Der liebevolle Mitbewohner

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Kati erwachte um acht Uhr morgens aus einem erholsamen Schlaf. Sie ging joggen, duschte ausgiebig. Danach schnitt sie einen sauren Apfel und bereitete sich ein Müsli zu. Langsam und genüsslich aß sie. Dann räumte sie auf. Um halb elf war sie fertig. Sie holte ihre Schulsachen aus dem Arbeitszimmer und setzte sich an den Küchentisch, so wie damals, als Jana noch mit in der Wohnung gelebt hatte. Sie machte Musik an und korrigierte Aufsätze, aber die Aufregung über Toms Einzug lenkte ihre Gedanken immer wieder ab.

Punkt zwölf stand Tom mit roten Rosen vor ihrer Tür. Die Blumen brachten Kati aus der Fassung. Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen. Verwirrt nahm sie den Strauß.

»Danke, dass du mich aufnimmst.« Tom umarmte Kati.

Die Berührung fühlte sich so vertraut und selbstverständlich an, als stünden keine 13 Jahre zwischen ihnen. Kati machte sich los. »Sorry, aber das ist verwirrend.«

»Als wären wir niemals getrennt gewesen«, flüsterte Tom. Verlegen ging er an ihr vorbei in den Flur.

»Ich bin froh, dass du wieder da bist«, sagte Kati.

»Gewöhn dich nicht an mich, es ist nur vorübergehend.«

»Ich zeige dir alles.« Kati eilte voran ins Arbeitszimmer.

Er stellte seinen Rucksack und eine Reisetasche neben das Schlafsofa.

»Sind das alle deine Sachen?«

»Ja.«

»Dann reichen dir die Fächer in meinem Bücherregal vermutlich. Schuhe kannst du in den Flur stellen.«

»Danke.«

Sie zeigte ihm die Wohnung. Das Wohnzimmer interessierte ihn nicht, aber er schaute in den Kühlschrank und die kleine, schmale Vorratskammer. »Hier ist ja nichts!«

»Ich war gestern einkaufen«, widersprach Kati.

»Wovon lebst du denn? Habt ihr eine Kantine?«

»Nein. Ich brauche nicht viel«, sagte Kati verlegen.

»Bist du magersüchtig?«, fragte er direkt.

»Nein! Natürlich nicht!«

»Dann musst du mehr essen. Ich verstehe, dass das schwer ist, nach allem, was dir passiert ist, aber so geht das doch nicht!«

Kati schmunzelte. »Wenn du das sagst!«

»Darf ich dich bekochen? Isst du Fleisch? Magst du Pasta Bolognese?«

»Ja. Ich esse eigentlich alles.«

Er schrieb eine Einkaufsliste. »Ich würde erst mal einkaufen gehen. Leider muss ich dich um Geld bitten«, sagte er verlegen.

»Klar.« Sie gab ihm fünfzig Euro. »Bekommst du Sozialhilfe?«

»Würde ich vermutlich kriegen, aber für die kurze Zeit lohnt es sich nicht, das zu beantragen.«

»Wovon lebst du denn dann?«

»Ich arbeite für Kost und Logis. Bei Christian habe ich eingekauft, gekocht, geputzt und Sachen repariert. Das ist gut für alle. Wäre das für dich auch okay?«

»Was machst du, wenn du Kleider kaufen willst, Schuhe oder mal was für dich?«

»Ich brauche nichts.«

Kati beobachtete ihn nachdenklich. »Früher hattest du eine Playstation, CDs und Bücher.«

»Haben wir alles in der Bibliothek. Zocken tue ich gar nicht mehr.«

»Ein Leben draußen kannst du dir gar nicht vorstellen, oder?«

»Nicht solange ein Prozess über mir schwebt.« Verlegen nahm er ein paar Einkaufsbeutel. »Ich wollte nie ein Schnorrer sein, aber für die nächste Zeit bin ich es. Wenn dir das nicht gefällt, sag es mir gleich. Dann gehe ich wieder.«

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt