Kapitel 11

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Den vergangen Abend mit mir und meinen Gedanken allein zu verbringen, hatte gut getan. Ich war mir mittlerweile sicher, Andrea in meinem Leben haben zu wollen. Egal auf welche Art es sich entwickeln würde, sie tat mir gut und war mir in so kurzer Zeit wirklich wichtig geworden. Auch betrachtete ich das Verhalten meiner Eltern und meines Bruders Hendrik mit etwas mehr Abstand. Meine Mutter verdrängte aus welchen Gründen ich zu Alkohol und Drogen gegriffen hatte, aber mein Vater und Hendrik wusste schließlich von all dem nichts. Sie kannte nur die Version des abgestürztes Party Girls und wie Matthias mir mal wieder vor Augen geführt hatte, war es mit ihrer Empathie nicht ganz so weit her. Mein Vater und Hendrik waren Mediziner durch und durch. Blutung stillen, Pflaster drauf oder Aufschneiden und das kranke Organ entfernen. Das war bei mir nur nicht möglich und darum verhielten sie sich aus Sicht von Matthias eben so wie sie es tat. Ihre eigene Unsicherheit mir nicht helfen zu können überspielend und hinter spitzen Bemerkungen und Verachtung verstecken. Sicher war das eine für mich schmerzvolle Art damit umzugehen, aber eine gewisse Schuld lag auch bei mir. Ich war nicht bereit mich zu öffnen und ihnen die Wahrheit zu sagen. Immer noch in mir ruhend machte ich mich für den Besuch bei meinen Eltern zurecht und legte nach langer Zeit auch mal wieder die Kette mit dem Kreuz, was ich zur Kommunion bekommen hatte, an. Meinen Eltern war ihr erstaunen deutlich anzusehen, als ich von dem Besuch bei Matthias erzählte. Sie zeigten sich sehr interessiert an seinem Leben dort, aber meine Mutter äußerte auch ihren Unmut darüber das er sich so lange in dem Kloster vergraben würde. Er sei doch im Heiratsfähigen alter und wäre sicher ein guter Ehemann und Vater, das er sich damit so lange Zeit ließ verstand sie nicht. Meinen Einwand das er grade sehr zufrieden wirkte und im Unterrichten und der Seelsorge aufging, wurde nur abgewinkt. Er sollte weiter seinen Weg zum Diakon gehen, als solcher könnte er seinen jetzigen Tätigkeiten schließlich auch nach gehen und trotzdem eine Familie haben. Ich ahnte bereits worauf das Gespräch hinauslaufen würde und so stand ich beim gemeinsamen Mittagessen mal wieder im Fokus. Nach Ansicht meiner Eltern wurde es auch für mich Zeit, mir über meine Beruflichen Perspektiven Gedanken zu machen oder mir zumindest einen Mann zu suchen. Oh ja, ich konnte meine Mutter quasi denken sehen. Einen gut verdienenden Mann und ich kümmerte mich daheim um die Kinder. Nein, ausgeschlossen. Mein Vater überraschte mich kurz vor meinen Abschied nun wirklich. Er wollte wissen was mit meinem Auto sei, das ich eigentlich schon fast abgeschrieben hatte, da ich nicht davon ausgegangen war das sie es mir noch mal anvertrauen würden. Außerdem konnte ich es mir finanziell zur Zeit auch gar nicht leisten. Um einen friedlichen Abschied bemüht, äußerte ich darüber nachzudenken und machte mich auf den Heimweg. Wie von allein fuhr ich, aber nicht nach Hause, sondern in Richtung des Neubaugebietes und erst als ich fast in der Straße von Andrea angekommen war, wurde es mir wirklich bewusste. Wir hatten darüber gesprochen uns Sonntagabend zu sehen, aber einfach so bei ihr aufzutauchen war dann doch etwas aufdringlich oder nicht? In meine Überlegungen verstrickt hielt ich an und zog mein Handy aus meiner Tasche. Nun war ich schon mal da, also warum nicht einfach anrufen und fragen ob ich vorbei kommen könnte? Eh ich noch mal darüber nachdachte, suchte ich ihren Kontakt raus, drückte auf den grünen Hörer und hielt mir das Handy ans Ohr. Sie meldete sich nach nur einigen Freizeichen freudig und ich zögerte kurz und lächelte dann über meine eigene dumme Unsicherheit. So fragte ich ganz locker, was sie machen würde und ob ich vorbei kommen könnte. Ohne zu zögern stimmte sie eben so freudig zu und wir verabschiedeten uns mit einem „Bis Gleich." Augen rollend und lächelnd legte ich auf und schob mein Handy zurück in meine Tasche. Ihr würde wohl auffallen das Gleich schon in wenigen Minuten war. So kam es auch, als ich klingelte sie mir die Tür kommentarlos öffnete und ich rauf ging zu ihrer Wohnung. Grinsend stand sie in der geöffneten Tür und fragte amüsiert. „Bist du geflogen?" Ich lächelte verschämt und schüttelte den Kopf. „War schon in der Nähe als ich angerufen habe." Erklärte ich und nahm sie in den Arm. Wir lösten uns und sie ließ mich unter ihrem musternden Blick vorbei in ihre Wohnung. „Kein Kommentar zu meiner Kleidung." Murmelte ich, schlüpfte aus den Absatzschuhen und sie deutete mir das ich ins Wohnzimmer gehen sollte. „Was möchtest du trinken?" Fragte sie etwas lauter aus der Küche. „Wasser, bitte." Antwortete ich und setzt mich auf die Couch. Schmunzelnd und mich immer noch eingehend betrachtend, kam sie mit den beiden Gläsern zurück und reicht mir eins. Ich warf ihr einen missbilligenden Blick zu als sie zu mir setzte und ich nach einem schnellen Schluck mein Glas auf dem Tisch abstellte. „Sag schon, bevor du daran erstickst." Seufzte ich ergeben. Andrea machte es sich lachend auf der Couch bequem. „Ja ich weiß schon, es ist nicht dein gewohnter Styl, aber ich mag auch den Femininen Look an dir. Der zarte Goldschmuck mit der rosa Bluse und der Grauen Hose." Sie legte ihre Hand hinter mir ab und fuhr mit durch das kurze Haar in meinem Nacken als ich sie skeptisch ansah. „Wirklich. Mit einem passender Blazer, der perfekte Business Look." Ich stieß amüsiert die Luft aus und lehnte mich zurück. „Den hab ich sogar. Für eventuelle Vorstellungsgespräche." Sie nickte zustimmend und ihr Blick glitt auffällig in mein Dekolletee. Ich räusperte mich und richtete grinsend meinen Kragen. Worauf sie verlegen hustete und den Blick abwandte. Erwischt! Dachte ich lächelnd und legte den Kopf in den Nacken. Andrea legte den Arm mehr um mich und zog mich etwas zu sich, was ich mir gern gefallen ließ und dankbar in ihre Arme sank. „Wie auch immer, du musst dich in keinem Fall verstecken." Meinte sie betont ruhig und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. Einen Moment genossen wir schweigend die Nähe zueinander, bis Andrea sich leise nach dem Besuch bei meinem Bruder und meinen Eltern erkundigte. Ich schwärmte vom Kloster und meinem Bruder, aber sagte nicht viel über die Gespräche die wir geführt hatten. Auch über die Konversation mit meinen Eltern hielt ich mich ebenso kurz und erwähnte nur das Angebot das ich mein Auto zurück bekommen könnte. Gedankenverloren kraulte sie dabei die ganze Zeit meinen Nacken und stoppte dann. „Du hast einen Führerschein?" Fragte sie skeptisch und grinste. „Ja, das war meinen Eltern wichtig. Wir haben alle mit Achtzehn den Führerschein gemacht und ein eigenes Auto bekommen. Als ich allerdings aus der Klinik gekommen bin war es verschwunden und ich dachte auch nicht das sie es mir noch mal anvertrauen würden." „Ist denn irgendwas vorgefallen?" Erkundigte sie sich vorsichtig und ich schüttelte sofort den Kopf. „Nein, so viel Grips hatte ich immer, um mich nicht besoffen ans Steuer zu setzten." „Und möchte du es wieder haben?" Ich stieß nachdenklich die Luft aus. „Irgendwie wäre es schon schön, aber das kann ich mir allein nicht leisten und wäre noch mehr von ihnen abhängig." Ich zuckte mit den Schultern und machte eine wage Handbewegung. „ Ich hab gesagt das ich darüber nachdenke, so sind erst Mal alle zufrieden und ich hab Zeit." Meinte ich während ich mich etwas aufsetzte, aber nah neben ihr sitzen blieb und meinen Hand auf ihre legte, die nun auf der Rückenlehne ruhte. Sie lächelte schwach und verzog etwas unglücklich das Gesicht. Ich tat es mit einem lächeln ab und sah sie aufmerksam an. „Wie war deine Woche? Nimm es mir nicht übel, aber du siehst etwas abgespannt aus." Sie fuhr sich mit einem schiefen Grinsen durchs Haar und seufzte. „Danke für das Kompliment, aber es stimmt schon. Ich habe ja auch nicht nur die beiden Kurse der Kollegin übernommen, sondern auch noch den Einzel- und Kleingruppen Unterricht." Anerkennend pfiff ich leise durch die Zähne. „Ja und nächste Woche wird es auch nicht besser. Samstag steht das Wettschwimmen an und für die Leistungsschwimmer kommt jemand vom Sportinternat zum Scouting." Die hässlichen Gedanken an diese Zeit machten sich in meinem Kopf breit und ließen mich etwas unruhig herum rutschen. Ich wollte nichts mehr davon hören und schon gar nicht weiter daran denken. Als ich krampfhaft nach einem unauffälligen Themenwechsel suchte, war es Andrea die sich aufsetzte und mich auffordernd anlächelte. „Hast du hunger? Ich hab vorhin Chili con carne gemacht und dazu gibt es frisches Fladenbrot." „Ich hatte ein opulentes Mittagessen und Kuchen bei meinen Eltern. Ich bekomme leider nichts mehr runter." Gab ich entschuldigend von mir. „Mehr für mich!" Gab sie grinsend von sich. „Stört es dich, wenn ich etwas esse?" Sofort schüttelte ich den Kopf. „Ach quatsch." Sie verschwand kurz in der Küche und kam kurz darauf mit einem Teller und einem Stück Brot wieder. Interessiert sah sie mich an und hielt mir auch schon ihren Löffel entgegen. „Magst du probieren?" Ich reckte mich näher zu ihrem Löffel und öffnete den Mund. Vorsichtig schob sie mir den Löffel in den Mund den ich genüsslich ablutschte und mich lächelnd wieder zurück lehnte. Ihr Blick schnellte von ihrem Löffel zu meinem Mund und ich sah die Anspannung die in ihr herrschte. „Sehr gut." Lobte ich und hielt mir dabei die Hand vor den Mund. Sie nickte und räusperte sich, bevor sie mir die Fernbedienung reichte und sich ihren Teller auf den Schoss nahm um zu essen. Ich zappte durch das TV-Programm und wir unterhielten uns locker über Filme und Serien, während sie aß. Der Abend klang ruhig aus und Andrea ließ es sich nicht nehmen mir noch eine Dose mit dem Chili und ein Stück Brot einzupacken, was ich dankend mit nach Hause nahm.

So hatte ich schon etwas zum Mittagessen für den nächsten Tag und schrieb ihr auch gleich nach dem köstlichen Essen eine Nachricht und bedankte mich. Andrea schrieb mir das sie heute Abend erneut zu einem Treffen des Vereins müsste, aber morgen nur der normale Kurs stattfinden würde und wir uns danach sehen könnten. Sofort sagte ich zu und verbrachte den restlichen Tag entspannt mit etwas aufräumen und Wäsche waschen.

Dienstag ging ich schon mittags ins Fitnessstudio und machte mich danach entspannt für die Arbeit fertig. Grade als ich das Haus verlassen wollte empfing ich eine Nachricht von Andrea und öffnete sie sofort.

Hi, magst du heute Abend zu Fuß kommen, dann nehme ich dich mit und wir könnten noch etwas zusammen essen?

Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhrzeit, schrieb ihr kurz zurück das es klar ginge und joggte dann zur Arbeit. Zu Fuß brauchte ich doch etwas länger und kam grade so auf den letzten Drücker. Zum Glück war meine Kollegin Nina, heute genau so motiviert wie ich und es gab gar nicht so viel zu tun, so das wir pünktlich Feierabend machen konnten und ich mich schnellen Schrittes auf den Weg zur Schwimmhalle machte. Dort angekommen, sah ich Andrea bereits mit einem Mann im Vorraum stehen und blieb vor den Treppen stehen. Als ihr Blick nach draußen glitt und sie mich vermutlich erkannt hatte, ging sie sofort zur Tür und öffnete sie. „Hi, komm doch kurz rein." Begrüßte sie mich auffordernd. Ich schluckte kurz erwiderte ihren Gruß, ging die Treppen rauf und an ihr vorbei durch die Tür. „Hi, ich bin Tobias. Student und ehrenamtlicher Helfer." Stellte sich der mir etwa gleichaltrige Mann sofort vor und reichte mir die Hand. „Hallo, Jessica." Erwiderte ich kurz angebunden und so locker wie möglich schüttelte ich seine Hand. Er wirkte nicht unsympathisch, aber die negativen Schwingungen der Schwimmhalle, ließen mich automatisch achtsam werden. Auch das Andrea nun an meine Seite trat änderte nichts daran und ich vergrub meine Hände, sobald er sie wieder freigegeben hatte in meinen Taschen. „Du bist also die ehemalige Leistungsschwimmerin von der Andrea geschwärmt hat?" Fragte er mit einem musternden Blick. Ich mochte es nicht so von einem ihm angesehen zu werden und sah kurz weg. „Das glaub sie. Sie hat mich noch nie schwimmen sehen." Gab ich spitz zurück, aber besann mich schnell wieder und schickte ein aufgesetztes Lachen hinterher. Er lachte nun ebenfalls etwas irritiert und Andrea gab mir einen kleinen amüsierten Stoß in die Seite. „Die Bilder und Urkunden lügen wohl nicht." Ich nickte ergeben und biss die Zähne zusammen. „Na vielleicht können wir uns vorher auch noch mal davon überzeugen." Meinte Tobias grinsend und mein Blick schnellte von ihm zu Andrea. „Vor was?" Fragte ich und konnte die Schärfe und Anspannung in meiner Stimme nicht vermeiden. Andrea lächelte etwas unsicher und räusperte sich leise. „Ich wollte dich damit nicht überfallen, aber ich hab dir doch von dem Wettschwimmen am Samstag erzählt?" Ein wenig auf der Hut nickte ich vorsichtig und sie lächelte entschuldigend. „Es ist noch ein weitere Kollege erkrankt und uns fehlt Aufsichtspersonal." Ihre Worte verarbeitend, ballte ich die Hände in den Taschen zu Fäusten. Nein darum könnte sie mich nicht bitten, unmöglich! „Wenn alles gut läuft, müsstest du noch nicht mal ins Wasser." Warf Tobias amüsiert ein. Ungläubig und aus meinen Gedanken gerissen schüttelte ich den Kopf. „Ich soll Aufsicht beim Wettschwimmen machen?" Fragte ich stotternd und in der Hoffnung etwas falsch verstanden zu haben. „Du musst nur am Beckenrand stehen und aufpassen, vielleicht mal eine Stoppuhr bedienen aber mehr nicht. Das würde uns wirklich sehr helfen." Erklärte Andrea weiter. Alles in mir sperrte sich. „Das geht leider nicht." Brachte ich mit kratziger Stimme hervor und unterdrückte den Fluchtreflex. Tobias verzog etwas das Gesicht und auch Andrea wirkte geknickt. „Wirklich nicht? Ich lade dich danach auch zum Essen ein oder auf was du sonst so Lust hast." Versuchte sie es erneut hoffnungsvoll, aber ich schüttelte den Kopf. „Ähm. Ich muss dann auch los, du meldest dich bei mir?" Fragte Tobias ausweichend, an Andrea gerichtete. „Ja sicher." Bestätigte sie und er verabschiedete sich von uns, nahm seine Tasche von der Bank neben sich und verschwand mit einem letzten Gruß. Ich drehte mich ebenfalls in Richtung Tür und wollte ihm folgen, nur raus hier!

Mit ihr fing alles an...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt