Mit Verrat umgehen

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Vor dem Unterricht fuhr Kati gelassen durch den Berliner Straßenverkehr. Sie hatte erstmals mehrere Stunden am Stück geschlafen und war in Ruhe zum zweiten Unterrichtsblock aufgebrochen.

Am Tor begegnete sie Hakan, der nicht vom Rad stieg, aber immerhin die Geschwindigkeit drosselte, bevor er auf den Schulhof fuhr.

»Guten Morgen, Frau Gehrken«, rief er nervös.

»Guten Morgen Hakan. Morgen steigst du aber bitte ab«, gab sie zurück.

Er flitzte lachend davon.

Amüsiert ging sie zum Eingang, doch etwas war anders. Die Schüler, die sie sahen, unterbrachen ihre Gespräche und wandten den Blick verlegen ab.

Kati lief schnell ins Medienlabor. Es war noch niemand dort und während sie die Technik vorbereitete, versuchte sie, Jana zu erreichen. Doch die meldete sich nicht auf ihre Textnachrichten.

Im Spanisch-Unterricht wirkten die Schülerinnen nervös. Kati setzte mehrfach an, um zu fragen, schaffte es aber nicht.

Schließlich ergriff Leonard das Wort: »Stimmt es, dass Sie in Madrid einen Mann abgestochen haben?«

Mireille hakte ein: »War das an dem Abend, als Sie uns abholen wollten? Da wirkten Sie verstört.«

»Das sind ja Fragen.« Kati seufzte. »Tatsächlich ist etwas Schlimmes passiert in der Nacht. Ich werde versuchen, es euch zu erklären.«

»Am besten der Reihe nach«, half Anne.

»An dem Abend, als wir im Kino waren, sind Frau Behrends und ich überfallen worden. Wir wurden von vier Straßenräubern in die Enge gedrängt und haben uns gewehrt. Einer der Angreifer hatte ein Messer, aber uns ist nichts passiert.«

»Warum haben Sie das nicht eher gesagt?« Mireille war bestürzt.

»Danach ging es mir psychisch schlecht. Wir wollten mich nicht belasten und euch auch nicht.«

»Wieso sagen dann alle, Sie hätten jemanden abgestochen?« Hasan sah sie misstrauisch an.

»Wer sagt denn das?«

»Das wird in allen Chat-Gruppen geteilt.«

Kati dachte an Bert.

»Das scheint ein Missverständnis zu sein. In der Nacht des Überfalls wurde im gleichen Viertel von Madrid ein Mann niedergestochen. So ist das Gerücht vermutlich entstanden.«

»Jetzt wird gegen Sie ermittelt? Das ist ja wie im Film!« Ludwig sah sie begeistert an.

Kati seufzte. »Ich habe die Räuber ordentlich verhauen. Wir konnten weglaufen. Es gab keinen Grund, jemanden niederzustechen. Nicht da!«

Sie erschrak über ihre eigenen Worte. »Ich habe den Überfall mit einem Therapeuten verarbeitet. Macht euch bitte keine Sorgen um mich. Jetzt lasst uns weiter üben.«

Die Schüler nickten und widmeten sich dem Spanisch-Unterricht.

Als Kati den Klassenraum der 10d betrat, setzten sich alle Jugendlichen hin und sahen sie erwartungsvoll an.

»Was ist los mit euch? Spielt ihr jetzt Musterschüler?«, versuchte Kati einen Scherz.

»Nein, wir zittern vor Angst.« Murat sah sie frech an. »Vielleicht stechen Sie uns ab, wenn wir uns nicht benehmen?«

»Niemand wird abgestochen«, gab Kati bissig zurück. »Frau Behrends und ich sind nachts in Madrid überfallen worden und einer der Räuber hatte ein Messer.«

»Haben Sie es ihm abgenommen und ihn abgestochen?«, beharrte Murat.

»Ich bin als Aikidoka in der Lage, Angreifer zu entwaffnen, aber ich habe kein Messer benutzt.«

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt