Daniel Tschofenig x Philipp Aschenwald

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P.O.V. Philipp
Während ich im Warteraum darauf wartete das Duell gegen Jan bestreiten zu können, ging ich meine bisherige Tournee noch einmal durch. Angefangen hatte es in Oberstdorf, 18. Platz in der Quali und 23. Platz im Bewerb. Da hat weder der erste noch der zweite gepasst. In der Quali war der Sprung besser. Da die Qualifikation aber vor dem Bewerb gesprungen wurde, war ich mit dieser Station nicht zufrieden und meine mentale Stärker hatte noch einen Sprung hinunter gemacht. Dasselbe in Garmisch. Die Quali war nicht gut und mit dem Bewerb war ich auch keineswegs zufrieden, wenn ich mir den zweiten Durchgang anschaute. Vom ersten wollte ich gar nicht anfangen zu reden. Der war äußerst gut, jedoch verhaute ich meinen Sprung im zweiten Durchgang so dermaßen, dass meine Hoffnungen auf einen besseren Platz als die letzten Male sogleich, nachdem ich gelandet war, verschwunden waren. Und das waren erst zwei von vier Stationen gewesen. Im Moment waren wir in Innsbruck. Die Quali gestern, von der wollte ich gar nicht reden, da ich mit meinem 44. Platz mehr als unzufrieden war. Einem mental gesunden Springer tat das nichts. Der schaute sich den Sprung an, machte es im Wettkampf besser und gegessen war die Sache. Ich jedoch, mit meiner Psyche, konnte es nicht einfach besser machen. Ich suchte jeden Fehler bei mir, auch wenn ein schlechter Sprung vielleicht durch den Wind verursacht worden war, suchte ich, was ich falsch gemacht hatte. Ich machte mir zu viele Gedanken darüber, was ich noch ändern könnte, dass ich besser sprang. Das umzusetzen, was wichtig war, gelang mir aber nicht. Jan holte mich aus meinen Gedankengängen, indem er mir eine Hand auf die Schulter legte. Ruckartig schaute ich auf. „Wir müssen.", sagte er und ging hinaus. Da ich vor ihn musste ging ich schnell hinterher.
An den Windfähnchen sah ich, dass der Wind gut war. Also musste es definitiv an mir liegen, wenn der Sprung schlecht war. Ich bekam das Freizeichen und ich fuhr los. Schon die Hocke fühlte sich nicht gut an und in der Luftfahrt wurde das alles nicht besser. Ich landete weit vor dem K-Punkt. Ich konnte mich schon verabschieden, das reichte niemals für die Lucky Looser. Nie. Im. Leben. Frustriert und deprimiert schnallte ich mir die Ski ab und stellte mich dann auf den blauen Teppich. 112 Meter nur. Damit war ich dann endgültig raus. Auch wenn ich jetzt noch 5. Der Lucky Looser war. Johann traute ich nicht zu, dass er so kurz sprang, dass er hinter mir landete. Robert ebenfalls nicht. Ich musste mich konzentrieren meine Tränen zurückzuhalten. Ich war einfach so deprimiert und gleichzeitig wütend auf mich, dass ich es nicht schaffte richtige Sprünge auszupacken. Jan sprang viel weiter als ich, was logisch war. Während die Kamera auf ihn gerichtet war und er noch am Ausfahren war, schaute ich auf den Boden. Ich war kurz davor anzufangen zu weinen. Was konnte ich denn überhaupt? Nichts. Einfach nichts. Und wieder war es Jan, der mich mit einer kurzen, aber festen Umarmung und einem geflüsterten „Tut mir leid" aus meinen Gedanken holte. Spätestens jetzt wusste ich, wieso ich meine Brille immer noch oben hatte. Das angesammelte Wasser verließ in Form von Tränen meine Augen. Ungeduldig wartete ich darauf endlich gehen zu dürfen. Wieso musste das alles so lange dauern? Als das Ergebnis auf dem Bildschirm zu sehen war, machte ich einen Schritt zurück, schon bereit zu gehen, und hielt Jan noch schnell meine Hand hin, in der er auch recht schnell abklatschte. Direkt danach und keine Sekunde später verließ ich den Auslauf und ging mich umziehen. Ohne nachzudenken, nahm ich mir die Brille erst einmal von den Augen und nahm dann den Helm ab. Meine Ski gab ich einem Betreuer und nahm meine Tasche entgegen. Jan, der mir jetzt auch hinterher gegangen war, setzte sich neben mich, befreite seinen Oberkörper vom Anzug, zog sich etwas Langes drüber an und nahm mich in den Arm – mittlerweile war auch Forfang gesprungen und es war klar, dass ich draußen war. Robert war viel zu gut in From um noch kürzer als ich zu springen. „Es tut mir so so leid, dass ich dich rausgeworfen habe.", flüsterte er, diesmal die etwas längere Variante. Die Umarmung war fest und zwischendurch drückte er mich kurz. Ich schluchzte einmal auf, da der Druck in meiner Brust zu groß geworden war und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter. „Wir sollten uns fertig umziehen", sagte er, während er mir über den Rücken strich, bevor wir uns lösten. Kurz konnte ich mich sogar beruhigen. Allerdings nur so lange, bis Jan und ich auf dem Weg hinauf waren. Kaum waren wir aus dem Umzugsbereich draußen, wurden meine Augen wieder nass. Da meine Augen schnell ziemlich nass wurden blieb ich vor der langen Treppe stehen. Ich zog meine Haube so weit hinter wie es ging, machte meine Jacke zu und vergrub mein Gesicht bis zur Nase darin. Losgehen traute ich mich jedoch nicht. Verunsichert, fast schon ängstlich beäugte ich die Leute, die links von mir standen. Ich wollte jetzt nicht so nah an denen sein. Jan schien zu bemerken, wie unsicher ich war und machte einen Schritt nach hinten, zog mich leicht auf seinen vorherigen Platz und stellte sich dann zwischen mich und die Zuschauer. Dankbar darüber, dass er das getan hatte, schaute ich ihn an, lächelte leicht. Das Lächeln hielt jedoch nicht lange. Schnell verlosch das Schmunzeln. Jan drückte kurz meine Schulter, als Zeichen, dass er gehen wollte. Also setzte ich einen Fuß vor den anderen und machte mich, mit Jan an meiner Seite, auf den Weg zum Lift. Ungefähr bei der Hälfte der Treppe hatte ich Angst, dass ich eine Stufe verfehlen könnte, da meine Augen so viel Flüssigkeit gesammelt hatten, dass ich nurmehr verschwommen sah. Deshalb überwand ich mich und blinzelte die ersten Tränen aus meinen Augen. Unten angekommen nutzte ich den breiten Weg und brachte so viel Abstand wie möglich zwischen mich und die Leute, indem ich schon fast in der Wand ging. Jetzt traute ich mich auch einmal kurz leise zu schluchzen. Jan, der immer noch neben mir ging und auch genau so viel Abstand zu den Zuschauern hatte, um bei mir zu sein, legte einen Arm um mich und drückte mich an sich. Irgendwie wirkte er auch niedergeschlagen. „Hey, what's wrong with you?", kam beim Lift plötzlich Marius daher. Das Bild, was er sah: Ich lehnte mit äußerst verheultem Gesicht mit dem Rücken an der Wand und starrte in die Leere. Ich lächelte nur für eine Sekunde verzwickt. Wenn ich jetzt darüber sprach, fing ich sofort wieder mehr an zu weinen. „He's very frustrated that he's not in second round and I think you know about his general mental state.", übernahm Jan sofort für mich. „Oh dear yeah, this is frustrating. Don't give up. I'm behind you Buddy. I hope you know that. " Als Bestätigung nickte ich, trocknete mir meine Augen mit meinen Ärmeln, zog einmal den ganzen Rotz in meiner Nase hoch und antwortete: „I'll try to keep going." Marius umarmte mich noch einmal schnell, klopfte Jan auf die Schulter und verabschiedete sich mit einem kurzen „See ya". Jetzt waren wir wieder allein. Im Lift schaute ich mir alle Nachrichten auf Instagram an. Schlechte Entscheidung. Mehr als ein Drittel dieser Nachrichten waren Storys von Fans, in denen sie um mein Ausscheiden trauerten. Das tat ich auch, allerdings jetzt wieder mehr als noch vor 3 Sekunden. Jan schaute auch auf sein Handy und sah deswegen nicht, dass ich weinte, da ich auch keinen Ton von mir gab. Nur die Tränen flossen meine Wangen runter. Erst kurz bevor wir aussteigen mussten, sah er es. „Oh Philipp. Ist es deswegen?", fragte er eigentlich unnötig. Jedoch nickte ich. Die Türen gingen auf und Jan schob mich zu den Containern. Ich machte mir gar nicht die Mühe mich auf eine Bank zu setzten, ich ließ mich an der Wand hinunterrutschen, bis ich am Boden angekommen war. Ich lehnte meinen Kopf nachhinten gegen die Wand und atmete tief durch. „Wo ist Tschofe?", fragte ich mit brüchiger Stimme, während mir immer noch die Tränen wie Bäche die Wangen hinunterliefen. Bevor Jan überhaupt antworten konnte, ging die Tür auf und Tschofe kam zu meiner Erleichterung hinein. Dieser sah mich auch sofort und hockte sich vor mich. Seine Hände auf meinen Knien sagte er: „Es wird wieder. Glaub an dich okay?" Ich merkte, dass er noch viel mehr zu sagen hatte. Jedoch fehlte die Zeit. Er wusste ganz genau, was in meinem Kopf vorging. Er wusste, wie ich mich fühlte. Er wusste, dass ich schon einmal fast am Ende meines Lebens war. Im Grunde wusste er fast mehr über mich als ich über mich selbst und vor allem mehr als die anderen über mich wussten. Was in meinem Kopf vorging? Gedanken. Gedanken, was ich doch alles besser machen könnte und was ich falsch gemacht hatte. Gedanken, ob es nicht, doch besser wäre das Skispringen zu lassen. Gedanken, darüber...einfach über jede Kleinigkeit. Das machte mich kaputt, jedoch konnte ich es nicht ausschalten. Diese ständigen hohen Erwartungen ans Team, die die anderen auch zum Großteil erfüllten – nur ich tanzte aus der Reihe und lieferte ein schlechtes Ergebnis nach dem anderen. Ich wollte schon gar nicht mehr zu irgendeinem Interview gehen, da ich nicht wusste, was ich auf die Fragen wie „Wie war der Sprung für Sie?", „Was können Sie anders machen?" oder „Warum läuft es in letzter Zeit nicht so für Sie?" antworten sollte. Seh ich so aus, als wüsste ich, was bei mir los war? Meine Sprünge waren scheiße, was ich anders machen konnte, wusste ich nicht und die dritte Frage hatte ich eh gerade beantwortet, ich wusste nicht, was los war. Ich konnte einfach nicht mehr. Es war ja nicht nur diese Saison, die so lief. Ich war letzte auch grottenschlecht. „Philipp?", ich schreckte hoch und schaute mich um. Tschofe stand wieder und schaute mich so an, als hätte er eine nicht so schöne Nachricht. „Die Medien wollen ein Interview von dir. Wir haben alles versucht, sie davon abzuhalten, aber nichts hat geholfen. Ich habe dann gesagt, dass sie dir etwas Zeit geben sollen, und konnte die Zeit von 10 auf 30 Minuten strecken." Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich mittlerweile regelmäßig Panikattacken bekam, wenn ich schon nur das Wort Presse oder Medien hörte? Nein? Dann, bitte schön: Augenblicklich fing mein Herz an zu stolpern und schneller zu werden. Ich fing an zu zittern. Ich wollte das nicht. Ich wollte mich nicht schon wieder diesen Fragen geben müssen. Kein weiteres Mal in der Woche. Dachten eh schon alle, dass ich der letzte Penner sei. Die Prozedur mich zu beruhigen, kostete Tschofe und Jan mindestens 15 Minuten. „Ich komm mit dir mit okay?", sagte Tschofe. Moment, er? „Aber es weiß doch niemand von uns und wir wollen doch beide, dass es so bleibt.", sagte ich. Daniel strich mir durch die Haare. „Ja, das weiß ich. Gut, dass Kameras, auch wenn sie noch so gut sind, keinen 360° Winkel haben. Ich stell mich einfach aus dem Bild und bin trotzdem bei dir.", beruhigte er mich.

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