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Das Frühjahr kam übers Land. Der dunkle Himmel erhellte sich, die Knospen an den Bäumen bereiteten sich auf den Frühling vor während die ersten Vögel aus den warmen Gebieten zurückkehrten. 

Seit dem Übergriff des Deutschen war beinahe nichts passiert. Sie sprachen auch nicht darüber, denn Sowjet war sich sicher, Reich würde sich nicht erinnern.

 Es waren keine weiteren Übergriffe seinerseits passiert, was seinen Gefangenen einerseits erleichterte, andererseits auf etwas Schlimmeres in naher Zukunft schließen ließ.

Alles in allem schwiegen sie es tot und Sowjet verdrängte es so weit es möglich war.

Mittlerweile baute er bereits auf den Begriff ,,gute Freunde", was ihn immer mehr die Gefahr vergessen ließ, die am Ganzen haftete. Obwohl es wahnwitzig war eine Freundschaft mit jemandem anzufangen, der einen gefangen hielt.

Reich öffnete sich ihm gegenüber, er vertraute ihm. Ein besonders seltenes Bild. 

Und Sowjet zeigte Interesse. Echtes Interesse. Reales Interesse an Reichs Leben.

Aber er vergaß seine Pläne. Pläne, die ihn befreien sollten, ihn nach Hause befördern sollten. Wollte er diese nicht mit eiserner Faust durchsetzen? Wollte er den Deutschen denn nicht aushorchen? 

Wie viel Zeit blieb ihm noch?

Sowjet vergaß es.


Das Dienstmädchen geleitete Sowjet zurück zu seinem Zimmer.

Sie durchbrach die Stille: ,, Heute empfängt der gütige Herr einen Gast. Es wurde angeordnet, Sie aufs Zimmer zu bringen und dort sollen Sie warten, bis der Gast abgereist ist."

Es kam aus dem Nichts. Einen Gast? Sowjet blinzelte ein paar mal.

Warum würde Reich hier einen Gast empfangen? Wo er immer noch ein Besucher war?

Unwillkürlich schüttelte Sowjet seinen Kopf.

Nein. Er war kein Gast. Das entfiel ihm immer öfter. Er war kein Gast.

Man hielt ihn seit mehreren Wochen hier gefangen. Das war weder richtig noch moralisch vertretbar... Aber Reich kümmerte es doch nicht. Oder doch?

Dem Russen fiel auf, wie wenig er über den wusste, bei dem er nun lebte.

Es klang in seinem Kopf so unglaublich kitschig und falsch: Leben.

Sie erreichten das Zimmer und nachdem er eintrat rauschte das Dienstmädchen schon davon. Wie lange sie wohl schon hier arbeitete? Wobei. Sowjet sah sie nie das Haus verlassen. Wurde sie hier etwa untergebracht? Sie war noch so jung. Vielleicht 17 Jahre alt.

Grübelnd wanderte Sowjet zu den Fenstern. Der Morgentau hing schwer über dem Rasen, dessen Gräser sich in alle Richtungen erstreckten. Ob Reich oft in den Garten ging.

Schon wieder. Schon wieder dachte er an ihn.

Was er tun würde, was er mochte, was er sagen würde... Warum? War das etwa Sorge? Fürsorge? Zuneigung?

Er schüttelte sich und ihm wurde kalt.

Wie konnte es denn so weit kommen? Er, ja er, dachte ohne jeglichen Hass darüber nach, was sein Feind gerade trieb. Das sah ihm doch nicht ähnlich.

Waren es schon Wochen oder Monate? Welcher Tag war es? Nein. Der Russe wusste es nicht.

Hatte man ihn schon so um den Finger gewickelt, dass es ihm nicht wichtig erschien? Er war dabei, seine Heimat, Kinder und seine Pläne zu vergessen... 

Das traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.

Er war dabei zu vergessen. War es ihm etwa nicht aufgefallen, in den letzten Tagen, Wochen und Monaten?

Nein. Kein Stück. Und er war innerlich schon dabei, dem Deutschen einen weiteren Gedanken zu würdigen...

Da hörte er leise Stimmen vom Flur. Schnell schlich er sich zur Tür. Sie war nicht abgeschlossen. Hatte das Mädchen es etwa vergessen?

Guilty | Countryhumans | IFBGachaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt