Kapitel 28

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An der Schwimmhalle angekommen, schien Andrea sich grade so wieder im griff zu haben. Trotzdem wirkte ihr lächeln immer noch verklärt und sie ließ den Schlüssel fallen bevor sie ihn ins Schloss bekam. Lächelnd feixte ich hinter ihr, das rein stecken dann doch eher mir zu überlassen. „Benimm dich!" Herrschte sie mich an und räusperte sich verlegen, als ein ich schätzte ihn auf vierzehn Jähriger Junge auf seinem Rad angefahren kam. Grinsend beobachtete ich das Geschehen, wie er sich lässig von seinem Rad schwang, es an die Laterne schloss und sich die Tasche über die Schulter warf, als er zu uns kam. Was ein Sunnyboy, dachte ich lächelnd, als er sich durchs Haar fuhr und Andrea die Hand entgegen streckte. „Hi, bist du Andrea?" Sie nickte lächelnd und reichte ihm die Hand. „Timo?" „Logo." Bestätigte er kurz und äußerst cool. „Ich warte dann auf dich." Erklärte ich an Andrea gewandt, damit nicht wieder Fragen aufkamen, aber Timo zuckte nur ganz locker mit den Schultern, ließ sich die Tür von Andrea aufschließen und verschwand in der Kabine. Sie sah sich schnell um und flüsterte mir zu das die Mädchen umkleiden ebenfalls offen sei, falls ich das wollen würde. Ich nickte, kam ebenfalls hoch in den Vorraum und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Danke. Ich schau mal." Irritiert lächelnd, drehte sie sich um und huschte Kopfschüttelnd in ihre Kabine.

Wie die Male zuvor setzte ich mich auf die Bank, sich hier aufzuhalten war kein all zu großes Problem mehr, aber die wirklichen Ängste begannen ja auch erst hinter der Tür mir gegenüber. Ich fixierte die Kabinentür, sah geistig durch sie hindurch und rief mir ins Gedächtnis was mich erwarten würden. Ein schöner Raum, viel schöner als damals. Ich atmete tief durch, stand auf und näherte mich der Tür zögerlich. Meine Hand ruhte auf der Türklinke, ein weiteres Mal atmete ich tief durch, drückte sie herunter und zog die Tür auf. An der Türschwelle mit geöffneter Tür, blieb ich stehen, ließ den Blick schweifen und gönnte mir den Moment, mich von den schönen Wandmalereien ablenken zu lassen. Ich senkte den Blick und sammelte mich, der Türstopper auf dem Boden fiel mir auf und ließ mich erleichtert ausatmen. Ich schob ihn mit dem Fuß unter die Tür, versicherte mich das er sie aufhalten würde und setzte dann mutig zwei weitere Schritte in den Raum. Ich ging es dieses Mal ganz bewusst an, atmete gegen die aufkommende Panik an, so wie ich es in der Therapie gelernt hatte und ließ mir Zeit, Gefühle kommen und gehen zu lassen. Er kann nicht hier sein, nie wieder. Lief das Mantra immer wieder in meinem Kopf ab, aber beschwor damit auch die Erinnerungen an das was war herauf. Ich schaffte einen weiteren Schritt und ließ mich auf eine Bank sinken. Vorn über gebeugt, den Kopf in den Händen abgestützt versuchte ich tief und gleichmäßig zu atmen. Immer wieder blitzen Szenen vor meinem geistigen Auge auf, denen ich nicht entkommen kommen. Machtlos spürte ich den Schmerz, die Angst und die völlige Hilflosigkeit von damals. Ich zitterte am ganzen Körper, Tränen rannen mit über die Wangen, aber ich war unfähig sie weg zu wischen, grade zu starr vor Angst. Dumpf riss mich Andreas Stimme aus meinen Gedanken. „Schneller!schneller!...schneller!...Super genau so!" Drangen die gedämpften Rufe zu mir durch. Mein Kopf fuhr hoch, bewegung kam wieder in meinen Körper und ich verließ fluchtartig die Kabine und stolperte direkt nach draußen ins freie. Ich holte tief Luft und ließ mich auf den Treppenstufen nieder. Immer wieder ließ ich die frische Luft meine Lungen füllen, wischte mir die Tränen weg und richtete das Gesicht zur Sonne. Es war hell und angenehm mild, nichts war mehr dunkel und kalt. Minuten vergingen, ich genoss die Sonne auf meiner Haut, hörte die Vögel in der ferne zwitschern und spürte wie mein Puls sich wieder normalisierte. Andrea hatte mich unbewusst aus meinem Gedankenstrudel gerissen, dessen war ich mir sicher und zu tiefst dankbar.

Es war genug für heute, mehr ging nicht und so blieb ich einfach auf den Stufen sitzen, ließ den Blick über den leeren Schulhof schweifen und fand wieder etwas Entspannung. Was würde ich nun für eine Zigarette geben! Kaum darüber nachgedacht schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Timo kam grinsend aus der Tür und verabschiedete sich lässig. Muss wohl gut für ihn gelaufen sein dachte lächelnd und nickte ihm zu, während er zu seinem Fahrrad ging und kurz darauf davon radelte. Langsam stand ich auf, schüttelte unauffällig meine Beine aus und strecke mich kurz, aber der Blick in den Vorraum und zu der geöffneten Kabinentür hielten mich davon ab, noch ein Mal hinein zu gehen. So ging ich die Stufen runter und lief eine kleine Runde über den Schulhof, bis ich mir sicher war das die Anspannung vollständig aus meinem Körper gewichen war. Aus der Ferne sah ich Andrea auf den Stufen stehen und sich suchend umsehen. Ich winkte ihr, bis sie nickte und sich dann daran machte die Türen abzuschließen. Sie erwartete mich bereits und wie die Male zuvor mit einem unsicheren und forschenden Blick. Ich lächelte und griff nach ihrer Hand, kaum das ich vor ihr stand. „Darf ich dich küssen?" Skeptisch nickte sie und sofort legte ich meine Lippen auf ihre. Wisperte ein leises. „Danke." Und drückte leicht ihre Hand, als ich wieder etwas auf Abstand ging. Sie hielt meine Hand fest, lächelte und fragte leise. „Wofür?" Ich nickte zum Auto, hielt ihre Hand dabei fest und sie folgte mir, warf mir immer wieder verstohlene Blicke zu, aber ich fand keine Worte. Seufzend ließ ich mich auf den Fahrersitz fallen, während sie sich neben mich setzte und mir immer wieder fragende Blicke zuwarf. Fest umfasste ich das Lenkrad und lachte Kopfschüttelnd als auch der Rest Anspannung von mir abfiel. „Schwer zu erklären, aber ich hab dich in der Kabine gehört, wie du Timo angefeuert hast und das hat mich runter geholt. Darum bin ich wirklich dankbar." Erklärte ich so verständlich wie möglich. Ihre Hand legte sich auf meine am Lenkrad und ich sah aus dem Augenwinkel zu ihr. „Auch wenn ich es nicht ganz verstehe, freut es mich dir irgendwie geholfen zu haben." Ich nahm ihre Hand und legte sie mit meiner auf meinem Bein ab, spielte mit ihren Fingern und betrachtete lächelnd unsere Hände. „Du gibst mir Halt und Zuversicht..." Leise räusperte ich mich, bevor ich weiter sprach. „Das hab ich lange nicht mehr gefühlt und es tut so gut." Andrea verschränkte unsere Finger miteinander und meinte mit leiser wackeliger Stimmer. „Es bedeutete mir viel, das du es zulässt." Ich sah mit einem verstohlenen Lächeln zu ihr auf und sie schluckte deutlich und ihre Augen wirkten wässrig. Ich lehnte mich zu ihr, legte zärtlich meine Hand in ihre Wange und flüsterte kurz bevor ich sie küsste. „Nicht weinen, mein Engel." Sie seufzte und fuhr auch mit ihrer Hand in meine Wange und hielt mich nah bei sich, während wir einen so gefühlvollen Kuss tauschten, das auch mir die Tränen in den Augen standen. Mit gesenktem Blick lösten wir uns, ich rutschte richtig auf meinen Sitz, schnallte mich an und wischte mir dabei so unauffällig wie möglich über die Augen, als ich den Wagen startete bemerkte ich wie Andrea in ihren Taschen kramte. Mit einem lächeln, öffnete ich das Handschuhfach und reichte ihr eine Packung Taschentücher, die sie dankend annahm. Ich fuhr los, ließ meine Hand auf dem Schaltknüppel liegen und schon nach wenigen Minuten lag ihre Hand auf meiner. Wir brauchte diese Verbindung grade und noch ein bisschen mehr.
In diesem Moment war mir klar, das ich sie heute Abend nicht gehen lassen würde.

Mit ihr fing alles an...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt