46 | Elawa Aikaterini Foxwish

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Ich war in einer leeren Gefängniszelle an einen Stuhl gefesselt, Handschellen schnitten in meine Haut. Ich wusste nicht, wie lange ich hier schon saß. Immer wieder betraten Wächter den Raum und stellten mir Fragen. Ich beantwortete keine davon. Sie klangen immer ungeduldiger. Ich fragte mich, wann sie die Geduld mit mir verlieren würden. Wann sie mich töten würden. Ich wartete nur noch darauf, dass sie mich töteten.

Früher wäre es mir wahrscheinlich egal gewesen, wenn ich starb. Ich war taub gewesen, hatte an manchen Tagen sogar darüber nachgedacht, mein Leben selbst zu beenden.

Nun hoffte ich, dass Ambrose mich nicht vergessen würde.

Obwohl ich nicht wollte, dass er mit dem Schmerz leben musste.

Sie hatten mich zurück zum Palast gebracht, aber ich wusste nicht, in welchem Teil des Palastes ich war. Wenn keine Wächter die Zelle betraten, war es still, abgesehen vom Tropfen eines Lecks in der Wasserleitung. Zuerst schenkte ich dem Wasser nicht viel Aufmerksamkeit, aber nach einigen Stunden, zumindest fühlte es sich so an, die ich in der Zelle verbracht hatte, begann ich, darüber nachzudenken. Wasser. Wahrscheinlich würde ich nicht weit kommen. Ich hatte meine Magie seit Jahren nicht mehr benutzt, zumindest nicht absichtlich. Und hier unten war alles bewacht.

Aber wenn ich ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, konnte ich genau so gut sehen, wie weit ich kam.

Als das nächste Mal ein Wächter die Zelle betrat, ließ ich die Wasserleitung bersten, bevor er die Tür hinter sich schließen konnte. Kaum berührte das Wasser meine Handschellen, kühlte ich es so weit hinunter, bis das Metall zersprang. Dann ließ ich die Wasserleitung an weiteren Stellen zerspringen, bis es die Zelle überschwemmte und ich selbst kaum mehr stehen konnte.

Dann brachte ich das Wasser um den Wächter herum zum Kochen.

Ich sah nicht zu, wie er starb, sondern rannte an ihm vorbei, so schnell, wie ich im Wasser rennen konnte, bevor die Wärme sich ausbreiten konnte. Während ich rannte, schraubte ich die Temperatur runter und dann wieder hoch an den Stellen, wo weitere Wächter auftauchte.

Ich war orientierungslos, hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich rennen musste. Ich hatte nicht damit gerechnet, überhaupt so weit zu kommen. Es fühlte sich an wie mehrere Stunden, als ich den Fuß einer Treppe erreichte. Meine Kleidung klebte an meinem Körper, während ich die Treppe hoch rannte. Ich musste mich im hinteren Teil des Palastes befinden, keine Wächter waren zu sehen.

Ich hätte versuchen können, einen Weg aus dem Palast zu suchen. Zu fliehen. Aber was hätte ich mit meinem Leben tun sollen? Nun wusste ohnehin bereits jeder, dass ich eine Aschefee war. Wer war ich ohne meine Karriere und ohne den Wettbewerb? Ich hatte kein Geld und keinen Ort, wo ich leben konnte, nicht jetzt, wo ich meine Familie enttäuscht hatte.

Außer ich enttäuschte sie nicht.

Jetzt war ich schon so weit gekommen, dass ich es genau so gut riskieren konnte.

Ich schlich an den Wänden entlang, suchte nach Treppen, die nach oben führten. Trotz meiner links-rechts-Schwäche wusste ich, dass der Thronsaal sich im obersten Stock des Palastes befand. Wenn ich Glück hatte, war der König im Thronsaal oder in seinem Arbeitszimmer, das laut Keavan gleich daneben war. Er hatte mir mal den Plan des Palastes erklärt.

Und nun war er tot, aber ich durfte jetzt nicht darüber nachdenken.

Immer wieder versteckte ich mich in dunklen Ecken vor Wächtern, aber es half nichts. Irgendwann wurde ich entdeckt. Also rannte ich. Weitere Treppen hoch, bis ich eine Tür aufstieß und in einen Saal stolperte.

Der Saal war groß, hatte weiße Wände und einen roten Teppichboden. Wahrscheinlich würde man es nicht sehen, wenn Blut auf diesem Teppichboden vergossen wurde. Ich hatte Glück gehabt – König Baird saß auf seinem Thron und tippte etwas auf einem Laptop auf einem Tisch vor ihn. Es brachte mir jedoch nicht viel. In der nächsten Sekunde packten mich die Wächter von hinten und weitere Wächter, die neben dem Thron gestanden hatten, rannten auf mich zu.

Ich wollte nicht zurückweichen, aber mein Körper reagierte für mich. Panisch stolperte ich rückwärts, sah mich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Ich fand keine. Stattdessen fiel mein Blick auf eine dunkelhaarige junge Frau, die neben dem Thron stand.

Sie hob die gefesselten Hände. Im ersten Augenblick glaubte ich, sie würde mich ebenfalls angreifen, doch dann schrien die ersten Wächter auf. Eine Welle türmte sich auf der anderen Seite des Raumes auf und ich sah verwirrt auf meine eigenen Hände hinunter, bevor ich begriff, dass es nicht ich gewesen war, die sie erzeugt hatte. Aber im Raum befand sich kein Wasser. Wie konnte sie ...

Natürlich. Das Palastgelände hatte von außen immer kleiner gewirkt als von innen. Sie musste diejenige sein, die dafür verantwortlich war. Eine Spiegelfee.

Mir blieben nur Sekundenbruchteile. Der König stand auf und sah auf die junge Frau hinunter, öffnete den Mund, wahrscheinlich um den Befehl zu ihrer Hinrichtung zu geben. Ich musste sie retten. Aber die Welle war nicht real und auch sonst war im Raum kein Wasser zu sehen; das Wasser an meiner Kleidung würde nicht reichen, um mich zu verteidigen.

Höchstens ...

Der menschliche Körper bestand zu 60 Prozent aus Wasser.

In diesem Moment passierte alles wie in Zeitlupe. Das Klicken einer Waffe, die entsichert wurde. Und ich, die meinen Arm ausstreckte. Auf den König zeigte. Und mein Handgelenk drehte.

Bei diesem Tod sah ich zu. Nicht für meine Familie. Für mich selbst. Und meine Freunde.

Die Wächter ließen mich los, rannten zum Thron, um König Baird zu retten, aber es war zu spät. Ich hatte das Wasser in seinem Körper gefroren. Und nun ließ ich auch das Wasser in den Körpern der Wächter gefrieren.

Die Welle brach auf mich hinunter und verschwand. Eisige Stille legte sich über den Raum. Nur die junge Frau und ich standen noch.

„Danke", flüsterte ich.

Sie schenkte mir ein kleines Lächeln. „Was möchtest du nun tun?"

Ich wusste, was ich tun wollte – nein, was ich tun musste. Ich lief nach vorne und setzte mich auf den Thron. Einen Thron aus Eis und Asche. König Baird lag daneben auf dem Boden. Ich wollte ihn kaum ansehen. Ich fühlte mich taub.

Wie viele Leute hatte ich heute umgebracht?

Aber das war das, was ich immer gewollt hatte. Ich hatte meine Familie gerettet. Ich hatte Kontrolle. Vielleicht nicht über mich selbst, aber über das, was um mich herum passierte. Ich hatte Kontrolle über das ganze Land.

„Ich erkläre mich hiermit zur Königin von Astraicia", sagte ich.

Ein Thron aus Eis und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt