Kapitel 29

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Zehn Mal! Zehn Mal hatte es nun bereits an meiner Tür geklingelt. „Brrrrrrrrt!" Okay... elf Mal. Wer auch immer gerade davor stand, ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Vielleicht ein Kunde, der dringend neuen Stoff brauchte? Ich war einen Blick auf mein Handy, welches ich auf Lautlos gestellt hatte. 15 verpasste Anrufe... Okay da wollte mich wohl unbedingt jemand sprechen. Als die Glocke erneut surrte, gab ich auf, wickelte mich in meine Decke, rappelte mich hoch und schleppte mich zur Tür, wo ich den Hörer der Gegensprechanlage in die Hand nahm. „Ja?" Murmelte ich. „Dima, Alter! Ich wusste doch, dass du hier bist! Willst du mich verarschen? Mach sofort auf, es ist sau kalt!" Es war Paul. Ich drückte auf den Knopf und wartete an der Haustür, bis es erneut läutete. Ich drückte die Klinke hinunter und zog sie auf. „Dima, endlich- Ach du Scheiße, gehts dir gut, Alter? Was ist denn passiert? Ist jemand gestorben?" Ich schüttelte den Kopf und ging einen Schritt bei Seite, damit er eintreten konnte. Sofort musste er husten. „Boa, Digga, wann hast du hier drinnen denn das letzte Mal gelüftet und seit wann rauchst du überhaupt in der Wohnung? Mach mal ein Fenster auf!" Ich lehnte mich gegen die Wand, da ich nicht mehr genügend Kraft hatte aufrecht stehen zu bleiben. „Wieso bist du hier, Paul?"

„Ist das dein Ernst? Miriam und Ronny haben mir erzählst, dass du seit ner Woche nicht in der Schule warst, dich bei niemandem meldest und du bist ja auch nicht erreichbar. Ich hab dich 100 Mal angerufen." Ich schleppte mich zu meinem Sofa und ließ mir drauf plumpsen. „Ist echt lieb, dass du gekommen bist, aber wie du siehst gehts mir gut. Du kannst wieder gehen." Er sah mich abschätzig an. „Nein, wie ich sehe gehts dir komplett beschissen, also werd ich dich bestimmt nicht alleine lassen." Entgegen meiner Aufforderung nahm er neben mir auf dem Sofa platz. „Also, was ist los, du siehst furchtbar aus. Wann hast du denn bitte das letzt mal etwas gegessen?" Erst jetzt bemerkte ich, dass ich nur in Boxershorts und meine Decke gewickelt vor ihm saß. „Keine Ahnung." Gestand ich. „Dima, bitte sprich mit mir. Ich mach mir Sorgen. Was ist passiert?" Ich seufzte. „Ist nicht so leicht zu erklären." Doch er zuckte bloß mit den Schultern. „Ich hab Zeit."

„Paul, wenn ich dir das jetzt sag, musst du mir versprechen, dass du mich nicht auslachst und nicht wütend wirst." „Ich würde nie über Dinge lachen die dir wichtig sind, das weißt du." Ich atmete ein Mal tief durch. „Ich glaube, dass ich mich- nein, ich habe mich verliebt. Ich weiß es." Überrascht sah er mich an. „Und in wen?" Fuck, da musste ich jetzt durch. „In Elias." Jetzt wirkte er richtig verwirrt. „Ein Mann? Bist du sicher." Ich nickte bloß. „Ist doch cool." Ich kannte Paul lange genug um zu wissen, dass ihm das ziemlich egal sein würde, der schwierige Part kam erst jetzt. „Und wie ist der Kerl so?" Fragte er. „Du kennst ihn. Es ist Elias." Langsam schien er zu verstehen, denn ihm klappte die Kinnlade runter. „Der Elias? Der Arschloch-Ex von Miriam? Dein Nachhilfelehrer, Elias?" Wieder nickte ich. „Ja, dass ist... schwierig." Stellte er fest. „Muss ja doch ein ganz netter Kerl sein, wenn gleich zwei meiner Freunde auf ihn abfahren. Aber mach dir nichts draus. Wenn du ihr euch mögt, dann müsst ihr das Miriam irgendwann sagen. Sie hat zwar noch Gefühle für ihn, aber wenn er schwul ist, hätte sie eh nie eine richtige Chance gehabt."

„Das ist es nicht. Er mag mich nicht." Ich lachte bitter. „Ich dachte, dass wir uns vielleicht näher gekommen sind, aber ich hab alles kaputt gemacht." Er zog die Augenbrauen hoch. „Wie meinst du das?" Also begann ich zu erzählen: „Am Anfang hab ich ihn gehasst, aber bei der Nachhilfe sind wir uns näher gekommen und irgendwann im Bett gelandet. Wir haben begonnen miteinander zu schlafen und irgendwie... naja, zu leben. Wir haben gemeinsam gekocht, gemeinsam gegessen und gemeinsam gepennt." Bei dem Gedanken wurde ich wehmütig, aber ich durfte mich jetzt nicht mitreißen lassen. „Ich dachte, dass er mich vielleicht auch mag, aber er hat nie Gefühle für mich gehabt und nur mit mir vögeln wollen, so wie Miriam und ihre beschissene Freundin. Vor ungefähr einer Woche, hab ich einen Brief bekommen. Eine Mieterhöhung. Mir ist die Kohle ausgegangen und ich wusste nicht was ich tun sollte, also bin ich zu Archer." Geschockt sah er mich an. „Du bist wieder du Archer gegangen? Fuck Dima, du wolltest es doch dieses Mal anders machen." Beschämt sah ich zu Boden.

„Paul, ich hatte keine Wahl. Mir ist das Geld ausgegangen und ich hab keine Stelle gefunden, die mich genommen hätte. Er hat rausgefunden, dass ich wieder angefangen habe zu dealen und ist völlig ausgerastet. Irgendwie ist der Streit eskaliert und ich hatte mich nicht unter Kontrolle. Ich hab ihm eine reingehauen und danach ist er verschwunden." Er hatte mich aufmerksam zugehört. „Okay, eins nach dem anderen. Da hast du dich ja ganz schön in die Scheiße geritten." Meinte er, lehnte sich nach vorne und stützte seine Ellbogen auf den Knien ab. „Also erstens: das klingt nicht für mich, als hätte er dich nur ficken wollen. Warum sollte es ihn sonst interessieren, dass du wieder angefangen hast mit dem Ticken? Aber zugegeben, ihm eine aufzulegen, war nicht gerade die beste Entscheidung, wenn es darum geht dich bei ihm zu entschuldigen. Enger zusammengeschweißt hat euch das bestimmt nicht, da hast du recht. Dima, bevor du versuchst das mit Elias gerade zu rücken, musst du wieder aufhören mit der Scheiße. Das ist das allerwichtigste."

„Das ist nicht so einfach. Ich schulde Archer noch Geld und hab seit 3 Tagen nicht gezahlt." Gestand ich kleinlaut. „Was?! Spinnst du? Wieso bist du nicht zu mir gekommen?" Ich sah ihn an. „Naja, es ist nicht so, dass ich das Geld nicht habe. Ich bin einfach nur nicht rausgegangen die letzten Tage." „Das musst du so schnell wie möglich erledigen. Du weißt wie ungemütlich Archer werden kannst. Das machen wir gemeinsam. Am besten heute noch. Man, die haben dir doch nur noch nicht aufs Maul gegeben, weil sie nicht wissen wo du wohnst." Da hatte er recht. „Als nächstes steigst du aus und suchst dir einen normalen Job. Ich helf' dir. Wir schaffen das schon. Dann erst kannst du versuchen dich bei Elias zu entschuldigen."

Ich lachte trocken auf. „Du kannst gut reden, du bist doch nicht besser als ich." Er schmunzelte und sein Blick verlor sich in der Leere des Raums. „Ich bin seit drei Wochen raus. Hab wieder nen Job als Verkäufer angenommen. Hatte da echt Glück, ich weiß bis heute nicht, wie ich das mit der Lücke im Lebenslauf geschafft habe. Außerdem hab ich ne Lehrstelle gefunden. In zwei Wochen fang ich an. Als KFZ-Techniker." Ich staunte nicht schlecht. Autos waren schon Immer eine Leidenschaft von Paul gewesen. Wir hatten früher oft Stunden lang darüber gesprochen. „Alter, Glückwunsch." Ich grinste breit. „Weißt du, irgendwie hast du mich vor ein paar Wochen in Miriams Auto aufgeweckt. Du hattest recht. Es kann nicht ewig so weiter gehen. Außerdem habe ich letztens lange mit Ronny telefoniert. Der hat mir das selbe gesagt. Das gilt auch für dich. Wir regeln das, okay?" Wieder einmal wusste ich warum er mein bester Freund war. Paul war kein Mann großer Worte, aber er war ein Macher. Wenn es ein Problem gab, dann jammerte er nicht, hatte aber auch nicht großartig Mitleid. Weder mit anderen, noch sich selbst. Er suchte einfach nur sofort nach einer Lösung. Dafür hatte ich ihn immer sehr geschätzt.

„Zieh dich an, Dima und hol die Kohle. Wir fahren jetzt zu Archer, du gibst ihm sein Geld und dann sieht er dich nie wieder. Wir holen uns unterwegs einen Döner oder so." „Paul, du musst nicht mitkommen. Du kennst Archer. Das will ich dir echt nicht antun." Er lachte auf. „Denkst du ernsthaft, dass ich dich da alleine hingehen lasse? Digga, du hast seit Tagen nichts gegessen und siehst aus, als würdest du 70 kg wiegen. Wenn er wütend wird, klatscht der dich doch in dem Zustand weg." Das kratzte nun doch ein wenig an meinem Ego. Hatte ich wirklich so abgebaut? Als ich beim anziehen einen kurzen Blick in den Spiegel warf, erschrak ich. Ich sah wirklich furchtbar aus. Tiefe Ringe unter den Augen, eingefallene Wangen und komplett abgemagert. Mein Bart war gewachsen, sah jedoch einfach nur ungepflegt aus und auch meine sonst so kurzgeschorenen Haare waren länger geworden.

„Digga, machst du da drin ne Fashion-Show? Komm jetzt! Alles was im Moment verschissen ist, kannst du so schnell eh nicht mehr retten. Für mich bist du immer schön genug. Beeil dich!" Ich musste lachen. Zum ersten Mal seit Tagen lachte ich. Es fühlte sich gut an.

I'm addicted to you | Boy X BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt