Kapitel 56

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Auch am nächsten Morgen hatte sich meine Stimmung nicht verändert, immer wieder dachte ich über den gestrigen Tag nach, aber es zog mich nicht runter, sondern motivierte mich. So rief ich schon gegen Mittag bei dem Vermieter von Ingo an, schilderte ihm mein Anliegen und er versicherte mir sich alles aufgeschrieben zu haben und wenn er etwas passendes frei hätte, würde er sich melden. Zur Zeit war nichts zu machen, aber immerhin stand ich schon mal bei jemandem auf der Liste.
Auch die Wohnungsgesellschaften die ich über das Amt bekommen hatte rief ich an und vereinbarte für Mittwoch Termine, da ich persönlich im Büro erscheinen sollte und sie dann alles weitere mir mir klären würden. So war im nu mein Mittwoch vollgepackt und ich hoffte da kurzfristig mehr Erfolg zu haben. Aber es gab ja schließlich noch andere Möglichkeiten und ich stöberte durch den Immobilienmark im Internet und klickte mich durch unzählige Bilder von Inseraten. Ich war so vertieft, das ich mich grade zu erschreckte als mein Blick über die Uhrzeit am unteren Rand schweifte. Ich hatte mich noch nicht mal richtig fertig gemacht und Andrea würde mich in zwanzig Minuten zum Training abholen. Eilig schloss ich alle Seiten und Textdokumente mit Notizen, zog mich an und raffte meine Sachen zusammen, bevor ich auch schon aus der Wohnung eilte.

Wie erwartet stand Andrea bereits vor dem Haus, sie war immer lieber zu früh als zu spät, das wusste ich bereits, aber da sie einen Parkplatz gefunden hatte, lächelte sie entspannt als ich zu ihr ins Auto stieg und sie mit einem Kuss begrüßte. Es war ab heute egal, also ließ ich den Kuss etwas länger andauern als sonst und erntete sofort einen fragenden Blick von ihr. Ich zuckte lässig mit den Schultern, lehnte mich zurück und schnallte mich an, während sie langsam ausparkte und losfuhr. „Irgendwas ist im Busch?" Sinnierte sie und warf mir aus dem Augenwinkel immer mal wieder einen Blick zu. „Ich bin heute recht motiviert, habe bei drei Wohnungsbaugesellschaften Termine für Mittwoch und stehe bei einem Vermieter, den mir ein Bekannter aus dem Fitnessstudio empfohlen hat, auf der Liste. Außerdem hab ich mich bis grade im Internet umgeschaut und du glaubst nicht was man da findet." Gab ich lachen von mir. „Eine ein Zimmer Wohnung, in das Zimmer passt grade mein Bett und auf dem Bild der Küche war noch eine Tür zusehe. Ich dachte an eine Abstellkammer und auf dem nächsten Bild war die Tür offen und dahinter war das Bad." Grinsend schüttele ich den Kopf. „Wer möchte denn auf der Toilette sitzen und nur zwei Meter weiter steht das Essen auf dem Herd." Lachend verzog Andrea das Gesicht. „Ähm, nee das muss man nicht haben." Ich zuckte belustigt mit den Schultern. „Scheinbar war das mal Trend und geht auch noch etwas schlimmer. „Ich hab tatsächlich eine Wohnung gefunden, wo die Dusche in der Küche war und in einem kleinen Verschlag die Toilette ohne Waschbecken, also Zähneputzen in der Küche." Ungläubig schüttelte sie den Kopf und ich nickte lachend. „Ich hab Screenshots gemacht, zeigte ich dir das nächste Mal." Andrea stieß den Atmen aus. „Das klingt eher nach Zimmern für Montagearbeiter*innen, die da sowieso nur schlafen. Nach richtigem Wohnen und auch mal Besuch bekommen, eher nicht." „So klein wie die waren, bekommt man da auch zu zweit Platzangst." Andrea parkte bereits und sah lächelnd zu mir rüber. „Also nichts brauchbares dabei?" Ich verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. „Zwei sahen ganz okay aus, aber die Eine liegt über dem Budget vom Amt und die Andere wäre auf der anderen Seite der Stadt. Ich bräuchte zum Arbeiten mit dem Rad sicher dreißig Minuten und zu dir dann so fünfundvierzig. Also auch eher ungünstig." Ich seufzte leise. „Noch hab ich etwas Zeit, aber wenn es eng wird, werde ich auf so was zurück greifen müssen." Andrea streichelte mir beruhigend übers Bein. „Noch hast du ja nicht mit deinem Vermieter und deinen Eltern gesprochen, also besteht immer noch Hoffnung." „Mhm." Gab ich leise von mir, lächelte sie an und deutete mit dem Kopf zu Tür. Wir stiegen aus und ich atmete unauffällig durch. Fuck! Ich konnte sie nicht länger im ungewissen lassen oder ehrlich gesagt, anlügen.
Andrea schulterte ihre Tasche und auf dem Weg zur Halle sah sie sich ein paar Mal um. „Laura ist noch gar nicht da." Immer noch in meinen Gedanken verstrickt hob ich den Kopf und folgte ihrem Blick. Keine Menschenseele war zu sehen. „Merkwürdig." Bemerkte sie erneut, ging zur Eingangstür hoch und zog daran. Kopfschüttelnd sperrte sie die Tür auf und schloss dann auch gleich die Umkleiden auf, bevor sie wieder zu mir nach draußen kam. Ich hob die Hände und schüttelte den Kopf. „Immer noch keiner zu sehen." Sie warf einen Blick auf die Uhr. „Na ja, geben wir ihr noch fünf Minuten dann rufe ich mal bei ihr Zuhause an." Verzagt ließ ich den Blick schweifen und atmete durch. „War beim letzten Mal doch etwas zu viel?" Fragte sie und ich traf auf ihren skeptischen Blick der mich musterte. „Du wirkst angespannt, möchtest du heute nicht mit rein?" Schnell schüttelte ich den Kopf und lehnte mich gegen das Geländer. „Ach daran liegt es nicht, aber..." Ich senkte den Blick und schluckte schwer. „Was aber?" Wollte sie wissen. Verunsichert hob ich den Kopf und sah mich erneut um, immer noch keine Laura zu sehen. „Ich war Gestern bei meinen Eltern." Nuschelte ich kleinlaut und hörte wie sie scharf die Luft einzog. Entschuldigend sah ich zu ihr auf und zog auf ihren frustrierten Blick etwas den Kopf ein. Wunderbar, ich hatte ihr die Laune verdorben das war offensichtlich. „Es ist endgültig klar. In drei Monaten muss ich aus der Wohnung raus, mein Vater hat irgendein Abkommen mit meinem Vermieter, also wäre die Miete für mich deutlich höher." Erklärte ich kurz. „Aha." Gab sie einsilbig von sich. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. „Wir haben dies Mal wirklich alles geklärt. Ich baue mir mein Leben komplett unabhängig von ihnen auf und seinen komischen Deal kann er sich sonst wo hin stecken." „Was für einen Deal?" Fragte sie skeptisch und sah dabei aber nicht mich an, sondern in Richtung Parkplatz. Ich schob die Hände in die Tasche und atmete tief durch. „Papa weiß das ich lesbisch bin. Er bezahlt mir das Studium, wenn ich vor Mama weiterhin meine Sexualität verschweige." „Scheiße. Was?" Entfuhr es ihr und sie räusperte sich und brachte mich mit einer schnellen Geste zum schweigen und wand sich mehr in Richtung Parkplatz. Sofort erkannte auch ich wie Laura auf ihrem Rad grade zu angeschossen kam und schon beim anhalten eine Entschuldigung stammelte. „Schon gut." Sagte Andrea ohne ein weiteres Wort oder sie auch nur richtig zu Begrüßen, ging die Stufen wieder hoch und hielt die Tür geöffnet. Schuldbewusst huschte Laura an ihr vorbei und direkt in die Kabine. Das hatte die Kleine nicht verdient, ihr Ärger gebührte allein mir.
Auch Andrea drehte sich einfach um und ging in ihre Kabine. Erschrocken über ihre Reaktion stand ich ein paar Sekunden im Vorraum und haderte. Nach einem tiefen Seufzer überwand ich mich, klopfte zaghaft und zog die Tür auf. Ohne zu reagieren zog Andrea sich weiter aus und ich ließ langsam die Tür hinter mir zu gleiten und ging unsicher zu ihr. „Es tu mir leid." Nuschelte ich kleinlaut und setzte mich neben ihre Tasche. Ohne mich zu beachten, zog sie sich heute viel schneller um als sonst. „Andrea bitte." Flehte ich leise und versuchte ihren Blick zu erhaschen. Ruckartig zog sie sich das Shirt über den Kopf, kramte unwirsch nach ihrer Pfeife und den Latschen, die laut auf den Boden klatschen. Seufzend stieg sie hinein und schüttelte den Kopf. „Ich bin einfach enttäuscht. Wie oft muss ich dir noch sagen das du immer mit mir reden kannst?" Brachte sie frustriert hervor und zuckte mir den Schultern. „Ich weiß, es ist mein Fehler, aber versteh mich bitte auch. Ich bin es leid dich immer nur mit meinen Sorgen zu belasten, grade jetzt wo Fabian da ist." In mich zusammengesunken schüttelte ich den Kopf. „Am Telefon ist vieles nicht so leicht zu sagen und ich bin auch allein damit klar gekommen."
„Glückwunsch, dann denk mal darüber nach, ob du das so weiter handhaben möchtest, dann macht nämlich auch unsere Beziehung keinen Sinn." Warf sie mir barsch vor und wendete sich bereits ab und ging Richtung Tür. „Andrea?" Rief ich etwas lauter und ängstlich hinter ihr her und sie blieb grade so in meinem Sichtfeld stehen und atmete genervt aus. „Nein, nicht jetzt. Da drin wartet ein Mädchen auf mich, was meine Hilfe dankbar annimmt. Bis Gleich." Ohne ein weiteres Wort zu zulassen zog sie die Tür auf, die wenig später laut hinter ihr ins Schloss fiel.
Leise Fluchend stütze ich den Kopf in meine Hände und schluckte die Tränen runter. Verdammt!
Mal wieder hatte ich sie verletzte, weil ich sie eigentlich schützen wollte. Sie zweifelte unsere Beziehung an und damit hatte sie leider gar nicht so unrecht. Ich hatte vor ihr doch noch nie eine Beziehung und wusste schlicht weg nicht wie man sich verhalten sollte. Frustriert von mir selbst schüttelte ich den Kopf. Wem wollte ich etwas vor machen? Sie hatte mir oft genug gesagt, wie wichtig ihr Ehrlichkeit sei und das ich mich immer melden könnte, auch wenn Fabian da wäre. Der Stolz das ich es auch allein geschafft hatte, war da wohl nur noch unangebrachter gewesen. Emotional war ich wirklich das Kind meiner Eltern und verhielt mich wie der Elefant im Porzellanladen. Verzweifelt fuhr ich mir übers Gesicht und wischte die Tränen weg, die sich wie von selbst aus meinen Augen gestohlen hatten. Auf keinen Fall wollte ich sie verlieren und das würde ich ihr auch beweisen.

Ich zog meine Schuhe und sofort auch meine Socken aus und stand langsam auf, der Blick zur Uhr zeigte mir das es zu spät war um rüber zu gehen. Laura wäre jeden Augenblick fertig. Immer wieder ging ich auf und ab und betrachtete das leichte Wellenmuster an der Wand, wieder an der Tür zur Schwimmhalle angekommen, hörte ich wie Andrea sich von Laura verabschiedete und ebenfalls auch die Stimme eines Jungen, also war Timo auch bereits da. Ich ging noch ein paar Mal auf und ab, atmete dabei immer wieder tief durch und blieb vor der Tasche von Andrea stehen, schnell legte ich mein Handy in die Tasche, krempelte meine Jeans etwas höher und ging zur Hallentür.
Mit dem Mut der Verzweiflung legte ich meine Hand auf die Türklinke, drückte sie runter und zog langsam die Tür auf.
Mit einem aufgesetzten Lächeln machte ich zwei Schritte aus der Kabine und sah wie Timo im hinteren Bereich des Beckens schwamm, wo auch Andrea grade stand. Als die Tür zufiel drehte sie kurz den Kopf, sah wieder zu Timo und dann mit schock geweiteten Augen wieder zu mir. Sie riss sich förmlich von meinem Anblick los, betrachtete Timos Wende und ging dann etwas schneller zurück und auf mich zu. „Was machst du hier?" Zischte sie überrascht, entsetzt, so richtig konnte ich das nicht einordnen, immerhin musste ich auch noch meine zwiespältigen Gefühle unter Kontrolle bringen. Timo erreichte den Beckenrand eh ich ihr antworten konnte und stemmte sich aus dem Wasser. „Oh willst du zugucken?" Fragte er cool und lächelte sein Sunnnyboy lächeln. „Wenn ich darf." Fragte ich weniger cool, sondern eher vorsichtig. „Klar!" Rief er sofort und Andrea atmete unauffällig durch und nickte. „Setz dich, wenn du willst." „Danke." Erwiderte ich leise und ging zu den gemauerten Sitzgelegenheiten am Beckenrand. Timo war bereits wieder in Startposition und auf den Pfiff von Andrea machte er einen galanten Köpper und pflügte das Wasser nur so um. Neidlos musste ich anerkennen, das er Mitsicherheit besser war als ich in seinem Alter. Immer wieder sah Andrea prüfend in meine Richtung, ich lächelte ihr zu und jedes mal fiel es mir leichter. Nur sie und Timo waren hier und ich schaffte es wirklich mich langsam zu entspannen. Andrea kam in meine Richtung und blieb neben mir stehen. „Wie geht's dir?" Fragte sie mit einem prüfenden Blick. „Erstaunlich entspannt, muss ich sagen." Flüsterte ich zurück. „Übertreib es nicht und geh frühzeitig, wenn du nicht mehr kannst." Wies sie mich an und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf Timo, der grade aus dem Becken stieg. „Schon klar." Sagte ich leise. „Bereit auf Zeit zu schwimmen?" Fragte sie an Timo gerichtete. Lässig nickte er und während sie ins Büro ging streckte er sich, präsentierte damit seine breiten Schultern und atmete tief durch. Mit der Stoppuhr in der Hand kam Andrea zurück und auf ihren Pfiff sprang er erneut ins Becken. Konzentriert lief sie neben ihm her, feuerte ihn lautstark an und ich konnte meinen Blick nicht von ihr lassen. Diese Leidenschaft und Begeisterung die sie zeigte war ansteckend und imponierte mir ungemein. Timo blieb im hinteren Bereich am Beckenrand und besprach sich mit Andrea, bevor er nach einer kurzen Pause wieder zurück schwamm. „Bomben Zeit, noch mal drei Sekunden schneller als eben." Lobte sie ihn als er wieder vor mir aus dem Wasser stieg. „Ah da geht noch was." Gab er lächelnd zurück und schielte dabei über Andreas Schulter zu mir. Noch jemand der Publikum mochte, dachte ich schmunzelnd. Timo schwamm nun immer hin und zurück, aber verlor bei der Wende zu viel Zeit, das sah sogar ich aus der Entfernung, aber hielt mich mit meinem Kommentar zurück. Andrea wies ihn ebenfalls darauf hin und es wurmte ihn sichtlich als er die kurzen Stecken schwimmen sollte um die Wende zum Abschluss noch mehr zu üben. Schwer Atmend stemmte er sich aus dem Becken und bleib am Rand sitzen während Andrea neben ihm hockte. Sie besprachen seine Zeiten und woran sie weiter arbeiten würden. Seinen Unmut über die leicht verpatzten Wendungen ließ er sich nicht anmerken, stand betont lässig auf und verabschiedete sich mit seinem typischen lächeln von uns. Nun waren wir allein und es lag an mir. Ich musste etwas tun oder sagen.

Mit ihr fing alles an...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt