins Gesicht blendete.

„Endstation, ab hier wird gelaufen!", knurrte Kessler und zog Philipp am Arm aus dem Auto, dass er nun als alten Volvo 940 identifizieren konnte. Die Kennzeichen waren jedoch verdeckt.

Eiskalte Luft klammerte sich an Philipps Haut und die unzähligen Vogelgesänge und das ständige Rascheln, wenn er mit den Füssen aufkam, machten ihm nun klar, dass sie in einem Wald war. Leider war dies im Raum München keine Seltenheit und aufgrund der Dunkelheit, konnte er kein Merkmal feststellen.

Durch die ruckelnde Fahrt hatte er auch nicht die Richtung ausmachen können. Er war also Irgendwo im Nirgendwo.

„Du weisst wo durch", sagte Kessler zu Breuer und reichte seiner Freundin die Taschenlampe. Diese nickte und begann vorauszulaufen, während Philipp von Kessler immer wieder unsanft gestossen wurde. Als Drohung drückte Kessler ihm immer wieder die Mündung der Waffe gegen die Wirbelsäule und Philipp musste all' seine Nerven zusammennehmen, nicht einfach umzudrehen und zuzutreten.

„Sobald wird dort sind, wirst du uns die Nummer deines Chefs durchgeben. Hoffen wir, dass ihm etwas an dir liegt und er unseren Forderungen nachgeht.", drohte Kessler und Philipp atmete tief durch, antwortete jedoch nichts. Jedes Wort musste nun mit Bedacht gewählt werden und der junge Kommissar wusste genau, dass er nun in einer Gefühlslage war, die dies nicht voraussetzte. Also wählte er lieber zu schweigen.

„Nicht gerade gesprächig", kicherte Breuer und leuchtete einen abgetretenen Weg an, der ziemlich steil an einem Hügel entlang ging.

„Hoffentlich sind die Muskeln bei dir nicht nur zur Show. Du wirst Kraft und Balance brauchen", bemerkte Kessler hämisch und drückte Philipp erneut die Waffe in den Rücken.

Langsam kamen sie voran und Philipp strengte seine Augen sehr an. Er versuchte, trotzt der Dunkelheit, Erhebungen oder hochstehende Wurzeln zu erkennen, so dass er nicht über seine eigenen Füsse stolperte. „Du hast den Schlüssel dabei, oder?", fragte Breuer, ohne dabei ihren Blick vom Weg abzuwenden.

„Sicher, habe ich ihn dabei. Es ist auch alles aufgefüllt. Wir können uns dort also noch eine Weile verstecken.", antwortete Kessler.

„Wo verstecken?", knurrte Philipp und nun blieb Breuer stehen und drehte sich um. Wie Kessler zuvor, leuchtete sie Philipp direkt ins Gesicht und dieser kniff die Augen zusammen. „Na sieh mal an", begann sie, „es spricht!"

„Er denkt aber nicht, dass wir so dumm sind und ihm verraten, wo wir hingehen?", kicherte Kessler und nickte nach vorne.

„Wir sollten nicht zu viel Zeit verlieren. Zu dieser Zeit sind oft die Raubtiere hier unterwegs. Ich will keinen Schuss abgeben.", deutete er an und Breuer verstand. Sie begann weiterzulaufen und Philipp, wollte gerade einen Schritt tun, als Kessler ihn wieder stiess.

Durch das Licht noch immer geblendet, verfehlte Philipp den Weg und der Fuss trat auf den rutschigen Hang auf, woraufhin Philipp sofort das Gewicht verlor und unsanft auf den Boden aufschlug. Ein unerträglicher, stechender Schmerz ging durch sein rechtes Knie und er sah sich schon den ganzen Hügel hinunterrutschen, doch Kessler packte ihn an der Kapuze seines Hoodies und zog ihn hoch. Der Kragen schnitt sich beinahe in Philipps Hals und er zischte, als er unsanft wieder auf die Beine gestellt wurde.

„Was sollte das denn?", keifte Breuer und Kessler boxte Philipp unsanft in den Rücken. „Was kann ich dafür, wenn dieser Vollidiot keinen Fuss vor den anderen setzten kann!", rechtfertigte er sich und Breuer leuchtete auf Philipps Bein.

Die Jeans war im Kniebereich aufgerissen und die Haut des Gelenkes war bereits vollkommen in Blut getaucht. „Auch das noch", stöhnte Breuer genervt. „Wir haben Verbandszeug oben, oder?", fragte sie und Kessler nickte.

„Also, wir laufen, keinen Zwischenstop für einen Schwatz oder eine dumme Idee!", drohte sie und lief weiter, während Philipp unter Schmerzen hinterher humpelte und Kessler nur einen giftigen Blick kurz schenkte, als dieser ihn an der Schulter vorwärts drückte.

Wie lange sie unterwegs waren, wusste Philipp nicht. Erst, als im Mondlicht eine Hütte zum Vorschein kam, schien die Reise ein Ende zu haben, denn Breuer ging auf sie zu, wartete und fing den Schlüssel auf, den Kessler ihr einhändig zuwarf. Sofort, öffnete die junge Frau dann die Türe, ging hinein und betätigte den Lichtschalter.

„Rein da!", befahl Kessler forsch und schubste Philipp so in die kleine Almhütte auf der Spitze des Hügels, dass dieser stolperte und bäuchlings auf den Boden landete. Im Hintergrund konnte er hören, wie die Türe zugeschlagen und geschlossen wurde. „Holst du mir nun das Verbandszeug?", fragte Breuer hörbar, während Philipp versuchte, die pochenden Schmerzen in seinem verletzten Knie zu ignorieren.

„Wieso?", fragte Kessler beinahe teilnahmslos, während er Philipp wieder aufrichtete und dann auf ein kleines Lagerbett setzte.

„Willst du, dass der Typ uns noch wegen einem offenen Knie verreckt? Dann haben wir nichts mehr gegen die in der Hand, okay? Ausserdem hast du ihn so vor dich geschubst dass er den Hügel runtergefallen ist!", zischte Breuer zurück und mit einem Stöhnen schlurfte Kessler in ein Nebenzimmer und kam, mit einem grünlichen Notfallkoffer zurück. Er reichte Breuer den Koffer und ging zur Küche, wo er aus dem Kühlschrank zwei Flaschen Bier hervorholte, die er öffnete und dann auf den Tisch stellte, bevor er sich auf den kleinen Tisch unter dem Fenster setzte.

„Hübsches Veilchen und rotes Auge dass du da kriegst, scheint, als hätte mein Liebster dich mit dem Ellbogen voll getroffen gehabt", begann Breuer und riss die Jeans mit einem Ruck an der Kniestelle auf. Dies führte dazu dass ein weiterer Stich durch Philipps Gelenk ging und doch presste er die Lippen zusammen, um keinen laut von sich zu geben. „Und eine hübsche, fette Fleischwunde übers ganze Knie. tja, hoffen wir, dass deine Kollegen schnell handeln, denn sowas kann sich böse entzünden. Hoffen wir, dass wir die Blutung stillen können." Unsanft, goss Breuer den Reinigungsalkohol über die Wunde und Philipp atmete scharf ein. Doch wieder gab er keinen laut von sich.

„Du bist wirklich kein grossartiger Gesprächspartner was? Vielleicht hätten wir deine kleine Freundin mitnehmen sollen. Die hätte sicher mehr mit uns geplaudert! Aber das wolltest du ja nicht. Hast dich lieber ergeben und bist mitgekommen." Philipp kniff die Augen zusammen, als Breuer mit Gazen die Wunde abdrückte und dann mit einem Mullbinde das ganze verband.

„Zu süss, man sieht genau, dass du nicht wolltest, dass sie leiden muss! Wieso wohl? Magst du sie? Ist sie mehr als nur eine Kollegin?" Philipp achtete keinen dieser Kommentare. Diese Ärgerungsversuche versandeten im Nichts. Denn sie kannten ja die Wahrheit nicht. 

K11 - Bonnie & ClydeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt