• Twelve •

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Paul

Es hatte länger gedauert als ich gedacht und gewollt hatte. Es waren viele Tränen geflossen und ich hatte mich mehr als unwohl gefühlt. Ich hatte mich sogar freiwillig gemeldet, noch einmal die Grenze abzulaufen, um zu prüfen, ob alles sicher war.
Sam hatte mir leise erzählt, sodass es keiner hören konnte, der nichts vom Rudel wusste, dass als sie vorhin den Vampir gejagt hatten, Harry angegriffen wurde. Zwar hatte die Frau ihn nicht getötet, doch anscheinend hatte er einen Schock erlitten und einen Herzinfarkt bekommen.
Er hinterließ eine Frau, Sue und zwei Kinder. Leah, Sams Ex-Freundin, war eine von ihnen. Ich kannte sie nicht persönlich nur von Sams Gedanken.
Er war mit ihr zusammen gewesen, als er sich auf Emily geprägt hatte. Zwar hatte er sich sofort getrennt, dennoch war es kompliziert gewesen. Vor allem, da er Leah keinen genauen Grund geben konnte. Er mochte sie, er hatte sie geliebt, doch mit Emily war es eben etwas anderes.
Es war damals sehr stressig gewesen, den Gedanke von Sam zu lauschen, trotzdem hatte ich mich so gut es ging rausgehalten. Es war schon schwer genug, da musste ich nicht auch noch meinen Senf dazugeben.
Ich war unendlich wütend, dass Harry tot war. Nicht, weil ich ihn gekannt hatte, sondern weil es eigentlich die Aufgabe des Rudels war, auf die Bewohner des Reservates aufzupassen.
An der Grenze des Reservats fand ich keine neue Spur, zwar war es gut, dass die Frau nicht in der Nähe war, doch sie war immer noch irgendwo da draußen.
War es vielleicht meine Schuld? Wäre ich vorhin dabei gewesen, wäre es vielleicht anders gekommen.
Wenn ich sie finde, würde ich sie auf jeden Fall in Stücke reißen.
In mir brodelte es und auch Embry, der mit mir lief, hatte ähnliche Gedankengänge.
Auch nach drei Stunden hatten wir nichts gefunden und drehten langsam um. Obwohl wir die ganze Zeit gerannt waren, fühlte ich mich nicht wirklich ausgepowert. Immer noch kochte Wut in mir hoch, wenn ich an Harry dachte.
Mit etwas mehr Kraft als nötig schmiss ich die Tür hinter mir zu. Es krachte als sie ins Schloss fiel, doch es kümmerte mich kaum. Erst als ich die Stufen der Treppe heraufstieg und mir Tess Geruch in die Nase stieg, fiel mir ein, dass sie noch hier war.
Wie konnte ich es vergessen? Das Ganze hatte mich wohl mehr in Beschlag genommen als gedacht.
Vorsichtig öffnete ich die Tür zu meinem Zimmer und unwillkürlich musste ich lächeln. Das kleine Licht auf dem Nachttisch war an und beschien leicht Tess Gesicht. Tess schlief friedlich unter den Decken, die ich ihr gegeben hatte. Die Kapuze des Hoodies hatte sie sich über den Kopf gezogen und so konnte ich nur einen Teil ihres Gesichtes sehen.
Der Tee in der Kanne war fast leer. Die Tasse hielt Tess noch in der Hand, sie schien währenddessen eingeschlafen zu sein.
Ich durchquerte so leise wie möglich das kleine Zimmer und nahm ihr vorsichtig die halb-volle Tasse aus der Hand. Sie schien die zugeschlagene Tür nicht gehört zu haben.
Ich löschte das Licht und wollte gerade wieder zurück in den Flur, als ich spürte, wie sie nach meiner Hand griff.
„Alles gut?", hörte ich ihr verschlafene Stimme.
„Ich wollte dich nicht wecken. Ist dir warm?" murmelte ich. Es tat gut, ihre Stimme zu hören. Meine Wut, die immer noch schwer in meinem Magen hing, verflog etwas. Stattdessen fühlte ich Schuld.
Ich drehte mich zu Tess, die nickte und sich im Bett aufgesetzt hatte. Sie sah unglaublich süß aus. Ihre Haare fielen wirr über ihre Schultern und sie hatte einen leicht roten Abdruck auf ihrer Wange vom Schlafen. Dennoch konnte ich mir niemand schöneren vorstellen und niemanden den ich lieber in diesem Moment bei mir gehabt hätte.
Ich setzet mich auf die Kante meines Bettes und starrte auf den Boden. In Gedanken halb bei ihr und halb bei den vergangenen Geschehnissen.
„Was ist passiert?", ihre Stimme holte mich wieder zurück in das dunkle Zimmer und zu ihr.
„Es ist meine Schuld, ich meine das Harry Tod ist."
„Warum sollte es deine Schuld sein?" Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter.
„Ich dachte, er hatte einen Herzinfarkt." Kurz schaute ich zu ihr.
„Er wurde angegriffen, vielleicht hätte ich helfen können, wäre ich dabei gewesen." Plötzlich schlangen sich zwei Arme von der Seite um mich.
„Sag sowas nicht, du kannst nicht dafür und du hättest es auch nicht wissen können." Unwillkürlich entlockte es mir ein Lächeln, obwohl ich immer noch nicht ganz zufrieden mit mir war.
„Wärst du dabei gewesen, hättest du mich nicht aus dem Wasser ziehen können." Ihre Stimme war leise und wahrscheinlich hatte sie nicht gewollte, dass ich es höre, doch das tat ich.
Wie recht sie doch hatte. Das war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Ich hätte Tess verloren, wenn ich bei Sam und dem Rudel gewesen wäre und die Vampirfrau gejagt hätte.
Mein Herz schmerze, wenn ich daran dachte, dass Tess nicht mehr da wäre, ich sie nie wieder sehen würde und auch nie in meinen Armen halten könnte. Ich legte meine Hand auf ihren Arm, der um mich gelegt war. Zwar war ich immer noch wütend, dass es ein Vampir indirekt geschafft hatte Harry zu töten, doch meine Selbstvorwürfe waren etwas kleiner.
Wir saßen eine Zeitlang so da, ihr Kopf lehnte an meiner Schulter und ihre Arme um meinen Körper gelegt. Doch schließlich löste sie sich von mir und streckte sich. Die Umarmung fehlte mir augenblicklich, obwohl viel mehr ihre Nähe als die Umarmung.
„Ich kann gehen, wenn du alleine sein willst." Ich sah zu ihr, ich konnte erkennen, dass sie etwas rot geworden war. War ihr es peinlich?
„Nein, bleib ruhig, ich schlafe auf dem Sofa." Ich wollte nicht, dass sie ging, am liebsten hätte sie für immer bleiben können, doch ich wusste, dass es nicht ging.
Plötzlich kamen mir ihre Worte vom Strand wieder in den Sinn, dass sie gehen würde. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Weg, weg von Forks, weg von mir. Ich würde sie nicht mehr sehen können, da ich es nicht schaffte mich zu kontrollieren und mich immer wieder verwandelte, würde ich nirgends wirklich mit ihr hin können außer hier im Reservat.
Ich verkrampfte mich. Ich wusste nicht mal wo sie in Kanada sein würde, nur dass sie dort auf ein Internat ging. Wahrscheinlich war es irgendwo im Osten, nahe New York waren viele international anerkannte Schulen. Es dauerte Ewigkeiten dort hin und es war ein so langer Weg, dass es sich nicht lohnen würde für ein Wochenende oder ein paar Tage sich zu treffen.
Meine Muskeln spannten sich an, ohne dass ich es kontrollieren konnte.
„Wirklich? Ich kann auch gerne auf das Sofa ziehen." Ihre Worte rissen mich wieder aus meinen Gedanken.
„Nein, alles gut." ich lächelte sie an, so gut es gerade ging. Ich wollte nicht, dass sie merkte, wie es mir gerade ging.
Ich erhob mich, drehte mich im Türrahmen jedoch noch einmal zu ihr.
„Schlaf gut, wenn was ist, komm runter." Sie nickte und wünschte ebenfalls eine Gute Nacht.
Ich schloss die Tür.
Im Wohnzimmer ließ ich mich aufs Sofa fallen und rieb mir durchs Gesicht. Würde ich mich besser kontrollieren können, wäre es kein Problem, dass Tess auf eine Schule weiter weg geht. Ich könnte in zumindest ab und an in ihrer Nähe sein, unter anderen Menschen. Doch so war es zu gefährlich. Es war das erste Mal, dass ich ein ernsthaftes Problem, mit meiner ab und an fehlenden Kontrolle hatte.
Mir fiel ein, dass ich auch noch immer nicht mit ihr gesprochen hatte.

Teresa Swan • Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt