Kapitel 7

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Vincents P.o.V.:

Stille hatte ich schon immer gehasst. Schon als kleiner Junge hatte ich immer Hörspiele oder Musik angehabt, um mich nicht so alleine zu fühlen. 

Meine Eltern waren oft nicht zuhause gewesen, beide arbeiten und als Einzelkind wurde es dann schnell still im Haus. 

Und falls es mir doch zu einsam geworden ist, wenn ich Hörspiele oder später den Fernseher angehabt hatte, hatte ich immer Dag gehabt. Nur ein paar Straßen weiter, ein Anruf und er war zu mir gekommen. 

Seit ich zwölf Jahre alt gewesen war, hatte ich immer Dag bei mir gehabt, seit ich 25 Jahre alt war, hatten wir zusammen gewohnt. Zusammen in den Urlaub, zusammen auf Tour. 

Zusammen gelebt. 

Es war nicht mehr still in meinem Leben gewesen, weil der Mann, den ich so sehr liebte, diese Stille vertrieben hatte. Und ich war ihm unendlich dankbar dafür. 

Aber jetzt, jetzt war er weg und die Stille hatte die Wohnung eingenommen. 

In meinen Ohren hallte das Tuten, wenn ich versuchte ihn anzurufen, gefolgt von der Ansage, dass er nicht erreichbar war. 

"Der Teilnehmer ist zur Zeit leider nicht erreichbar. Versuchen Sie es später erneut oder hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Ton!"

Ich holte zittrig Luft, ließ die Ansage durchlaufen und versuchte in der Zeit meine Stimme zu finden, nicht zu abgefuckt zu klingen. 

"Dag, bitte ruf mich zurück, wenn du das hörst. Es tut mir leid, okay?", ich kämpfte mit den Tränen, schloss die Augen, "Ich liebe dich."

Ich wusste nicht genau, wie viele Nachrichten ich schon hinterlassen hatte in den letzten Tagen, unzählige mit Sicherheit. Die Wohnung hatte ich seitdem nicht mehr verlassen, war nicht ins Studio gefahren oder hatte mich mit anderen getroffen. 

In meinem Kopf war immer nur Dag.

Ich vermisste ihn einfach so sehr.

Die Tränen flossen über meine Wangen, umklammerte Dags Kissen und weinte es nass. Es verlor langsam seinen Geruch und das machte alles noch viel schlimmer. 

Ich bereute mein komplettes Verhalten, konnte einfach nicht glauben, dass ich Dag deswegen verloren hatte, meinen Dag verloren hatte. Ich liebte ihn doch so sehr. 

Mit zitternden Armen drückte ich sein Kissen mehr an mich, zog es mehr an meine Brust und schloss die Augen, versuchte mir vorzustellen, dass ich ihn in meinen Armen hielt, etwas, dass ich in den letzten Wochen, vielleicht auch Monaten zu selten gehabt hatte. 

Wieso musste ich auch immer weg sein? Weg, mit irgendwelchen Leuten, die mir nie so viel bedeuten würden, wie Dag?

Gott, wie sehr ich das alles bereute. 

Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so einsam gefühlt, wie in den letzten Tagen und ich konnte jetzt nur noch erahnen, wie Dag sich gefühlt haben muss, wenn ich ihn immer alleine gelassen hatte. Der Gedanke versetzte mir so dermaßen einen Stich im Herzen, dass es sich anfühlte, als würde es einfach durchbohrt werden. 

Ich krümmte mich etwas, drückte mir Dags Kissen ins Gesicht und murmelte immer wieder "Es tut mir leid", auch wenn er mich gar nicht hören konnte. 

Ich wünschte, er hätte mich hören können. 

Der Ring an meinem Finger schien fast schon verräterisch zu glitzern. Damals hielt ich es für eine gute Idee, dass wir beide einen Verlobungsring hatten, ich fand die Geste einfach schön, aber jetzt wünschte ich mir nur noch, dass ich tatsächlich verheiratet war. 

Dass ich mir Gedanken gemacht hätte, warum Dag nach über drei Jahren verlobt sein, immer noch nicht heiraten wollte. 

Vorsichtig drehte ich an dem Ring, der noch etwas schlichter war, als der von Dag. 

Ich konzentrierte mich nur darauf - bis mein Handy plötzlich anfing zu klingeln. 

Ich riss die Augen auf, ging sofort ran und hoffte, betete schon fast, dass es Dag war. Aber es war nicht Dag und alleine das reichte, um mich zu nerven.

"Was willst du?", murmelte ich, rieb mir über die brennenden Augen, klang einfach nur noch genervt. 

"Wann kommst du wieder rum? Mein Album muss noch produziert werden", kam mir eine sehr vorwurfsvolle Stimme entgegen, die ich nach langem Überlegen Capital Bra zu ordnen konnte, "Und du warst auch lange nicht mehr mit uns draußen."

Ich warf einen Blick auf die Markenklamotten auf dem Wäscheständer, mit denen ich mich eigentlich nicht identifizieren konnte, für die wir nie gestanden hatten. 

"Ist gerade schlecht", murmelte ich, räusperte mich kurz, um die Heiserkeit etwas los zu werden, "Dag ist weg und ich..."

"Ja, und? Was hab ich mit Dag zu tun?", wurde ich direkt unterbrochen und es versetzte mir nur noch mehr einen Stich im Herzen. Für sowas hatte ich meinen Verlobten verloren, wusste nicht, wann er wiederkommen würde. 

Mir kamen wieder die Tränen.

"Gar nichts. Aber ich liebe diesen Mann und ich hab ihn wegen meinem Verhalten verloren", ich fing leise an zu schluchzen, "Ich glaube, er hatte Recht. Mein Verhalten war falsch."

Spätestens jetzt weinte ich wieder richtig, vergrub das Gesicht in meinem Arm um das Schluchzen zu unterdrücken. Ich schämte mich, vor ihm zu weinen. Vor Dag hatte ich mich noch nie geschämt, wenn ich geweint hatte. 

Meine Hände fingen an zu zittern und es wurde mit jeder Sekunde schlimmer.

"Und was soll sein Verhalten gewesen sein?"

"Ich hab ihn alleine gelassen, war nicht für ihn da", murmelte ich leise, "Hab ihm das Gefühl gegeben, dass mir alles andere wichtiger wäre, als er."

Eine Zeit lang herrschte Stille, als würde er nachdenken müssen, was er dazu sagen soll. 

"Ach, das ist doch Quatsch, du bist doch jeden Tag wieder nach Hause gekommen. Jetzt komm raus, ich hol dich ab."

Er legte auf, während ich mein Handy sinken ließ, in meinen Gefühlen, meinen Gedanken einfach nur noch völlig verwirrt. 

Und trotzdem stand ich reflexartig auf, lief zum Wäscheständer und hatte das Markenshirt schon in der Hand, fühlte den Stoff. Es fühlte sich falsch an, das alles fühlte sich falsch an - und trotzdem tat ich es. 

Ich hang das T-Shirt zurück, schnappte mir stattdessen mein Ärzte-Shirt und zog es mir an, ehe ich die Wohnung verließ, bei Capi ins Auto stieg. 

Mit leerem Blick starrte ich vor mich hin, reagierte auf nichts wirklich. 

Der Gedanke, dass ich gerade genau das machte, was Dag gehasst hatte, weswegen er gegangen war, ließ mich nicht los. 

Und er tat verdammt weh.

Anmerkung: Capital Bra habe ich genommen, weil er am offensichtlichsten war, weil Vincent mit ihm viel produziert hat. Der ist bestimmt im echten Leben ein ganz lieber Typ! So, no hate und so^^

Road Tripping - SDP/257ers Short StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt