Kapitel 12

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Daniels P.o.V.:

"Daniel, komm raus, bitte. Alles gut?"

Dag klopfte immer wieder gegen die Badezimmertür und es wurde immer lauter und lauter. Ich drückte mir die Hände auf die Ohren, damit ich es nicht mehr hören musste, ich wollte gar nichts mehr hören.

Ich bekam keine Luft mehr - zumindest fühlte es sich verdammt danach an. 

Immer wieder schnappte ich verzweifelt nach Luft, aber mit jedem Atemzug verengte sich meine Brust immer mehr, sackte mehr in mir zusammen und gegen den Badewannenrand. 

Ich schluchzte leise, viel zu leise für das riesige Chaos, das in mir herrschte. 

"Daniel, bitte, mach die Tür auf, okay?", wieder ein lautes Klopfen gegen die Tür. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte die Tür nicht öffnen können. 

Es fühlte sich an, als wenn ich die Kontrolle über meinen Körper verloren und wenn die eine Panikattacke abflachte, kam direkt die nächste. 

Wieder schnappte ich nach Luft, aber meine Lungen schienen sich einfach nicht mit dem Sauerstoff füllen zu wollen, japste danach und krallte mich in meine eigenen Haare und zog daran. 

Mir liefen die Tränen heiß über die Wangen, befleckten mein T-Shirt und meine Haut, aber ich bemerkte es gar nicht so wirklich. 

"Daniel, bitte", ich hörte gedämpft, wie seine Stimme verzweifelter wurde, aber ich drückte mir immer noch fest die Hände auf die Ohren. Ich konnte es nicht auch noch ertragen, Dag zu enttäuschen und zu verletzen. 

Ich enttäuschte immer nur alle, noch nie hatte ich jemanden glücklich oder stolz gemacht. Mich brauchte niemand. 

Nicht mal meine Eltern waren stolz auf mich. Erst war ich im Knast, dann hätte ich meinen Abschluss fast nicht geschafft. Und die ganzen Drogen hatten dem ganzen noch den Rest gegeben.

Dass ich jetzt genau das machte, was meinen Vater glücklich gemacht hätte - Musik und dummen Humor - vergaß ich irgendwie. Er war eh nicht mehr da, ich würde ihn niemals mehr stolz machen können. 

Ich schluchzte heftig, krümmte mich mehr zusammen. Es tat so weh, weil ich ihn, trotz unserem wirklich schwierigen Verhältnis, so sehr vermisste.

Vor mir lag noch mein Handy mit leuchtendem Bildschirm und mit den neuen Nachrichten von Mike, die immer vorwurfsvoller wurden. 

Es gab nur drei Menschen in meinem Leben, bei denen ich jemals das Gefühl gehabt hatte, genug zu sein - Dag, Keule und Mike. Und die letzten zwei hatte ich schon verloren. 

Alles entglitt immer mehr und mehr. Selbst fast 1000 Kilometer weit weg, wo ich mein Leben vielleicht in den Griff hätte bekommen können, bekam ich es nicht hin. 

"Ich schwöre dir, ich brech gleich die Tür auf."

Ich zuckte heftig zusammen, versuchte mich irgendwie zur Tür zu kämpfen, um sie noch rechtzeitig aufreißen zu können. "Bitte nicht, das können wir uns beide nicht leisten."

Der Versuch zu grinsen wurde von den heißen Tränen, die noch immer über meine Wangen liefen, und den spärlichen Versuchen, Luft zu bekommen, verhindert. 

Dag zog mich sofort in seine Arme, zog mich mit in die Badewanne und drehte das Wasser ganz kalt auf. Ich keuchte leise, wollte mich aus seinen Armen befreien, aber er war doch sehr viel stärker als ich. 

"Tut mir leid, aber du musst einen klaren Kopf bekommen", murmelte er leise, zog mich stärker an sich, während ich nur noch weinen konnte. Ich bohrte meine Nägel fest in die Haut seiner Arme, hinterließ sicherlich hässliche Spuren. 

Erst nach einer Weile - als meine Zähne schon anfingen zu klappern - konnte ich spüren, wie die Panik langsam etwas nachließ und ich nicht mehr das Gefühl hatte, jeden Moment zu ersticken. 

"Atme, okay? So wie ich es dir gezeigt habe", Dag sprach ganz ruhig mit mir, atmete mir den Rhythmus laut vor, bevor er das Wasser ausstellte und mich mit aus der Badewanne zog. Erschöpft setzte ich mich auf den Rand der Badewanne, spielte mit meinen Händen.

Ganz sanft zog er mir die nassen Klamotten aus und trocknete mich mit einem großen Handtuch ab, während ich nur weiter gegen die Tränen kämpfte und wie verrückt zitterte. 

"Dir... Dir muss doch auch kalt sein, oder?", murmelte ich leise, zupft vorsichtig an dem nassen Stoff, das einmal sein T-Shirt war. Schnell zog er es sich aus und ich zwang mich sofort dazu, wegzuschauen, mich bloß nicht in seinem Anblick zu verlieren. 

Dass ich selbst komplett nackt war, versuchte ich ebenfalls zu verdrängen. 

"Es geht schon, Daniel, alles gut", murmelte er leise, trocknete mich weiter ab und holte aus dem Schlafzimmer warme, dicke Klamotten, die ich mir schnell überzog. Dabei hielt ich den Blick weiter gesenkt, versuchte immer wieder Luft durch meine verstopfte Nase zu ziehen. 

Immer wieder zupfte ich an meinen Ärmeln, war total verunsichert und ausgelaugt von der Panik. 

"Dag", murmelte ich leise, sah ihn mit schwimmenden Augen an, so schwimmend, dass die Tränen fast wieder überquollen, "Es tut mir leid, dass ich dich enttäusche. Und dass du nicht stolz auf mich sein kannst."

Er erstarrte, sah mich plötzlich ganz schockiert an, aber ich blieb einfach nur sitzen, reagierte auf seinen Blick gar nicht. Und ich versuchte auch gar nicht, hinzusehen. 

Erst, als er mich dazu zwang, ihn anzusehen, in dem er sich einfach vor mich kniete und mich ernst ansah. 

"Daniel, ich bin unglaublich stolz auf dich", er klang so ernst dabei, aber ich konnte es ihm nicht glauben. 

Noch nie hatte jemand diese Worte zu mir gesagt und sie dann auch noch ernstgemeint - ich war einfach kein Mensch, auf dem man stolz war.

"Glaub es mir, bitte. Weißt du, worauf ich so unglaublich stolz bin?", murmelte er leise, nahm meine Hand und drückte sie, während ich leicht den Kopf schüttelte, "Du bist immer noch clean. Hast du mir nicht erzählt, dass man dir mit 18 nur noch ein Jahr gegeben hat? Und jetzt bis du 33 und nimmst überhaupt keine Drogen mehr."

"Aber ich bin trotzdem so kaputt", meine Stimme klang heiser, als wenn ich sie lange nicht benutzt hätte, und so erstickt von Tränen. 

"Das bin ich auch. Wir sind gemeinsam kaputt", er lächelte mich traurig an, drückte meine Hand noch fester, "Wir sind so schön kaputt."

Ich bekam leichte Gänsehaut, erinnerte mich noch gut, als er mir den Song gezeigt hatte. Im Nachhinein war das vielleicht auch der Moment gewesen, als ich gemerkt hatte, dass ich viel mehr für ihn empfand, als ich sollte.

"Du bist der erste, der... der stolz auf mich ist", ich konnte das Wimmern nicht unterdrücken, "Selbst meine Eltern waren nie stolz auf mich. Wegen dem Knast und den Drogen."

"Dein Vater wäre jetzt stolz auf dich, wenn er noch am Leben wäre. Glaub es mir."

Ich konnte es ihm nicht glauben. Mein Vater war nie stolz auf mich gewesen, er wäre es auch nicht, obwohl ich all das, was er verabscheut hatte, losgeworden war.

Ich senkte den Blick, krallte mich reflexartig an ihm fest, als er mich einfach hochhob und zurück ins Schlafzimmer trug. Er setzte mich auf dem Bett ab und setzte sich mir direkt gegenüber. 

Mit ernstem Blick fing er meinen ein, sah mir so tief in die Augen, dass ich schwach wurde. 

"Ich weiß, das kommt jetzt alles hoch, wegen Mike. Er ist ein Arschloch, wenn er dich nicht so akzeptiert und stolz auf dich ist, wie du bist."

Ich konnte nicht von seinen Augen wegsehen, selbst, als ich es versuchte. Verdammt, es war einfach unmöglich. 

"Aber wenn niemand anderes auf dich stolz ist, bin ich es einfach doppelt so sehr, versprochen", er lächelte mich warm an und mein Herz fühlte sich an, als würde ganz warm werden. Es war ein komisches Gefühl. 

Ich wollte es ihm glauben, ich wollte es ihm so sehr glauben. 

Aber ich fragte mich, ob er das immer noch denken würde, wenn er alles von mir wusste.

Road Tripping - SDP/257ers Short StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt