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Obwohl Sowjet von seiner eigenen Handlung angewidert war, wiederholte er diese.

Der Brechreiz nahm ab, es wurde beinahe schon zur Routine, die er stumm ausführte.

Er hatte Angst. Todesangst. 

Seinen Stolz und seine Würde schluckte er jedes Mal aufs neue herunter.

Sowjet war verängstigt. Unsicher.

Doch er genoss immer mehr das Gefühl der Kontrolle.

Reichs Vertrauen war so stark, er hätte ihm die Fußfessel abgenommen...

Der Deutsche fühlte sich auf einmal ebenfalls glücklich. Für ihn schien es komisch, so abrupt, so plötzlich. Es schien ihm unersichtlich, warum. 

Am meisten, als er Sowjet sah. 

Und das nicht nur nachts, wovon er überhaupt nichts wusste, wenn er morgens aufwachte.

Um dem Grund nachzugehen verzichtete er eines Abends auf Alkohol.

Nüchtern saß er im Büro, hatte nichts recht zu tun, spielte mit seinem Füller, fuhr mit den Fingerkuppen über seinen Schreibtisch. 

Ihm war plötzlich so warm, die Luft schien so stickig.

Da klopfte es, punkt Mitternacht.

Überrascht bat Reich die Person hinein.

Sowjet kam mit einem ernsten Gesicht hinein, musterte ihn.

Ohne ein Wort zu verlieren schritt er langsam auf den Deutschen zu.

Er wiederholte das, was er sonst immer tat.

Stur presste er seine trockenen Lippen auf Reichs.

Vollkommen überwältigt stieß der ein Keuchen aus.

Der Russe bemerkte erst spät die Abwesenheit des anderen, der sich komisch passiv verhielt, nicht wie sonst.

Beinahe schon besorgt fragte er: ,, Heute nicht?"

Es raste durch Reichs Kopf wie ein Zug, der die ganze Zeit im Kreis fuhr, schneller und schneller: Heute nicht.

Heute nicht was? Was?

Unbewusst schüttelte Reich den Kopf.

Sowjet ließ von ihm ab und ging einfach wieder, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen.

Der Herr des Hauses schlief die ganze Nacht über kein bisschen.

Die Geschehnisse hielten ihn wach. Er musste darüber nachdenken.

Immer wieder fragte er sich: Heute was nicht?

Auch Sowjet schlief kaum. Er hatte bemerkt, dass Reich geistlich abwesend war. 

Er hatte sich anders verhalten. Das machte Sowjet unsicher. Es machte ihm Angst.


,, Papa!". Bel lief lachend auf ihren Vater zu, wedelte mit einem Tuch, das ihr vorher um den Kopf gebunden war. ,, Papa!", wiederholte sie, ,, Sieh mal!". Hinter ihr kam ihr großer Bruder. Russland. Er hielt einen Korb voller Äpfel. ,,Guck mal wie viele! Gerade gepflückt!". Ihre Zahnreihe hatte schon eine Lücke... Sie war schon so groß... Ihre matten, grünen Augen blitzten vor Freude auf, boten ihm einen Apfel, quiekten vor Freude. Und Russland. Was ein kräftiger Bursche. Er hatte so kühle blaue Augen wie Eis, lächelte nur selten, wenn, dann eher schüchtern, war so stolz auf seine Schwester, auf alles, was sie tat. Er selbst zweifelte an sich, es mangelte ihm an Selbstvertrauen. Deshalb folgte er seinem Vater blind. ,, Das sind auch nur die Guten!", zwitscherte Belarus erquickt, drückte ihm dabei einen roten, robusten Apfel in die Hand.

Die Bilder verschwammen vor Sowjet, wendeten sich zu einem endlosen Schwarz...

,, Wir vermissen dich Papa.". Das war das letzte, was in der Feldpost stand, die ihm zuletzt zugestellt wurde. Aufgeschrieben klang es für Außenstehende stumpf und wertlos.

Sowjet hatte den Brief wochenlang wie einen Schatz behütet, an sich gedrückt, gelesen, immer wieder die Stimmen der Kinder gehört. Wie Belarus Russland alles diktieren würde, wie er es in kaum lesbarer Schrift aufschrieb.

Mit einem Schluchzen erwachte Sowjet, kurz vor sechs Uhr morgens.

Guilty | Countryhumans | IFBGachaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt