Kapitel 10

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„Gehts wieder?" Fragte Elias, während er mir einen Eisbeutel auf die geschundenen Stellen in meinem Gesicht legte. Ich verbot mir selbst wegzuzucken und unterdrückte ein schmerzerfülltes Stöhnen. Diese Blöße wollte ich mir auf keinen Fall geben. Schon garnicht vor ihm.

Ich nickte nur leicht und schwieg. Wir saßen nebeneinander auf meinem Bett und einen Moment lang, sahen wir uns stumm in die Augen. Ich wollte nach dem Eisbeutel greifen und streifte dabei sanft über seine Hand. Sofort wirkte er verunsichert, ließ es jedoch für einen Augenblick zu. Seine Haut war genauso weich wie sie aussah und wieder einmal wurde mir klar, wie verflucht hübsch dieser Kerl war. „Hübsch" war eine seltsame Bezeichnung für einen Mann, ich weiß, aber er sah so verdammt weiblich aus, dass es das einzige war, das mir einfiel, wenn ich sein Gesicht sah.

Als ich meine Fingerspitzen über seinen Handrücken gleiten ließ, hatte er so einen komischen Ausdruck in den Augen, den ich überhaupt nicht zuordnen konnte. Dann sprang er wie von der Tarantel gestochen auf. „Ich geh kochen." Murmelte er und verschwand in der Küche. Verzweifelt ließ ich den Kopf hängen und fuhr mir übers Gesicht, was ich sogleich wieder bereute, da der dumpfe Schmerz erneut aufflammte. Was um Himmels Willen war bitte los mit mir? Seit wann stellte ich mich so verdammt peinlich an?

Gut 20 Minuten traute ich mich nicht aus meinem Schlafzimmer, obwohl mir das garnicht ähnlich sah. Irgendwann wurde ich dann doch von meinem grummelnden Magen und dem Duft von Gewürzen nach draußen gelockt. „Du kommst genau richtig. In 5 Minuten gibts Essen, deckst du bitte den Tisch?" Den Tisch decken... Das war so ein typisches Familiending, oder? Wusste ich nicht genau, ich hatte ja keine.

Gerade als ich 2 Teller auf das kleine Tischchen am Balkon gestellt hatte, trug Elias 2 Töpfe hinaus. Einer war gefüllt mit Reis und der andere mit Curry. Es duftete köstlich. Mit einem Suppenschöpfer, füllte er erst meinen Teller und dann seinen eigenen. Es war köstlich. Verdammt köstlich. Ich konnte mich garnicht daran erinnern, wann das letzte Mal jemand für mich gekocht und mit mir zusammen gegessen hatte.

Klar, ich ging oft mit Paul oder meiner alten Clique Döner essen oder Pizza bestellen, aber das war irgendwie nicht das Gleiche. In dem Moment fühlte es sich an, als hätte ich nie etwas besseres gegessen. „Du wirst bestimmt mal ne gute Hausfrau." Stellte ich grinsend fest und konnte sehen, wie Elias sofort wieder rot wurde. „Ich weiß es ist nicht das Beste, aber ich denke, dass man es essen kann und..." „Elli?" Unterbrach ich ihn. „Danke." Verlegen sah er zur Seite. „Ist doch keine große Sache." „Danke." Wiederholte ich.

Für mich war es eine große Sache. Zum ersten Mal fühlte sich diese Wohnung nicht so kalt und leer an. Ich konnte einfach nicht anders, als ihn dümmlich anzugrinsen. Nach dem Essen beschloss ich, dass es nun an mir was für den Nachtisch zu sorgen, also stand ich auf und kramte irgendwo aus der hintersten Ecke meines Küchenschranks den teuersten Whisky den ich zuhause hatte. Eigentlich hatte ich ihn für einen besonderen Anlass aufgehoben, aber das war ein besonderer Anlass. Ich knallte die Flasche, zusammen mit zwei Gläsern auf den Tisch. „Bock mal was gutes zu probieren?" Fragte ich ihn kess und wackelte mit den Augenbrauen.

„Also ich weiß nicht. Es ist schon spät und ich mag eigentlich keinen Whisky." Ich ignorierte seine Einwände und schenkte ihm ein. „Jaja, schon klar, du trinkst sicher nur Prosecco, Champagner und dieses süße Gesöff, wo einem der Zucker noch krasser die Kehle wegbrennt, als jeder Alkohol. Zeit erwachsen zu werden." Misstrauisch inspizierte er die braune Flüssigkeit, welche noch ein wenig im Glas herum schwappte. „Ich muss noch nachhause fahren." Wand er ein. „Du kannst doch bei mir pennen. Mein Bett ist groß genug und die Couch kann man ausziehen." Irgendwie hoffte ich, dass er ja sagen würde. Ich hasste es alleine in der Wohnung zu sein. Ich war hier immer und nur allein und es wirkte alles so trist und einsam.

Er legte den Kopf in den Nacken. „Das erlauben meine Eltern bestimmt nicht." Verführerisch begann ich zu grinsen. „Na dann sag es ihnen eben nicht." Jetzt musste auch er lachen. „Wenn ich das mache, dann enterben sie mich. Aber egal, ich lass mir einfach was einfallen. Ich sag mein Auto ist nicht angesprungen oder so." Mein Herz machte einen kleinen Sprung vor Freude, doch ich blieb cool. „Uhhh, der brave Elli wird zum Bad-Boy." Er lachte laut auf. „Ach sei doch leise." Dann nahm er sein Glas und trank einen kräftigen Schluck. Ich war ehrlich gesagt ziemlich beeindruckt was für einen Zug der Typ draufhatte. Ich steckte mir eine Zigarette an und schaute ihm belustigt dabei zu, wie er das Glas in wenigen weiteren Zügen leerte.

„Wir haben morgen Schule. Ist vielleicht nicht so schlau heute zu saufen." Stellte er fest, während ich ihm nachschenkte. „Dafür trinkst du es allerdings, als wär es billiges Gesöff." Dafür, dass er aus gutem Elternhaus kam, hatte er wirklich noch weniger Klasse wenn es um Alkohol ging, als alle anderen Menschen die ich kannte. „Naja, ich trinks ja auch nicht wegen dem Geschmack. Alkohol schmeckt generell immer wie Pisse." Ich prustete fast meinen Whisky über den Tisch. „Müsstest nicht gerade du dich mit dem Zeug auskennen?" Fragte ich, nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

„Meine Eltern haben vielleicht Kohle, aber deswegen bin ich doch keine 60 Jahre alt." Wir lachten beide. „Wenn ich das Gesöff schon tschecher, dann soll es wenigstens seinen Zweck erfüllen." Belustigt und gleichermaßen entgeistert sah ich ihn an. „Gesöff? Weißt du was die Flasche gekostet hat? Und was bitte heißt denn schon wieder tschechern?" An seinen Dialekt konnte ich mich nur ganz schwer gewöhnen. Ich fand es ja süß und unterhaltsam, aber dieser Sprachfehler zerstörte doch immer wieder mein Bild von einem gebildeten, rhetorisch geschickten Typen. „Saufen." Erklärte er. „Sorry, ich vergesse einfach immer wieder, dass du ein Piefke bist." Er grinste mich frech an, doch ich machte mir garnicht erst die Mühe erneut nachzufragen.

Irgendwann im Laufe des Abends verlagerten wir unser kleines 2 Mann Saufgelage auf die Couch, da es draußen zu kühl geworden war. Er war mittlerweile bei seinem dritten Glas und das merkte man. „Sag mal Dima..." Ich legte den Kopf schief. „Warum warst du eigentlich im Gefängnis?" Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Mein Blick schoss auf meine Hände, welche ich im Schoß gefaltet hatte. „Hab Scheiße gebaut. Drogen vercheckt." „Und wieso?" Ich seufzte. „Keine Ahnung man. War jung und dumm. Hab Geld gebraucht und hatte die falschen Freunde." 

„Wieso hast du nicht deine Familie gefragt?" Langsam wurde mir das ganze wirklich unangenehm. Ich sprach äußerst ungern über meine Familie. „Hab keine." Erwiderte ich bloß knapp, doch er ließ nicht locker. „Erzählst dus mir? Bitte bitte bitte!" Wann war er eigentlich so offensiv geworden? Alkohol schien dem Kerl echt nicht gut zu tun. „Wenn du mir hilfst, dass ich eine Zwei in Bio schreibe erzähl Ichs dir." „Einen Dreier. Ich helfe dir, zumindest einen Dreier zu schreiben, dann erzählst du es mir." Er hielt mir die Hand hin. Ich atmete tief ein und ergriff sie.

„Deal."

I'm addicted to you | Boy X BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt