Die Rettung

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Entspannt fuhr Kati zur Schule, wo niemand mehr über ihre vermeintliche Psychose sprach. In der 10d war die Stimmung völlig verändert. Murat und Leon spielten ihre Unterrichts-Verweigerung nur noch vor und arbeiteten das erste Mal mit. Sie machten das meiste falsch, aber Kati verpackte die Korrekturen in wohldosiertes Lob.

Nach dem Unterricht ging sie mit Jana in ein kleines Café in der Nähe der Schule und erzählte ihr von Bert und Tom. Die beiden unterhielten sich so offen und vertrauensvoll wie damals, als sie noch zusammengewohnt hatten. Er war der erste normale Vormittag seit Madrid, denn Kati schob jeden beunruhigenden Gedanken weg und ersetzte ihn durch eine schöne Erinnerung mit Tom.

Gedankenverloren ging sie zurück zur Schule, um ihr Fahrrad abzuholen und zu ihrer nächsten Sitzung bei Christian zu fahren.

Auf dem Schulhof stritten Ludwig, Lilly und Heide mit Maria. Obwohl Maria allein war, behauptete sie sich mutig gegen die Überzahl.

Kati sollte hingehen und den Streit schlichten, doch etwas hielt sie zurück.

Plötzlich zog Heide an Marias langen Haaren. Es war eine ungelenke, aber wirkungsvolle Geste. Maria schrie auf und schimpfte. Sie wollte Heide schubsen, doch Lilly ging dazwischen. Sie schlug Marias ausgestreckte Hände beiseite. Maria fluchte erschrocken und rannte weg.

Kati sah wie gelähmt zu. Sie hatte sich als Referendarin vorgenommen, alle Schüler gleich zu behandeln und jedem zur Seite zu stehen. Doch gerade hatte sie Maria im Stich gelassen.

Ihr Körper zitterte, ihre Knie wurden weich. Sie war nicht in der Lage, Heide, Lilly und Ludwig zur Rede zu stellen. Aufgewühlt eilte sie zu ihrem Rad und radelte davon.

****

Als Kati in Christians behaglichem Beratungszimmer saß, raste ihr Herz.

»Ich kriege eine Panikattacke«, sagte sie gepresst.

»Hast du heute etwas Schönes erlebt?«, wollte er wissen.

»Nein.«

»Gestern?«

»Ja, ich habe mit Tom geschlafen. Wir waren glücklich.« Kati entspannte sich bei der Erinnerung an ihre Liebesnacht.

»Dann nimm das heute zum Pendeln. Wie sicher fühlst du dich hier und jetzt?«

Kati brauchte nicht lange zu überlegen. »Gibt es die Null auf der Skala?«

»Ja, gibt es. Denk noch mal an eure Liebe, erinner dich an die schönen Momente.«

Kati tat es und entspannte sich etwas mehr.

»Wie sicher fühlst du dich jetzt?«

»5.«

»Okay, das ist besser. Kannst du mir sagen, was passiert ist?«

»Ja. Ich habe eine Schülerin im Stich gelassen«, flüsterte Kati entsetzt.

»Was war das da gerade für eine Bewegung in deinen Oberschenkeln?«

»Ich weiß es nicht.«

Christian machte ihr ein winziges Zucken vor.

»Ich weiß nicht, was das ist«, flüsterte Kati.

»Denk noch mal an die schönen Momente mit Tom.«

Kati tat es und wurde noch etwas ruhiger.

»Mach bitte diese Bewegung nach.« Er zeigte ihr das Zucken im Bein noch einmal.

Kati hob ihr Knie wenige Zentimeter nach oben. Es war erstaunlich, dass Christian es überhaupt gesehen hatte. Sie machte die Bewegung größer, bis ihr Fuß hochflog. Dann sprang sie auf und rannte durch den Raum. Sie lief hinter den Wandschirm. Die Tür zum Dojo war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte. Schnell schloss sie auf und lief in die leere Übungshalle. Am liebsten wäre sie mit Schuhen auf die Matte gelaufen. Sie streifte sich die Turnschuhe von den Füßen, ohne sie aufzuschnüren, rannte durch das Dojo, sprang von dem Podest auf das PVC des Aufenthaltsbereichs und wieder zurück. Sie würde von diesen kurzen Strecken nicht müde werden und blieb stehen. Christian beobachtete sie vom Wandschirm aus.

Das Glück in der DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt