Kapitel 6

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Daniels P.o.V.:

Ich sah in den Spiegel und konnte für den Mann, der mir entgegen sah, nichts als Abscheu empfinden. Müde drückte ich die Hand gegen den Spiegel, fuhr über mein Spiegelbild, bevor ich die Augen schloss.

Seit mehreren Stunden ging mir schon das Lächeln von Dag nicht mehr aus dem Kopf und es machte mich fertig, es machte mich fertig, dass es mir so derartig viel bedeutete, auf eine Art und Weise, auf der es mir nichts bedeuten sollte.

Ich fing an zu zittern, spürte es nur am Rande und wusste, dass es nicht daran lag, dass die kalte Luft gegen meine nasse Haut schlug.

"Kann es nicht einfach einfach sein?", murmelte ich mir selbst zu, ehe ich die Augen wieder öffnete, mich wieder selbst ansah. Ich hatte einen Bart stehen lassen und er ließ mich älter aussehen, als ich war.

Kurzerhand rasierte ich ihn mir ab, es war eine Kurzschlussentscheidung und ich wusste nicht einmal genau, warum ich es tat. Vielleicht weil ich diese Veränderung brauchte – weil ich ständig Veränderung brauchte.

Vor der Badezimmertür hörte ich Dag durch den Raum schleichen, unruhig, so wie immer.

Ich schluckte leicht. Was ich nur dafür tun würde, dass ich ihm helfen konnte, zur Ruhe zu finden.

Etwas kraftlos stützte ich mich an dem Waschbecken ab und seufzte. Das ganze Autofahren laugte mich langsam aus, meine Konzentration ließ immer weiter nach – ich brauchte diese Pause gerade ganz dringend, auch wenn meine Gedanken dadurch nur noch lauter, noch realer wurden.

Die ganze Zeit versuchte ich zu unterdrücken, dass mein Bauch anfing zu kribbeln, wenn Dag mich anfasste, mich anlächelte. Dass meine Handflächen ganz schwitzig wurden, sobald seine Hand meine berührte, und dass ich einfach so viel ruhiger schlief, wenn ich ihn in meine Arme zog.

Ich wollte es nicht wahr haben, dass es so war, ich wollte nicht, dass das alles so real wurde.

Mir kamen die Tränen, ganz leise schluchzte ich auf, so leise, dass Dag es nicht würde hören können.

Warum musste ich mit Anfang dreißig meine Sexualität hinterfragen und feststellen, dass ich Männer viel lieber mochte, als Frauen?

Warum musste ich mich in einen Mann verlieben, der verlobt war? Verlobt mit einem Mann, der nicht so abgefuckt und kaputt war, wie ich, der sein Leben im Griff hatte und Dag wenigstens etwas Sicherheit bot?

Warum konnte ich nicht einfach eine nette Frau heiraten und so glücklich werden?

Warum mein bester Freund?

Warum er?

Ich schluchzte etwas lauter, presste mir die Hand auf den Mund, damit ich die Geräusche unterdrücken konnte, hatte solche Angst, dass er mich hörte.

Mit der freien Hand krallte ich mich weiter an dem Waschbecken fest, während ich gleichzeitig etwas zusammensackte, wollte diese Gedanken nur noch los werden. Weil ich Dag nicht auch noch verlieren wollte, das würde ich nicht überstehen.

Trotzdem klopfte es an der Tür, ließ mich zusammenzucken und mich noch stärker festkrallen.

"Daniel, ist alles okay bei dir?"

Verzweifelt versuchte ich meine Stimme wieder zu finden, die ich irgendwie verloren hatte, räusperte mich und rief: "Ja, alles gut, ich komm gleich."

Ich biss mit auf die Lippe, jeder Idiot hätte hören können, dass es bei mir alles andere als "okay" oder "gut" war.

Stumm hoffte ich einfach nur, dass Dag es nicht hinterfragen würde und merkte, dass ich nicht reden wollte. Nicht mit ihm darüber reden konnte.

Eine Zeit lang herrschte Stille, die ich überhaupt nicht definieren konnte. Das einzige, was ich hörte, war mein Atem, der schwer ging, als wäre ich mehrere Kilometer gelaufen.

Mein Atem kondensierte am Spiegel, so dass er beschlug und ich konnte die Augen nicht davon lösen. Vorsichtig hob ich die Hand, zeichnete mit dem Finger einen traurigen Smylie auf den Spiegel.

Noch ein kleines Seufzen entwich mir, ehe ich mir meinen Hoodie nahm und ihn mir überzog, danach noch meine Brille aufsetzen und dann das Badezimmer.

Ehe ich mich versah, hatte mich Dag schon in seine Arme gezogen - es fühlte sich an, als würde ich schmelzen.

Mit geschlossenen Augen vergrub ich das Gesicht an seiner Schulter, atmete seinen Geruch tief ein und schlang die Arme um ihn. Gott, wie sehr ich das brauchte, wie sehr ich ihn brauchte.

Ich krallte meine Fingernägel leicht in sein Oberteil, hielt ihn stärker fest. Ein Teil von mir hoffte, dass er nicht merkte, wie heftig mein Herz in diesem Moment wegen ihm schlug.

Es war wundervoll ihn so im Arm zu halten und gleichzeitig war es schrecklich - weil ich wusste, dass ich niemals mehr bekommen würde. 

Erst nach einiger Zeit ließ ich ihn vorsichtig los, musterte ihn genau. Jede Regung seines Gesichtes analysierte ich genau, blieb an seinen Augen und seinen Lippen hängen, musste mich zwingen, wegzuschauen. 

"Egal, was los ist und ob du darüber sprechen willst, oder nicht - ich bin für dich da, Daniel", murmelte er mit ruhigem Ton und drückte meine Hand kurz. 

Meine Handflächen wurden wieder ganz schwitzig, wischte sie mir hektisch an meinem Hoodie ab. Aber ich lächelte und ich wusste nicht, ob es nicht einfach ein verliebtes, gefühlsdusseliges Lächeln war. 

Ja, ich war verliebt in diesen Mann. 

Und ich hasste mich dafür.

Road Tripping - SDP/257ers Short StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt