Somatic Experiencing

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Christian wohnte im Vorderhaus neben dem Dojo. Kati kannte seine helle, sachlich eingerichtete Wohnung von verschiedenen Feiern. Sie gingen durch einen langen Flur. Im Vorbeigehen sah Kati ins Wohnzimmer und in die Küche, aber Tom war nicht da. Schließlich betraten sie den Raum, von dem aus die weiß gestrichene Eisentür ins Dojo führte. Hier war Kati noch nie gewesen.

Das Zimmer war raffiniert beleuchtet und mit einem dunklen, runden Tisch und zwei Polsterstühlen in asiatischem Design möbliert. An den Wänden hingen Zeichnungen und Landschaftsbilder aus Japan.

»Hier sieht es aus wie in dem Sushi-Restaurant um die Ecke, bevor sie vor einigen Jahren renoviert haben«, sagte Kati erstaunt.

Christian lachte. »Du hast ein gutes Auge. Die Möbel und Bilder stammen tatsächlich von dort, aber ich habe noch etwas Nippes hinzugekauft.« Er deutete auf einen Buddha und eine winkende Katze.

Die Einrichtung gefiel Kati nicht, aber sie wollte seine Gefühle nicht verletzen. »Es hat einen eigenen Charme.«

Sie setzten sich an den Tisch und Christian goss Tee aus einer Thermoskanne ein.

»Wieso sind wir hier und nicht in eurer Praxis?«, fragte Kati.

Er seufzte. »Ich würde gern dort Klienten empfangen, aber wir brauchen alle Räume für die medizinische Behandlung. Dieser Raum hier ist quasi die Außenstelle der Gemeinschaftspraxis.«

»Dann arbeitest du dort noch als Arzt?«

»Natürlich! Ich liebe es, Patienten zu helfen, aber es hat mich frustriert, wenn sie nach einer erfolgreichen Behandlung noch Schmerzen hatten. Irgendwann habe ich begriffen, dass jedes Ereignis traumatisierend wirken kann, auch ein Sportunfall. Seitdem bin ich zweigleisig unterwegs, als Sportmediziner und Traumatherapeut.«

Er öffnete Katis Behandlungsblatt. »Weshalb hast du mich um diesen Termin gebeten?«

»Ich bin hier, weil ich an meine Grenzen stoße. Seit Madrid habe ich nicht mehr geschlafen. Ich bin ständig im Alarmzustand. Meinen Alltag schaffe ich noch, aber meine Wut zu beherrschen, kostet mich ungeheuer viel Kraft.«

»Es ist gut, dass du da bist. Möchtest du etwas über die Methode wissen, die ich anwende?«

»Klar.«

»Somatic Experiencing wurde von einem US‑amerikanischen Psychologen, Peter A. Levine, entwickelt. Er hat mit traumatisierten Veteranen und Opfern des 11. September gearbeitet, davon findest du auch Videos im Netz, falls es dich interessiert. So wie er habe ich sehr gute und schnelle Resultate mit der Methode erzielt. Der Kernpunkt ist das körperliche Erleben. Wir müssen nicht über die Ereignisse reden, du musst dich nicht noch mal hineinversetzen und die Gefühle schon gar nicht hochholen.«

Kati seufzte unwillkürlich. »Das ist gut.«

»Der wichtigste Aspekt bei der Behandlung von traumatischen Erlebnissen ist immer, dass du dich sicher fühlst. Sobald das nachlässt, machen wir Übungen, um deine Sicherheit wieder herzustellen. Deswegen werde ich dich ständig fragen, wie sicher du dich fühlst. Bitte sei ehrlich zu dir und zu mir.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«

Christian lächelte. »Du wirst es gleich herausfinden. Sag mir bitte, wie sicher du dich jetzt gerade fühlst. Stell dir eine Skala von 0 bis 10 vor.«

Kati spürte den Alarmzustand und musste nicht lange überlegen. »2.«

»Wenn man bedenkt, dass hier nichts Bedrohliches im Raum ist, zeigt das einen hohen Stresslevel an. Das ist in Ordnung. Keine Sorge.« Er notierte die Zahl auf ein Blatt. »Ich möchte, dass du dich etwas besser fühlst. Hast du heute etwas Schönes erlebt?«

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt