Im Alarmzustand

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Kati ging in das Doppelzimmer, das sie sich mit Bert teilte, aber er war nicht da. Sie machte kein Licht, sondern legte sich in ihrer Kleidung und mit Schuhen auf die Bettdecke. Ihr Herz klopfte, ihre Armmuskeln waren verkrampft, sodass sie nicht ruhig liegen konnte. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem wie in der Meditation, aber das hohe Energielevel, das ihr im Kampf gegen die Straßenräuber gedient hatte, sank nicht wieder. Ihre Augen wollten nicht zufallen. Sie drängte alle Gedanken und Gefühle weg, hielt sich an der Schwärze und Stille um sie herum fest. Trotzdem sah sie die Räuber mit dem Messer; Janas entsetztes Gesicht, die Männer, die auf den Boden fielen und ihre Flucht durch die Straßen als Dauerschleife vor ihrem inneren Auge.

Kati erschrak, als die Deckenlampe anging. Sie blinzelte in das helle Licht.

Bert setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Ich habe Jana im Innenhof getroffen. Sie hat mir alles erzählt. Wie geht es dir?«

»Es geht mir nicht gut. Ich will meine Ruhe.«

»Zieh dich doch erst mal aus.«

Bert zog ihr die Schuhe aus und stellte sie ordentlich vor das Bett. Er wollte ihre Hose aufknöpfen, aber Kati schlug seine Hand weg.

»Lass mich!«, fauchte sie ihn an.

Er machte einen erschrockenen Satz zurück. »Ich will dir doch nur helfen.«

»Das kannst du. Lass mich in Ruhe und mach die Lampe aus.«

»Ich verstehe, dass du gereizt bist«, sagte Bert beherrscht. Er löschte das Licht und ging ins Bad.

Kurz danach legte er sich neben sie. »Lass uns darüber reden.«

»Nein!«

»Es würde dir helfen, den Überfall zu verarbeiten«, beharrte Bert.

»Du hast doch keine Ahnung.«

»Ich will dir aber ...«

»Mir ist nicht zu helfen«, sagte Kati deprimiert.

»Natürlich ist dir zu helfen. Jedem ist zu helfen. Ich verstehe, dass du schockiert bist. Ich wäre es auch, wenn vier Männer mit Messern mich angegriffen hätten.«

»Halt die Klappe oder es setzt Prügel!«, schrie Kati.

Bert sprang entsetzt auf. »Ist gut. Ganz ruhig.«

Er zog seine säuberlich unter die Matratze geklemmte Bettdecke weg und legte sich in den Sessel an der Tür.

Eine grüne Glocke senkte sich auf Kati herab. Darunter war sie abgeschnitten, beengt, ohne Luft zum Atmen.

Stundenlang lag sie in einem albtraumartigen Dämmerzustand. Um halb fünf hielt sie es nicht mehr aus, stand leise auf und zog ihre Sportsachen an. Bert erwachte in seinem Sessel.

»Du kannst dich beruhigt ins Bett legen. Ich gehe joggen«, flüsterte sie.

Erleichtert verließ sie das Hostel. Die nächtlichen Straßen der Großstadt waren still. Sie trabte langsam los und mit jedem gelaufenen Kilometer ließ die Anspannung in ihrem Körper nach. Sie mied dunkle Ecken und Parks, nahm stattdessen den hellsten Weg, der sich ihr anbot. Die leuchtende Werbung und die Straßenlaternen mischten sich mit ihren Erinnerungen an das Gemälde von Goya, die Graffiti an der Straßenecke des Überfalls, Kriegsfilme, Mord und Totschlag. Schließlich ließ sie sich von ihrer GPS‑Uhr den Rückweg zeigen. Nach fast zwei Stunden erreichte sie das Hostel. Erschöpft stieg sie die Treppen hinauf.

Ihre Klasse war bereits erwacht. Schüler redeten und lachten hinter den Türen. Leise trat sie in ihr eigenes Zimmer. Das Licht war an, aber Bert nicht zu sehen. Im Badezimmer rauschte das Wasser der Dusche.

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt