Narben

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Der Wecker riss mich aus meinem Traum. Ich hatte ihn genau da vergessen als ich aufwachte. Ich schaute auf die Uhr und musste feststelln dass ich bereits vor 20 minuten hätte aufstehen solln. Obwohl ich mich beeilte erwischte ich den Bus nichtmehr und musste mit einem Erschrecken feststellen wie kalt es drausen war, als ich den Weg zur Schule ansteuerte. Die strecke war nicht sehr besonsers. Die Haupstraße entlang über die Brücke, dann einen kurzen Teil durch die Stadt und schließlich die Parkanlage hoch. Ich spürte wie der Wind durch meine Jacke bließ und mir wurde klar dass ich dieses Jahr früher die Wintersachen auspacken musste als sonst. Die schönen buntern Blätter und die Herbstsonne anfang Oktober gab es schon lange nicht mehr. Ich konnte mich nichtmehr daran erinnern wann ich einen Drachen hab steigen lassen oder fröhlich in einem Laubhaufen rumgesprungen bin. Aber ich wusste dass ich es irgendwann einmal getan hatte. Ich erreichte das Klassenzimmer mit der gleichen beschissenen Laune wie jeden Tag. Langsam schlürfte ich nach hinten und ließ mich neben Sophie auf dem Stuhl nieder. Ich hörte Tobsi und Hannes zu, wie sie über ein Mädchen aus der 7. Redeten.
Ich denke Sophie tat das gleiche.
"Die will nur aufmerksamkeit"
"Ja wirklich! Bilder rum schicken sowas macht man doch nich"
Ich wusste wovon sie redeten. Das Mädchen erzählt allen möglichen Leuten seit der 5. Klasse, dass sie sich ritzt. Dann schickt sie ihnen Fotos von den Wunden. ich konnte es mir nicht vorstellen sich etwas anzutun nur um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich konnte es mir generell nicht vorstelln mir etwas an zu tun. "Von wem reden die?" Fragte Sophie. "lulu. So nem Mädchen aus der 7. Die jedem erzählt wie scheiße ja ihr leben ist." Ich denke nicht dass man mit 12 von einem Scheiß leben sprechen kann, zumindest so lange man nichts erlebt hatte, was dein Leben zerstörte. " An dieser Schule ritzen sich viele. Leute von denen du es nicht im geringsten erwarten würdest." Sie sah mich nicht an als sie mit mir redete.
"Woher willst dus wissen?"
"Achte im Sommer auf ihre Beine und Arme, ich seh bei vielen Narben oder Schnitte"
Jetzt sah sie mich wieder an. Ich dachte darüber nach was sie gesagt hatte. Wenn ich so recht überlegte war mir noch nie auch nur an irgendwem irgendwas aufgefallen. Noch nicht einmal an Lulu.
"Echt wer denn?"
Mir war klar dass ich darauf keine Antwort bekommen würde aber die Frage schoss einfach so aus mir herraus. "Schaus dir nächsten Sommer selbst an" Jetzt kam unser Lehrer herrein und der Unterricht begann. Mir schwirrten die Worten von Sophie durch den Kopf. Nächsten Sommer. Ich wollte micht daran denken wie viele Kalte Tage, wie viel Schnee und Nebel ich bis dahin ertragen müsste. Die Stunde verging langsam. Als es zu pause läutete bekam ich ein Gespräch zwischen Miri und Lea mit, die sich über das Tutorenseminar in 2 Tagen unterhielten. Das hatte ich komplett vergessen und wie sich herrausstellte Sophie auch. Wir mussten beide lachen, bei der Vorstellung, dass wir am Mittwoch ohne Gepäck für drei Tage Seminar in Bad-Tölz in die Schule gefahren wären. Ich freute mich darauf. Endlich raus aus diesem monotonen dünsterem Ablauf. Auch wenn nur für drei Tage.

cool kids can't dieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt