Wir kommen im strömenden Regen in Boston an. „Na super.", murmelt Ian und zieht sich die Kapuze über den Kopf. Ich habe keine und muss einfach darauf hoffen, nicht allzu nass zu werden. Die Tür des Fliegers wird geöffnet und wir eilen zum Bus. Noch sind dessen Türen geschlossen. Aber ich werde nicht mehr nass, als wir davor stehen. Verwundert sehe ich nach oben. Ein Regenschirm? Irritiert drehe ich mich um. Harry. Ich verdrehe die Augen und mache einen Schritt weiter vor. Nur für einen kurzen Moment werde ich nass. Ich seufze und drehe mich erneut um. „Es ist wirklich unnötig, dass du einen scheiß Regenschirm über mich hältst.", stelle ich klar. „Ich möchte selbst nicht nass werden. Der Regenschirm ist nur recht groß.", antwortet er mir mit ruhiger Stimme. Ich verdrehe die Augen. „Das ist Bullshit, das wissen wir beide.", entgegne ich genervt. Harry antwortet nicht. Aber ich werde auch weiterhin nicht nass, bis wir in den Bus steigen können und vom Rollfeld fahren.
„Was möchtest du?" – „So offensichtlich?", fragt Ian amüsiert. Ich nickt nur. Er hat sich zu mir gesetzt und es war nicht zu ignorieren, dass er irgendetwas sagen möchte. Er seufzt. „Harry und du habt gesprochen, kann das sein?" – „Wie kommst du darauf?", frage ich irritiert und sehe zu meinem Noch-Ehemann, der auf der anderen Seite zwei Reihen vor uns sitzt. Er ist beschäftigt. Der Laptop steht vor ihm auf dem kleinen, ausklappbaren Tisch und er hält ein Notizbuch in der Hand. Er trägt so eins also immer noch mit sich herum. „Er verhält sich anders.", meint Ian dann. „Findest du?", antworte ich, obwohl ich eigentlich gar keine Antwort haben möchte. Wie soll ich sagen können, ob Harry sich anders verhält, wenn ich nicht weiß, wie er sich normalerweise verhält? Richtig, gar nicht!
„Ich weiß, wir können ihn eigentlich nicht mehr leiden –" – „Aber?", frage ich Ian skeptisch. Er zuckt mit den Schultern. „Es sieht aus, als würde es ihm nicht gut gehen." Ich schweige daraufhin. „Und heute Morgen war es besonders schlimm." Ich widerspreche nicht. Ich weiß, dass Ian recht hat. Harrys Augen waren rot und angeschwollen, die Ringe darunter tief und dunkel. Außerdem trägt er lediglich eine seiner Yoga-Hosen, das hat er bisher nie getan, wenn er für Lightning gearbeitet hat. Es ist wahrscheinlich jedem hier aufgefallen, aber es hat niemand etwas gesagt.
"Was soll ich dazu sagen, Ian?", möchte ich wissen. „Was hast du ihm gesagt?" Ich zögere, aber mein Teamkollege sieht mich abwartend und erwartungsvoll an. Das wird die ganze Fahrt bis zum Hotel so weitergehen, wenn ich nicht antworte. Schließlich seufze und ich antworte: „Ich habe lediglich klargestellt, dass ich von ihm erwarte, dass er bei der Scheidung seinen richtigen Namen wieder annimmt." – „Seinen alten Namen." – „Was?" – „Du hast gesagt, seinen richtigen Namen. Theoretisch ist im Augenblick Tomlinson schon sein richtiger Name.", bemerkt Ian. „Du weißt genau, was ich meine.", brumme ich genervt.
„Ian sieht für einen kurzen Moment zu Harry, ehe er sagt: „Er erinnert mich an dich." – „An mich?", frage ich irritiert und perplex. „Wieso sollte er dich an mich erinnern? Wann habe ich mich jemand derart verhalten?!", rege ich mich sofort auf. „So meine ich das nicht.", grätscht Ian sofort dazwischen. „Ich meine eher, dass er so aussieht, als würde es ihm so schlecht gehen, wie es dir vor zwei Jahren ging.", erklärt er. „Bullshit.", antworte ich sofort. „Ihm geht es nicht ansatzweise so schlecht, wie es mir ging.", stelle ich klar. „Selbst wenn er nicht daran gedacht hat, dass er bald kein Tomlinson mehr sein wird... das ist definitiv nicht mit meiner Situation damals zu vergleichen." Daraufhin sagt Ian nichts.
Der Bus fährt durch die Straßen und wir kommen dem Hotel immer näher. Meine Gedanken kreisen und lassen sich nicht auf ein anderes Thema lenken. Verflucht.
„Meinst du wirklich, dass es ihm wegen der Scheidung nicht gut geht?", frage ich nach einer Weile zögerlich meinen Sitznachbarn. Ian scheint verwundert über die Frage zu sein, lässt sich das aber nur einen kurzen Augenblick anmerken. Dann zuckt er mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Ich habe Harry genauso lange nicht mehr gesehen wie du.", merkt er an. „Aber das war mein erster Eindruck." – „Ich verstehe das nicht.", gebe ich zu und schon wieder gleitet mein Blick zu meinem Noch-Aber-Bald-Ex-Ehemann. „Zwei Jahre meldet er sich nicht und jetzt hat er ein Problem damit, sich von mir scheiden zu lassen. Wo ist der Unterschied? Er war die letzten 22 Monate nicht bei mir, es ändert nichts, nur weil wir auf dem Papier nicht mehr zusammengehören." – „Das kann ich dir nicht beantworten. Das verstehe ich genauso wenig, wie du." Ian sieht mich entschuldigend an.