01 Bedrückte Stimmung

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Als ich gegen 10:00 Uhr morgens das Gebäude betrete, sehe ich Mike, unseren Wachmann, mit ernstem Gesicht an seinem Platz sitzen. Es ist völlig untypisch für ihn, denn normalerweise lacht er viel und hat immer einen freundlichen Spruch auf den Lippen. Seit ich hier arbeite und das sind bereits 6 Jahre, habe ich ihn noch nie so gesehen. Auch andere Kollegen gehen eher ernst an mir vorbei, als ich meinen Chip an die Stechuhr halte und auf das typische Piepen warte. Da Mike gerade mit einem unserer Prokuristen spricht, will ich ihn nicht fragen was los ist mit ihm, also grüße ich ihn wortlos mit einem Winken, welches er ohne ein Lächeln erwidert und gehe zügig zu einen der Aufzüge.

Mein Büro liegt im 8. Stockwerk, nun ja es ist nicht nur meines allein, wir sind dort sechs Frauen und zwei Männer und kümmern uns von dort aus um administrative Aufgaben innerhalb der Gruppe. Die Global-Industries Company, für die ich arbeite, ist eine Holding, unter der mehrere Firmen vereint sind und die nur ein Mann führt, Franklin H. Carson. Ein Geschäftsmann der alten Schule durch und durch. Er führt die Holding seit beinahe 50 Jahren allein und mit strenger Hand, aber er ist weit davon entfernt ein Tyrann oder einer dieser geldgeilen, ständig unzufriedenen und schlecht gelaunten Schreibtischbosse zu sein, denen der Bezug zu den Angestellten vollkommen abhandengekommen ist. Für ihn wurde der Ausdruck Gentleman erfunden. Das liegt nicht nur daran, dass seine Familie aus England eingewandert ist und er Sean Connery ziemlich ähnelt, ich denke es ist einfach der besondere Typ Mensch, der in ihm steckt. Wir alle lieben ihn dafür, er ist einfach der beste Chef der Welt, was man allein daran schon sieht, dass die Fluktuation hier äußerst gering ist. Alle paar Jahre kündigt mal einer und dann meist, weil der Ruhestand winkt. In den Jahren, in denen ich hier bin, kam das nur zweimal vor.

Als sich die Türen des Aufzuges öffnen erwarte ich die normale Geräuschkulisse, doch heute ist es still. Keiner arbeitet, alles steht in kleinen Gruppen zusammen und man redet. Ich gehe in mein Büro und lege gerade meine Sachen ab, als eine meiner Kollegin, ihr Name ist Cindy, kreidebleich hereinkommt.

„Morgen Cindy, was ist denn hier heute los, alle sind so bedrückt und nichts läuft hier?", frage ich, stelle meine Tasche neben meinem Schreibtisch ab und schalte mein Laptop ein.

„Man Susan, du weißt es ja noch gar nicht. Franklin ist tot. Man hat ihn gestern Nacht in seiner Villa gefunden."

Erschreckt halte ich mir die rechte Hand vor meinen Mund und kann nicht glauben, was ich höre. Ich muss mich hinsetzen.

„Das ist nicht dein Ernst. Das glaube ich nicht. Was ist passiert?", frage ich sie ungeduldig.

Cindy berichtet mir was sie weiß und was sie gehört hat. Franklin soll wohl einen Herzanfall gehabt haben. Sein Buttler hat ihn gegen Mitternacht in seinem Arbeitszimmer gefunden. 84 Jahre ist Franklin „nur" geworden. Ich bin geschockt. Ich habe, so wie die meisten hier, Franklin oft persönlich getroffen und er hat immer Zeit gefunden für ein paar Worte. Es macht mich traurig zu wissen, er kommt nicht wieder. Auch wenn die Stimmung bedrückt ist, das Geschäft muss weitergehen, so hätte Franklin es gewollt.

Also sammeln wir uns irgendwann und gehen wieder an die Arbeit. Businness as usual ist es aber eher nicht. Der Tag ist entsprechend und die Nachricht von Franklins Tod kommt dann auch durch die Medien, was bei uns zu einem erhöhten Telefonaufkommen führt, denn ob es nun Kunden oder Geschäftspartner sind, alle wollen aus erster Hand wissen, was sich zugetragen hat. Einige kommen persönlich und verschwinden mit der Führungsriege in den Besprechungsräumen. Veränderungen liegen in der Luft.

In den nächsten Tagen gehen viele schwarz gekleidete Leute bei uns aus und ein. Einige kenne ich, es sind Anwälte, andere sind mir unbekannt. Wir sorgen dafür, dass die Besprechungsräume vorbereitet sind und kümmern uns um Hotels und Transport. Es gehen viele Gerüchte und auch Ängste um. Keiner weiß was nun aus der Holding werden soll, denn Kinder hatte Franklin keine. Ob wir alle noch einen Job haben, sollte sie zerschlagen und verkauft werden, ist fraglich.

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