• Fourteen •

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Tess

Trotz der erst wenigen Tage, die ich wieder zurück war, hatte ich mich schon wieder eingelebt. Es fühlte sich fast so an, als wäre ich nie weg gewesen. Das alte Gebäude und mein kleines Zimmer hatten mich herzlich willkommen geheißen. Doch nichts ging über Chloé, die mir um den Halsgefallen war und direkt losgesprudelt hatte, was alles in meiner Abwesenheit passiert war. Ich lauschte ihr nur zu gerne, während ich meinen Koffer auspackte.
Zwar hatten wir immer wieder telefoniert, doch ich schien trotzdem einiges verpasst zu haben.
„Was ist bei dir so passiert, ich meine außer Schule und so." Schon die ganze Fahrt hatte ich darüber nachgedacht, was ich auf die Frage antworten sollte. Etwas anderes als lügen blieb mir wohl kaum übrig.
„Nicht viel, kennst mich doch, ich habe für die Schule gearbeitet." Chloé verdrehte die Augen.
„Wie langweilig du doch bist.", doch sie schien es mir zu glauben, denn sie fragte nicht weiter nach, vorerst zumindest.
Den Test bestand ich ohne Probleme, da Chloé mir alle Unterlagen geschickt hatte und ich alles Notwendige nachgearbeitet hatte, war es nicht wirklich schwer.
Eine Woche später saß ich an meinem Laptop und versuchte einen Aufsatz zu schreiben. Es fiel mir immer schwer Texte zu schreiben, Test oder Arbeiten fielen mir leichter.
Immer wieder erwischte ich mich wie meine Gedanken abschweifte, in der Wald draußen sah oder an Paul dachte. Ich hatte tatsächlich eine Schwärmerei entwickelt. In den letzten Tagen dachte ich häufiger an ihn, vielleicht weil er mich gerettet hatte? Doch ich wusste, dass ich mehr als nur das an ihm mochte. Er hatte mich zu sich genommen, ohne dass er es gemusst hätte, er hatte mir alle meine Fragen beantwortet und dann war da noch das Gefühl der Sicherheit, das ich in seiner Nähe immer hatte.
Erneut merkte ich, dass mein Blick auf den leicht im Wind wehenden Baumkronen hing und nicht wie eigentlich gewollt auf meinem Laptop.
Es war aber auch verflixt. Ich hatte bereits alles gesagt, was ich wollte und es fehlten immer noch die Hälfte der vorgegebenen Worte.
Mein Blick glitt wieder nach draußen. Doch diesmal fiel mir etwas ins Auge. Unten am Rand des Waldes sah ich eine Bewegung. Ich konzentrierte mich auf den Punkt, wo ich sie gesehen hatte, doch eine Zeitlang war alles ruhig. Gerade als ich es als Einbildung oder ein Tier abtun wollte, konnte ich einen Wolf erkennen. Mein Herz machte einen Hüpfer, es war Paul. Er musste es sein, der Wolf war riesig und sah zu mir hoch. Es konnte also kein normaler Wolf sein.
Vielleicht wünschte ich mir auch etwas zu sehr, dass er es war. Trotzdem stand ich auf und zog meine Schuhe an.
„Wo willst du hin?" Chloé sah von ihrem Buch auf, ein Liebesroman, während ich mir meine Jacke anzog.
„Ich muss kurz runter, habe mein Buch beim Essen liegen lassen." bevor sie etwas erwidern konnte, zog ich hinter mir die Tür zu.
Ich mochte es nicht zu lügen, vor allem mochte ich es nicht Chloé anzulügen, doch ich konnte nicht anders. Wie sollte ich ihr das mit Paul erzählen?
Ich versuchte möglichst schnell durch die Flure zukommen, dabei jedoch leise zu sein. Eigentlich war bereits Schlafenszeit, also sollte jeder auf seinem Zimmer sein.
Glücklicherweise begegnete ich niemandem und konnte ohne Probleme durch die kleine Seitentür nach draußen schleichen.
Der Wald lag dunkel vor mir. Ich zog meine Jacke enger um mich und suchte im Wald nach dem Wolf oder viel mehr nach Paul.
Doch ich konnte niemanden zwischen den dunklen Bäumen erkennen.
Wieder dachte ich, dass ich es mir eingebildet haben musste und es vielleicht doch nur ein normaler Wolf gewesen war, als Paul neben mir aus dem Wald trat.
Ich lief auf ihn zu und ohne dass ich darüber nach dachte, fiel ich ihm um den Hals. Ich war froh ihn zu sehen und es tat mir leid, dass ich gefahren war, ohne mich zu verabschieden.
„Was machst du denn hier?", fragte ich als ich ihn losließ.
„Ich wollte dich sehen.", ich wurde rot. Mich sehen?
„Nur dafür bist du an einem Mittwochabend bis hier hergelaufen?", er sah ernst aus, obwohl es ein Witz sein sollte.
„Hab ich was falsch gemacht? Ich meine, weil du einfach verschwunden bist." mein Gehirn brauchte einen Moment das gesagt zu verarbeiten.
„Nein, wieso? Ich habe dir doch eine Nachricht geschrieben. Es tut mir leid, dass ich nicht nochmal vorbeigekommen bin, aber es ging alles so plötzlich."
„Nachricht?". Ich sah Paul an, dann dämmerte es mir.
„Du hast sie nicht gefunden. Es tut mir leid, ich hatte dir auf eine Zeitung geschrieben, dass mein Handy an dem Tag kaputtgegangen ist und dass ich mich melde, sobald ich ein neues habe."
Wie wirkte das ganze jetzt nur? Es musste undankbar aussehen, erst rettete er mich und dann verschwand ich ohne ein Wort. Doch nach ein paar Minuten stille, sah Paul plötzlich glücklicher aus.
„Das heißt du bist gar nicht sauer?", das hatte er gedacht? Dass ich sauer war und deswegen einfach abgehauen war?
„Wieso sollte ich sauer sein? Ich verdanke dir mein Leben und du warst als einziger ehrlich zu mir und hast mir alles erzählt."
„Ich dachte du wolltest mich nicht mehr sehen.", er murmelte es nur, doch in der Ruhe der Nacht hörte ich es.
„Es tut mir leid." Ich hatte ein schlechtes Gewissen, was dachte er nur jetzt über mich?
Als ich aufsah und erwartete, dass er enttäuscht oder wütend aussah, blickte ich zu meiner Überraschung in sein grinsendes Gesicht.
„Muss es nicht, schließlich hätte ich nur deine Nachricht finden müssen." ich schmunzelte.
„Du bist nur dafür hergekommen?"
„Naja nicht nur deswegen. Ich wollte dir noch was erzählen." Stimmt, deswegen war ich am Strand gewesen, als Bella die Klippe runtergesprungen war.
„Du hättest eine Mail schreiben können."
„Nein, das ... Ich wollte mit dir persönlich sprechen."
„Langsam mache ich mir Sorgen.", ich lächelte, doch ein wirklicher Scherz war es nicht gewesen.
„Es geht um uns Werwölfe, bei uns gibt es so eine Sache. Es nennt sich Prägen. Es ist wie ..." er schwieg, schien nachzudenken.
„Naja es ist schwer zu erklären. Sobald wir uns das erste Mal verwandelt haben, kann es passieren. Wenn wir die Richtige dann sehen, ist es als würden wir von ihr angezogen und nicht von der Schwerkraft. Es ist ..." wieder schwieg er. Es war anscheinend schwer in Worte zu fassen.
„Seelenverwandtschaft", sagte ich leise und wurde rot. Paul würde mich bestimmt für dumm halten, doch es war anders.
„Ja vielleicht sowas in der Art.", er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Es ist auf jedenfalls so, dass man alles für sie tun würde. Sie soll in Sicherheit sein und es soll ihr gut gehen." Er starrte in die Luft und schien an jemanden zu denken. Plötzlich wurde mir etwas klar.
„Du hättest nicht herkommen müssen, um mir das zu erzählen. Ich meine, du bist sicher 15 Stunden unterwegs gewesen. Außerdem scheint es so, dass du bei jemand anderem mehr sein solltest als hier bei mir." Ich trat einen Schritt zurück und versuchte meine Traurigkeit zu verbergen. Warum machte es mir nur soviel aus?
Paul schaute mich einen Moment an und grinste dann erneut.
„Du denkst, dass ich mich auf jemand anderen geprägt habe?"
Er überwand den kleinen Abstand zwischen uns und zog mich in seine Arme.
„Du bist die auf die ich mich geprägt habe, warum sollte ich sonst hier herkommen." In meinem Bauch begannen die Schmetterlinge zu flattern und ich bekam weiche Knie. Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich hörte seinen Herzschlag.
Es freute mich mehr als ich selber gedacht hätte, auch wenn es sich etwas unwirklich anhörte.
Als er mich wieder losließ, fehlten mir seine Arme um mich und die Wärme, die er ausstrahlte.
„Ich wollte es dir schon die ganze Zeit sagen, aber am Anfang hast du so überfordert gewirkt und na ja am Strand." er musste nicht weiter sprechen, damit ich wusste, was er meinte.
„Schon gut, es wäre trotzdem in Ordnung gewesen, wenn du angerufen hättest. Jetzt verpasst du meinetwegen die ganze Schule." er lachte.
„Mach dir darüber mal keine Sorgen."
„Ich würde dich ja einladen, aber im Haus sind keine Fremden erlaubt und wenn sie dich erwischen, rufen sie wahrscheinlich die Polizei." Wieder lachte er, ein tiefes, schönes Lachen, das wieder die Schmetterlinge flattern ließ.
„Ich muss sowieso wieder zurück, obwohl dort wahrscheinlich auch ärger auf mich wartet." ich schmunzelte, es ehrte mich, dass er für mich das ganze auf sich genommen hatte und trotzdem fühlte ich auch etwas Schuld.
Er drehte sich um und joggte bereits los, als ich ihm nach rief.
„Paul?", er drehte sich wieder um und sah zu mir.
„Bitte denk nicht, dass ich dich nicht hier haben möchte. Ich mag dich und finde es schade, dass uns so ein weiter Weg trennt." Wieder schoss mir Röte ins Gesicht, doch er lächelte.
„Mach dir nicht so viel Gedanken." Er kam noch einmal zu mir und drückte mich. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Plötzlich vermisste ich ihn schon, obwohl er noch gar nicht weg war.
Ich sah ihm einen kurzen Moment nach, solange bis er zwischen den Bäumen verschwunden war, dann drehte ich mich wieder zum alten Schloss hinter mir um.
Seltsam plötzlich waren meine Gefühle viel mehr als eine einfache Schwärmerei. Aber das war es für ihn auch. Ich lächelte bei dem Gedanken, an das, was er mir gerade erzählt hatte.
Ich schlich mich wieder durch die leeren Flure, hoch zu meinem Zimmer. Als ich die Tür öffnete, überfiel mich Chloé bereits.
„Oh mein Gott, wer war das? Du musst mir alles erzählen. Von wegen nur für die Schule gearbeitet." Ich starrte sie an, sie hatte uns von unserem Fenster aus beobachtet. Doch es störte mich weniger als gedacht. Tatsächlich wollte ich sogar reden.
Ich erzählte ihr fast alles, nur eben das mit den Werwölfen ließ ich aus.
Ich sagte, dass ich Paul kennengelernt hatte, als ich Jake besucht hatte und dass ich ihn irgendwie die ganze Zeit schon gemocht hatte. Wir uns dann immer wieder gesehen hatten und er mir eben mehr oder weniger seine Gefühle gestanden hatte.
Chloés Augen läuteten bei meinen Worten, sie stand auf solche kitschigen Lovestorys.
„Ich weiß ja nicht, ob ich es süß oder unheimlich finden soll, dass er bis hier hingefahren ist, nur um mit dir zu sprechen." Ich musste über ihre Worte kichern, natürlich wirkte es so für sie.
„Ich würde ihn nur gerne mehr sehen", murmelte ich und war plötzlich traurig.
Chloé nahm mich in die Arme.
„Er ist für dich 20 Stunden hergefahren, nur um eine halbe Stunde mit dir zu sprechen. Wenn eine Beziehung klappt, dann so eine." Ich lächelte sie danken an.
Wir sprachen die ganze Nacht und ich erzählte ihr noch etwas mehr über meine Erlebnisse in Forks.

Teresa Swan • Paul LahoteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt