Krähe

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Er sah sich um. Es war so dunkel, dass man kaum etwas erkennen konnte. Doch die Schatten der düsteren Bäume waren trotzdem klar und deutlich auszumachen. Und als er sich umdrehte, sah er das riesige, schwarze Gebäude, welches sich in den sternlosen Nachthimmel erhob. Nurmengard.

„Dann komm", sagte Dumbledore etwas knapp und ging auf das große, schmiedeeiserne Tor zu.
Sobald sie nur noch ein paar Schritte davon entfernt waren, wurden erhellte Zauberstäbe auf sie gerichtet.
„Halt! Wer seid ihr und was wollt ihr hier?"

Einer der Männer trat hervor und beobachtete sie zwischen den Eisenstäben hindurch. Er trug eine lange Robe und einen Umhang samt Kapuze, der ihn hier oben warmhielt. Sein Gesicht konnte man nicht erkennen. Er trug eine Krähenmaske, genau, wie die anderen drei Männer hinter ihm. Man sah nur den spitzen Schnabel und die schwarzen Löcher, die für ihre Augen eingelassen wurden.
Felix vermutete, dass das eine Vorsichtsmaßnahme war. Viele dunkle Hexen und Zauberer würden es sicher wissen wollen, von wem sie festgehalten worden waren und würden sich bei der ersten Gelegenheit an die Familien der Wärter rächen.

Dumbledore hob das Dokument in die Luft.
„Ich bin Albus Dumbledore. Ich habe eine Eule geschickt und hier ist die zusätzliche Genehmigung des Zaubereiministeriums. Wir wollen zu Gellert Grindelwald."
„Wer ist Ihr Begleiter, Albus Dumbledore?"
„Das ist Felix Dalius Lewis. Aber das erwähnte ich ebenfalls in dem Brief", antwortete er ruhig.

„Was ist der Grund dieses Besuches?", fuhr der Mann hinter der Maske fort und nahm die Genehmigung entgegen.
„Der Direktor dieses Gefängnisses und ich haben ausgemacht, dass ich dies nicht angeben muss."
Krähe nickte einem der anderen kurz zu, welcher daraufhin sofort verschwand. Mitsamt der Genehmigung. Und so warteten sie. Fast zehn Minuten, in denen es hier oben immer kälter wurde, bis er endlich wiederkam.

Er gab ein nickendes Zeichen und das Tor wurde geöffnet.
„Eure Zauberstäbe müssen abgegeben werden", verlangte ein Dritter. „Das ist Vorschrift."
Dumbledore nickte Felix zu und griff unter seinen Vorhang. Felix tat es ihm gleich und sie übergaben ihre Stäbe dem Mann. Dieser deutete auf Felix.
„Den Schal auch. Wir wollen keine Toten."
Felix schluckte, reichte ihm dann aber das Kleidungsstück.

„Die Umhänge müssen erst oben abgelegt werden. Tragt ihr sonstige Gegenstände
bei euch?"
„Nur den Portschlüssel, mit dem wir hierhergekommen sind."
„Um den muss ich auch bitten. Nach eurem Besuch hier, bekommt ihr alles wieder zurück. - Alles."
Dumbledore griff in seine Tasche und gab ihm die Stoffeule.
„Kommt mit mir!", sagte dann Krähe knapp und führte sie über den weiten Hof, genau auf eine niedrige, schwarze Tür zu.

Er entriegelte sie, trat ein und nachdem auch Dumbledore und Felix eingetreten waren, versiegelte er sie wieder. Die Spitze seines Zauberstabes leuchtete auf und gab nun den Blick auf eine steile Wendeltreppe frei.
„Ich führe euch bis ganz nach oben. Kommt!", drang die raue Stimme unter seiner Maske hervor.
Und so begann der Aufstieg.
Am Anfang versuchte Felix noch, die Stufen zu zählen, aber das gab er auf, als sie bei der 174. angekommen waren. Und das nur, weil er kurz seine Hand hob und sich mit geschlossenen Augen gegen die Wand lehnte.

„Einen Moment", sagte Dumbledore und Krähe drehte sich zu ihnen.
„Was ist los?"
„Er braucht eine Pause", erklärte Dumbledore.
„Weshalb? Wir haben noch nicht mal annähernd..."
„Er braucht eine Pause!", wiederholte Dumbledore und sah ihn bestimmt an.
Der Mann verstummte. Kurz.
„Wie lange?"
Dumbledore sah fragend zu Felix, der sein gesamtes Gewicht auf sein linkes Bein verlagerte und sein rechtes massierte.
„Fünf Minuten. Geht gleich wieder."
„Fünf Minuten. Geht gleich wieder", wiederholte Dumbledore an Krähe gewandt, der sich schnaubend auf eine der Stufen niederließ und sie abwartend ansah.

„Kann mir ja auch nicht vorstellen, warum man zu dem will. War noch nie Besuch da. So gut, wie nie. Hab gehört, ganz am Anfang, hätte ihn immer mal jemand besucht. Aber mittlerweile...der Kerl ist verrückt, nehmt euch in Acht."
„Wir bemühen uns", sagte Dumbledore knapp und musterte den Mann mit blitzenden Augen.
Der erwiderte diesen Blick wahrscheinlich unbeeindruckt, was man aber durch die Maske nicht erkennen konnte.

„Wie auch immer. Ist ja nicht mein Butterbier. Ist nur wirklich ziemlich..."
Er hob seinen Finger und drehte ihn auf der Höhe seiner Schläfe.
„Spricht ständig mit sich selbst. Kennt einer von euch Herr der Ringe?"
Fragend sahen Dumbledore und Felix ihn an. Er winkte ab.
„Ist von nem Muggel. Also wahrscheinlich nicht. Da gibt es auf jeden Fall so ein kleines Monster, das genauso ist. Total irre."
„Ach. Sie lesen?", kam es nur abwertend von Dumbledore, was Felix kurz verwirrt aufschauen ließ.

Normalerweise beherrschte er sich selbst bei den unmöglichsten Menschen, aber die letzte Woche schien wohl sehr an seinen Nerven gezerrt haben.
„Ob Sie's glauben oder nicht, aber hier oben kann es manchmal ziemlich langweilig werden."
„Ach was. Dann muss unser Besuch ja wahrhaftig willkommen sein."
„Wie man's nimmt. Können wir wieder?"
Er drehte seinen Kopf zu Felix, der nur stumm nickte.
„Geht doch."
Schnaubend erhob sich Krähe und ging weiter. Dumbledore starrte ihm auf den Rücken, als würde er ihn gleich die Treppe hinunterstoßen und Felix biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich allein auf die Treppe. Nur immer Stufe um Stufe. Eine nach der anderen.

Nach etwa fünf weiteren Minuten, musste er jedoch um eine weitere Pause bitten. Sein Bein verkrampfte sich so sehr, dass er es kaum noch bewegen konnte. Er setzte sich.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Dumbledore, das Stöhnen des Wärters ignorierend.
Felix nickte.
„Geht schon gleich wieder. Diese Stufen sind nur echt eklig."
Dumbledore lächelte ermutigend.
„Lass dir nur Zeit. Überstürze nichts. Madam Pomfrey saugt mir sonst das Blut aus den Adern."
Felix lachte leise.
„Da könnten Sie sogar Recht haben."

Wenige Minuten später, stand er wieder auf und langsam gingen sie weiter. Der missmutig vor sich hinmurmelnde Wärter vor ihnen schaute nicht zurück. Er lief einfach stur weiter.
Und dann hatten sie es geschafft. Sie bogen um eine Kurve und sahen den obersten Treppenabsatz vor sich. Und als sie den erreicht hatten, standen sie vor einer schweren, schmiedeeisernen Tür. Felix schluckte. Dumbledore drehte sich zu ihm.

„Geht es dir gut?"
Felix Herz raste und er hatte Mühe, nicht laut zu keuchen. Zudem pochte es unangenehm in seinem Bein und er fragte sich, wie er die Treppen je wieder hinabsteigen sollte. Aber er nickte.
„Ja, Professor. Alles gut."
Dumbledore nickte knapp. Er selbst schien kaum außer Atem zu sein, auch wenn sein Gesicht leicht gerötet war.
„Eure Umhänge", erinnerte sie ihr Führer knapp und sie legten sie ab.
„Bereit?", fragte Dumbledore dann und er nickte. „Und zeige dein Mal offen."

Er sollte...was?

Krähe richtete seinen Zauberstab auf die Tür und murmelte leise Worte. Unter Felix' Haut kribbelte es, aber er zwang sich, ruhig zu atmen. Dann richtete Krähe noch ein letztes Mal einen kurzen Blick auf sie und öffnete die Tür.

Der Erbe des Prinzen - Der ÜberlebendeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt