41 | Ambrose McLaren

38 10 1
                                    

Keavan machte einige Schritte von der Trauerweide weg in Richtung Palast. „Keavan, warte!", rief Ambrose.

„Ich habe so viele Leben beendet. Vielleicht sollte ich ein einziges Mal eines retten", sagte Keavan. Und dann lief er auf den Palast zu.

Ambrose rannte ihm hinterher, hielt ihn am Arm fest. „Du kannst nicht sterben. Du kannst das uns nicht antun. Du kannst das mir nicht antun", sagte er.

„Es geht hier nicht um dich, Ambrose. Es tut mir ja leid, wenn du mich irgendwie für sympathisch hältst, aber ich bin niemand, mit dem man sich anfreunden sollte."

Im nächsten Moment spürte Ambrose einen brennenden Schmerz auf seiner Haut und er zog schnell seinen Arm zurück. Einige Ascheflocken rieselten zu Boden. „Hast du gerade deine Magie bei mir angewendet?", fuhr er Keavan an.

„Ich kann noch viel Schlimmeres tun, falls du mich aufhältst", erwiderte dieser. Ambrose nahm ihm seine Kälte nicht ab, aber jetzt gerade war ihm selbst das egal.

„Wenn du das noch einmal tust, schaffst du es nicht bis zu deiner Hinrichtung!", schrie er, aber Keavan rannte bereits in Richtung Palast. Ambrose versuchte nicht mehr, ihn aufzuhalten. Er blieb stehen und rieb die Verbrennung auf seiner Haut. Er konnte nicht glauben, dass Keavan so etwas getan hatte. Er hatte gedacht, sie wären befreundet.

Er hatte gedacht, sie wären befreundet, und trotzdem hatte er es nicht geschafft, ihn aufzuhalten. Trotzdem lief Keavan in seinen Tod. Obwohl Ambrose ihn oft hatte umbringen wollen, wollte er nicht, dass er öffentlich hingerichtet wurde. Wie wollte Keavan Tai überhaupt befreien? Tai hatte den Test nicht bestanden. Daran änderte die Tatsache, dass Keavan eine Aschefee war, nichts.

Aber Keavan hatte seine Entscheidung getroffen. Ambrose konnte nichts tun.

Vielleicht hätte er mehr tun sollen, um das Leben seines Freundes zu retten, dachte er im Nachhinein. Aber Keavans Leben zu retten, hätte bedeutet, dass Tai für den Rest ihres Lebens eingesperrt war. Und das war keine Entscheidung, die Ambrose treffen wollte.

Sein Arm brannte noch immer, als er in den Palast zurückkehrte und an die Tür von Elawas Zimmer klopfte. Sie öffnete, blass und mit zerzausten Haaren. Sie sah aus, als hätte sie gerade geschlafen oder es zumindest versucht.

„Kann ich reinkommen?", fragte Ambrose und schaffte es dabei nicht, die übliche Mauer um seine Gefühle zu bauen. Er fühlte zu viel in diesem Moment. Er wusste nicht, was er wegen Keavan tun sollte, ob dieser in diesem Moment bereits verhaftet wurde, und gleichzeitig wollte er einfach nur Elawa berühren. Sie küssen. Einen Moment lang vergessen, was passiert war.

„Was ist mit deinem Arm passiert?", fragte sie.

Ambrose verschränkte die Arme, damit die gerötete Haut nicht mehr sichtbar war. „Lange Geschichte", sagte er. „Aber Keavan will sich ausliefern." Er hätte sie gerne angelogen. So getan, als wären sie nicht hier und ihre Freunde nicht in Gefahr. Aber was Ambrose an Elawa mochte, war, dass sie immer ehrlich miteinander waren. Und irgendwann hätte sie die Wahrheit ohnehin rausgefunden.

„Keavan will was?" Elawa griff nach Ambrose' nicht verbranntem Arm und zog ihn ins Innere des Zimmers. Die Berührung dauerte zu kurz.

„Er will sich ausliefern. Um Tai zu retten."

„Wie will er Tai retten, in dem er sich ausliefert?"

„Keine Ahnung. Aber es ist Keavan. Wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat, schafft er es wahrscheinlich."

„Aber dann verhören sie uns, weil wir mit ihm befreundet sind." Elawas Stimme brach. „Warum tut er das?"

„Weil er ein Leben retten will. Ich glaube, Tai bedeutet ihm einfach mehr als wir. Aber wir haben ja nichts zu verbergen." Ambrose warf einen Blick zu den Kameras.

Elawa fuhr mit den Händen seine nackten Arme hinunter, griff nach seinen Händen und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Nein. Haben wir nicht. Ich will nur kein Verhör machen müssen. Tai war so verstört nach ihrem."

„Ich ja auch nicht. Aber ich glaube nicht, dass sie uns verhören. Nur weil wir mit Keavan befreundet waren, muss das ja nicht heißen, dass wir irgendetwas wissen. Ich weiß ja nicht einmal, was er den Wächtern erzählen will, warum er sich stellt." Ambrose wusste, dass es wahrscheinlich überzeugend klang, aber jetzt gerade war er zu müde, um zu lügen.

„Meinst du, wir können Keavan retten?", fragte Elawa.

„Na ja, wenn wir Keavan retten, schade wir Tai und Riya. Außerdem glaube ich nicht, dass wir ihn von seinem Plan abhalten können." Ambrose sah auf seinen Arm hinunter.

Elawa zog die Augenbrauen hoch. Wahrscheinlich konnte sie sich denken, was passiert war. „Aber ich fühle mich so schlecht, wenn wir nichts tun. Er ist unser Freund und er wird wahrscheinlich sterben."

„Ich mich ja auch", knurrte Ambrose. „Aber was willst du tun? Am Ende verdächtigen sie uns noch, mit ihm zusammengearbeitet zu haben, falls er wirklich einen Grund hat, sich zu stellen."

„Das stimmt."

Alles fühlte sich so surreal an. Sie hatten Tai verloren und nun verloren sie vielleicht auch Keavan. Dabei hatten sie gedacht, sie wären unbesiegbar. Wenn Keavans Plan scheiterte, waren nur noch Ambrose und Elawa im Wettbewerb. Elawa, die ihm zu viel bedeutete.

Ein Thron aus Eis und AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt