Erschöpfung

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Mel fand ihn wenig später dort vor, wie Felix an dem Rütteln seiner Schulter bemerkte. Er schlug seine Augen auf, erblickte ihn und setzte sich abrupt etwas aufrechter hin.
„Was..."
Er sah sich irritiert um und mit einem Mal fiel ihm wieder ein, dass er sich hier im Wohnzimmer befand.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Mel besorgt und er sah wieder zu ihm.
„Ja, klar. Ich...ich bin nur kurz eingenickt."

Er stützte sich auf und blieb, das kurzzeitige Schwanken verbergend, vor seinem Paten stehen.
„Wie spät ist es eigentlich?"
„Kurz nach halb neun", antwortete Mel und ließ seine Augen prüfend über ihn wandern.
Für einen Moment dachte Felix, er würde wieder etwas wegen seiner Blässe oder den Schatten unter seinen Augen sagen, aber dann legte er einfach nur lächelnd seinen Arm um ihn und zog ihn mit sich.
„Dann komm. Wir essen erst einmal etwas und danach spielen wir eine Runde Schach."
„Ich wollte eigentlich erst noch Seidenschnabel füttern. Sirius wollte heute ausschlafen."
Mel schmunzelte.
„Sirius und Ausschlafen? Dann würde ich sagen, gönnen wir ihm diese Seltenheit. Ich bereite derweil das Frühstück vor."

Gesagt getan. Felix holte sich den Sack mit den Ratten und verschaffte Seidenschnabel sein Frühstück. Was für eine Herausforderung das mittlerweile war, merkte er auch jetzt erst. War der Hippogreif in den Sommerferien noch relativ ausgeglichen, so war es jetzt schon eine wahre Leistung, ihn zu beruhigen, ohne einen Finger zu verlieren.

Als er schließlich doch damit fertig war, verließ Felix ihn wieder und setzte sich zu seinem Paten in die Küche.
„Rührei? Das ist fantastisch."
Mel grinste und schob sich sogleich eine Gabel in den Mund.
„Wir müssen Sirius nur etwas übriglassen, er wird sonst noch unleidlicher."
„Er ist wie Seidenschnabel. Genauso unruhig", murmelte Felix.
„Nun ja, Sirius ist keiner, der untätig herumsitzen kann, während andere da draußen ihr Leben riskieren", sagte Mel, „Im ersten Krieg konnte er mitkämpfen und alles tun, um alle, die ihm lieb und teuer waren, zu schützen. Jetzt..."
Mel seufzte.
„Jetzt sitzt er hier. Remus, Moody, Kingsley, all die anderen, sie tun da draußen etwas. Er muss versteckt bleiben. Weißt du, wie nutzlos und überflüssig er sich vorkommen muss?"
„Ich kann es mir vorstellen", antwortete Felix und starrte missmutig auf seinen Teller.

Ihm ging es doch selbst nicht anders. Er war dazu verdammt, untätig hier gefangen zu sein. Sobald er einen Fuß über die Schwelle setzte, würde ihn entweder ein Auror oder ein Todesser einsammeln. Er wollte beides nicht. Er glaubte sogar, dass Fudge ihn, genau wie Black, dem Muggelpremierminister gemeldet hatte, welcher wiederum den anderen Muggeln berichtete, dass er ein gemeingefährlicher Verbrecher war. Wenn ihn also kein Zauberer aufspürte, dann wahrscheinlich einer der Muggelauroren. Er glaubte, gehört zu haben, dass man sie Polizisten nannte.

Noch während Felix nachdachte, überkam ihn von einer Sekunde auf die andere ein solcher Hustkrampf, dass er seine Finger um die Tischkante schloss und es ihm die Tränen in die Augen trieb. Schnell erhob Mel sich, kam um den Tisch herum und legte die Hand auf seine Brust.
„Alles gut, ganz ruhig. Hey, Felix. Versuch, ruhig durchzuatmen."
Felix schloss seine Augen und holte rasselnd Luft.
„Ich...hab mich nur verschluckt", keuchte er und hustete prompt noch einmal.
„Verschluckt? Warte."
Mit der flachen Hand schlug Mel ihm auf den Rücken und nach einigen weiteren Sekunden des Einziehens von Sauerstoff, lehnte er sich zurück.
„Danke", murmelte er und Mel griff nach einem Glas Wasser, welches er ihm hinhielt.
Felix nahm es entgegen, nahm einen tiefen Schluck und räusperte sich noch einmal.
„Geht's wieder?"
Er nickte. „Ja. Alles gut."
Mel lächelte - etwas gezwungen, wie Felix bemerkte - und kehrte an seinen Platz zurück.

„Also? Was machen wir heute?", fragte er augenzwinkernd und fuhr fort, sein Rührei zu verdrücken.
Felix zuckte mit den Schultern.
„Worauf hättest du denn Lust?"
„Lust ist da jetzt eher nebensächlich, nicht?"
Felix lachte auf.
„Stimmt auch wieder. Na ja, uns fehlen hier auch die Optionen..."
„Schach oder Sirius wecken?"
Felix grinste.
„Ich würde sagen, wir lassen ihm seinen Schönheitsschlaf."
„Also Schach."
„Also Schach", wiederholte Felix und rieb sich über die juckenden Augen.

Er war, was er sich selbst nicht erklären konnte, hundemüde. Obwohl er erst aufgestanden war. Nichtsdestotrotz ließ er sich nichts anmerken und setzte sich nach dem Frühstück mit seinem Paten ins Wohnzimmer, um die kleinen Figuren aufzustellen.
„Ah."
Schmunzelnd sah Mel auf.
„Sirius ist wach."
Felix hatte die Schritte auf der Treppe ebenfalls gehört und sah lächelnd zur Tür. Der Hausherr bog aber geradewegs zur Küche ein.
„Da hat er es aber nicht wirklich ausgekostet", meinte er.
Sein Pate zuckte mit den Schultern.
„Black eben. Bauer auf F5."

Eine ganze Weile saßen sie nun im Wohnzimmer und spielten Schach. Auch, als Sirius zu ihnen stieß und sich, eine Zeitschrift lesend, in einen Sessel fläzte, unterbrachen sie nicht ihre Tätigkeit. Nach der vierten Runde allerdings, waren Felix' Lider so schwer, dass er sich am liebsten an Ort und Stelle hingelegt hätte, um zu schlafen.
Gähnend setzte er seinen Läufer und schlug somit Mels Springer vom Brett.

„Guter Zug. Dafür bist du jetzt deinen zweiten Läufer los, mein Lieber."
Leise lachte Felix.
„Alte Männer brauchen doch auch ihr tägliches Erfolgserlebnis."
Von Sirius kam ein Prusten, während Mel ihn ungläubig ansah.
„Ich tu jetzt einfach mal so, als hätte ich das nicht gehört."
Felix zwinkerte nur, bevor ihn wieder ein Gähnen übermannte.
„Dann schauen wir mal, wie ich meinen Läufer räche", murmelte er.
Mel schmunzelte. „Viel Erfolg."

Felix versuchte wirklich weiterzuspielen, doch nur ein paar Minuten später konnte er seine Augen kaum noch offen halten.
In dem Moment, in dem Mel seine Dame setzte, kippte sein Kopf einfach nach hinten und die Müdigkeit übermannte ihn.
Er wurde erst wieder wach, als Mel ihn hochheben wollte.
„Was...", murmelte er schlaftrunken.
„Ich bring dich hoch", sagte sein Pate leise und legte einen Arm unter seine Kniekehlen.
Aber er wehrte ihn ab.
„Nein, ich...ich würde lieber bei euch bleiben."
Mel ließ von ihm ab.
„Hier unten?"
Felix nickte nur knapp und legte sich dann längs über die Couch.

~

Erst am späten Nachmittag wurde er wieder wach. Eine Weile sah er einfach nur blinzelnd an die alte Decke und den alten Kronleuchter, dessen Kerzen alle schon fast bis auf den Stumpf hinabgebrannt waren, dann setzte er sich auf.
In der Sesselgruppe, rechts von ihm, saßen sein Pate und Sirius, welche eine Reihe von Karten in den Händen hielten. Mel beugte sich zu seinem Gegenüber und tippte die Karten in Sirius' Hand erklärend an.

„Was macht ihr denn da?"
Die zwei Männer sahen auf.
„Felix, du bist wach."
„Ausgeschlafen?"
Er nickte und sah sie dann erwartungsvoll an.
„Ich erkläre Sirius gerade Rummy", beantwortete Mel seine Frage. „Das Kartenspiel ist bei den Muggeln in Amerika unglaublich beliebt. Hab dort auch Black Jack gelernt, aber das kann man nur zu viert spielen."
Felix erhob sich und setzte sich in den Sessel zwischen ihnen.
„Kannst du mir das auch erklären?"
Mel lächelte.
„Aber sicher doch. Sirius könnte eh eine zweite Lehrstunde vertragen."
Belustigt schnaubte der Animagus.

Der Erbe des Prinzen - Der ÜberlebendeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt