Kapitel 9

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"Tristan?", fragte Sissi total verwirrt und verängstigt, "Was soll das? Lass mich raus!"

Sie versuchte sich an Tristan vorbei zu drängen, doch er hielt sie fest. "Sissi bitte beruhige dich. Wir müssen reden, danach lass ich dich sofort raus und werde dich, falls du es denn möchtest, für immer in Ruhe lassen."

Sissi hatte zwar gehört, was er gesagt hatte, aber sie konnte sich nicht beruhigen, denn sie hasste es irgendwo eingesperrt zu sein! Es brachte bei ihr Gefühle und Erinnerungen ans Tageslicht, die sie lieber für immer in eine Truhe sperren wollte und sie nie wieder zu öffnen. Da sie dies aber nicht konnte, brach sie in Tränen aus und heulte wie ein kleines Kind in Tristans Armen.

"Hör bitte auf zu weinen Sissi. Ich kann mir das nicht ansehen, außerdem werde ich dir nichts tun, dass verspreche ich dir."

Langsam beruhigte sich Sissi wieder und zwar so weit das sie sprechen konnte. Sie befreite sich aus Tristans Armen und versuchte mit fester Stimme zu sagen: "Mir passiert ständig irgendeine Scheiße, falls dir das noch nicht aufgefallen ist, außerdem kann ich auf deine Versprechen scheißen. Das was du getan hast, ist durch nichts wieder gut zu machen, also müssen wir uns nicht unterhalten." Trotz ihrer Mühe klang sie weinerlich und gebrochen.

Tristan ließ die Schultern hängen. "Ich weiß, dass ich es nicht wieder gut zu machen ist, aber glaub mir, wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, doch ich kann es nicht, aber ich kann auch nicht hier leben, wenn ich weiß, dass du hier bist und mich für einen schlechten Menschen hältst."

"Du bist ja auch ein schlechter Mensch", sagte Sissi so ruhig wie möglich.

"Nein bin ich nicht", versuchte Tristan sich zu verteidigen, aber mit einem schuldbewussten Gesicht.

"Warum hast du mir denn nicht geholfen!", sie brach wieder in Tränen aus, sprach aber dennoch weiter. "Du hast einfach nur dagestanden und nichts gemacht und das jedes Mal!", sie schrie mittlerweile schon.

"Ich hatte Angst...", flüsterte Tristan, geschockt von Sissis erneutem Ausbruch. Er wollte Sissi wieder in den Arm ziehen, doch sie schlug seine Arme weg und schrie nicht minder laut weiter: "Du hattest Angst? Du? Was glaubst du denn, wie ich mich gefühlt habe? Also warum hast du mir nicht geholfen?"

"Sissi bitte, bitte beruhige dich wieder. Ich hatte doch keine Angst um mich, sondern um dich. Was hätte er wohl getan, wenn ich eingegriffen hätte? Mich hätte er höchstens rausgeworfen, aber was hätte er dir wohl noch zusätzlich angetan? Es wäre wahrscheinlich alles noch viel schlimmer geworden."

"Wenn du damals wirklich so gedacht hast, warum hast du dann nicht mit mir gesprochen? Warum warst du nicht bei mir, wenn er nicht da war?", fragte Sissi schon um einiges gefasster.

"Er hat mich nicht zu dir gelassen. Du warst immer eingeschlossen und jedes Mal wenn ich es fast geschafft hatte zu dir zu gelangen, hat er es verhindert. Irgendwann hat es ihm dann wohl gereicht und er hat mich auf diese Schule geschickt."

"Das ist doch Schwachsinn. Du wurdest doch nicht von ihm hier hin geschickt, du warst bis zu unserem Umzug da und er ist auch nicht dein Erziehungsberechtigter." Sissi hatte mittlerweile wieder aufgehört zu weinen und hatte sich komplett ruhig.

"Nein er war und ist nicht mein Erziehungsberechtigter, aber er hatte meine Eltern schon sehr früh davon überzeugt, mich hier hin zu schicken, denn er hat meinen Eltern erzählt, dass ich in dich verliebt sei, was natürlich nicht stimmt, doch sie haben es ihm geglaubt und dann alles heimlich in die Wege geleitet"

"Und warum hast du deinen Eltern nie erzählt, was er mir alles angetan hat?"

Tristan nahm vorsichtig Sissis Hände in seine. Sissi wollte ihre Hände eigentlich sofort wegziehen, doch als sie Tristans gequälten Gesichtsausdruck sah, tat sie es nicht.

Er holte tief Luft und fing wieder an zu reden, dieses Mal aber noch trauriger und langsam: "Ich hab drei Tage vor meiner Abreise überhaupt erst erfahren, dass ich weg geh, also hab ich schnell einen Plan geschmiedet. Ich wollte einen Tag vor der Abreise dir einen Zettel zustecken, auf dem stand das meine Eltern, wenn ich weg bin, die Polizei rufen, also bin ich zu dir gegangen. Ich hatte es geschafft ins Haus einzudringen und bin zu deinem Zimmer geschlichen, dann gab es auf einmal einen lauten Knall, du hast geschrien und danach wurde es ganz still. Ich bin durchgedreht, hab gegen deine Tür gehämmert und lauthals geschrien. Als er schließlich die Tür geöffnet hatte, war er voller Blut und du lagst regungslos und blutend auf dem Boden. Er hat mich gepackt und weggezogen. Auf den Weg nach draußen, hab ich immer wieder geschrien: "Was hast du mit ihr gemacht?" Kurz bevor er die Haustür geschlossen hat, brüllte er noch: "Sie ist tot und jetzt verschwinde endlich!" Danach bin ich nach Hause gegangen und hab meinem Vater alles erzählt. Er hat mir nicht geglaubt, bis ich meine Jacke ausgezogen hatte, darunter war nämlich noch ein blutiger Handabdruck, den er hinterlassen hatte, als er mich raus geschleppt hatte und als mein Vater den gesehen hatte, hat er angefangen mir zu glauben. Er ist losgefahren um ihn zu verhaften, aber als er ankam wart ihr schon weg und ich dachte weiter, dass du tot bist. Als du dann auf einmal in der Cafétaria vor mir standest, war das der Schock meines Lebens, aber im positiven Sinne."

Sissi musste wieder weinen. Sie hatte das alles noch nie aus seiner Sichtweise gesehen. Sie hatte immer gedacht, er wollte es, aber wenn sie ganz angestrengt zurück dachte, sah er nie glücklich aus, sondern eher gequält und verängstigt, also überlegte Sissi, ob sie jetzt wo fast alles erklärt war, Tristan wieder vertrauen konnte. Vielleicht, doch eine Sache wollte sie auf jeden Fall noch wissen. Schluchzend fragte sie: "Warum bist du nicht schon früher zu deinem Vater gegangen?"

Tristan ließ Sissis Hände los und raufte sich die Haare. "Er hat mich erpresst Sissi. Ich weiß, dass das keine Entschuldigung dafür ist, dass ich dir nicht geholfen habe. Im Nachhinein würde ich alles anders machen. Es tut mir wirklich, wirklich leid Sissi. Du hast ja keine Ahnung wie sehr es mir leid tut."

Sissi runzelte ihre Stirn. "Erpresst? Mit was?", fragte sie misstrauisch.

"Ich.. ich kann dir das nicht sagen. Noch nicht, aber irgendwann werde ich es dir sagen, versprochen."

"Okay...", sagte Sissi langsam. Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Die Sache mit der Tristan von ihm erpresst wurde, musste wirklich sehr schlimm gewesen sein, wenn er deswegen so eine Angst hatte seinem Vater alles zu erzählen.

Tristan unterbrach ihre Gedanken: "Ich weiß das ist alles ganz schön viel auf einmal und ich die Vergangenheit auch nicht rückgängig machen kann, aber ich würde mir trotzdem wünschen, dass wir noch mal von vorne anfangen und den ganzen Vergangenheitsscheiß einfach in den Hintergrund stellen."

Sissi dachte kurz nach. Zum einen wollte sie, dass alles wieder so zwischen ihnen wurde, wie es war, bevor er kam. Zum anderen wusste sie aber auch, dass es schwierig werden würde, so etwas wie Normalität zu schaffen, doch wenn sie es nicht mindestens versuchen würde, dann würde sie es bestimmt bereuen.

"Versuchen wir es", sagte sie mit zittriger Stimme.

Tristan atmete erleichtert aus und zog Sissi in seine Arme. So standen sie eine Weile da. Sissi leicht weinend und Tristan mit Tränen in den Augen. Irgendwann gähnte Sissi und sie lösten sich von einander. Tristan lächelte: "Ich glaub du solltest ins Bett gehen."

Er schloss die Tür auf und ließ Sissi raus. Während sie den Gang lang lief, war sie Tristan dankbar dafür, dass er sie in die Kammer geschleppt hatte. Sie drehte sich noch einmal zu Tristan um und rief: "Gute Nacht."

How can you love me anyway?Pausiert.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt