Aus der Bahn geworfen

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Katis Beine zitterten, als sie ihr Rad, das ihr ein guter Halt war, an der lärmenden Hauptstraße entlangschob. Tom erzählte, aber Kati hörte ihn nicht.

Plötzlich sah er sie fragend an.

»Kannst du das noch mal sagen? Ich bin wohl etwas neben der Spur. Bitte entschuldige.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Ich will dich nicht kränken, aber ich habe diese, nennen wir sie verträumten, Zustände schon früher bei dir erlebt«, scherzte Tom.

»Wie meinst du das?«, flüsterte Kati.

»Ich hatte bei dir oft das Gefühl, du wärst geistig nicht anwesend, das ging einmal über Wochen, wurde dann weniger und war plötzlich weg«, sagte Tom.

»Daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Wir dürften dreizehn gewesen sein. Du warst kaum ansprechbar, hast nicht zugehört.«

»Das klingt ziemlich nervig«, sagte Kati beschämt.

»Im Gegenteil, es war sehr lustig, weil ich Scherze über dich machen konnte, die du nicht begriffen hast.« Tom wurde rot. »Entschuldige, aber wir waren jung und frech.«

»Schon gut, so ist man in dem Alter«, erwiderte Kati. Sie dachte plötzlich an den Garten ihrer Eltern.

»Was hat dich so aus der Bahn geworfen?«, fragte Tom.

Kati erschrak über diese direkte Frage, aber sie fing sich schnell. »Es summiert sich. Heute Morgen hatte ich Streit mit einem Schüler.«

»Erzähl mir einfach, was los war«, ermutigte Tom sie.

»Es war keine große Sache.« Kati schilderte ihm die Situation mit Justin.

»Ich finde, das hast du gut gelöst. Ich hätte damals eine Lehrerin wie dich gebraucht. Jemanden, der keine Angst vor mir hat und sich nicht rumschubsen lässt. Vielleicht wäre mein Leben dann anders verlaufen.«

»Du meinst, dir fehlten Grenzen?«

»Nein. Freundliche Bestimmtheit.«

Kati erinnerte sich plötzlich an ihre gemeinsame Grundschulzeit. Sie waren die Größten und Stärksten gewesen, aber im Gegensatz zu Justin und Maria hatten sie sich für die Schwächeren eingesetzt.

»Darf ich dich etwas fragen?« Kati sah ihn von der Seite an.

»Klar.«

»Weißt du noch, wie wir in der Grundschule die Kleineren verteidigt haben? Da gab es diesen Jungen, der immer geweint hat. Wir haben ihn vor den Fünftklässlern beschützt.«

Tom sah sie nachdenklich an. »Wir waren doch die Rüpel.«

»Das stimmt nicht! Ich erinnere mich genau. Wir standen im Hof, der Junge saß in der Hecke und weinte ...«

»Er hieß Mirko! Jonas wollte ihm sein Geld wegnehmen und wir haben ihn daran gehindert. Da waren wir noch die Guten. Also ich; du bist es ja immer noch.«

»Da bin ich mir nicht sicher.«

»Wie kommst du darauf?«

Unwillkürlich dachte Kati an ein blitzendes Messer, aber sie wollte nicht darüber sprechen.

»Du bist eine von den Guten. Ich kann es beweisen. Sag mir, was du heute am liebsten mit Justin gemacht hättest.«

Katis Kopf wurde leer. »Ich habe ihn mit Worten dazu gebracht, sich bei Heide zu entschuldigen.«

Sie spürte etwas auf ihrem Handrücken und schaute auf den Fahrradlenker. Tom hatte seine Hand auf ihre gelegt. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie beide Hände zu Fäusten geballt hatte und das Rad nur mit den Handballen lenkte.

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt