Kapitel 4: Saure Gurkenzeit

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"Komm, steig auf!"
Vic schaute skeptisch. Die Ex-Ministerpräsidentin hatte sich den Putzbesen zwischen die Beine geklemmt.
"Ich fliege besser, als ich Auto fahre, allez hopp!"
"Ich wohne nur hier den Berg rauf, ich kann wirklich auch laufen!"
In dem Moment peitschte ein Schwall Regen von der Seite und der Wind heulte in der kalten Nachtluft auf.
Die Staatsanwältin presste die Lippen aufeinander. Okay, sie gab sich geschlagen, der Tag war lang genug gewesen.

Vic war unendlich erleichtert, mit der Hilfe der anderen wieder aus dem Tunnel herausgefunden zu haben. Inzwischen war es stockdunkel geworden. Altmaier und Maas hatten sich eilig verabschiedet und AKK alles weitere überlassen.

Widerwillig stellte sich die junge Frau nun über den Besen und umgriff ihn.
"Sie müssen sich schon richtig festhalten! Die Beschleunigung ist nicht ohne von meinem guten Rennbesen!" AKK tätschelte ihn leicht und zog sich ihr Geschirrtuch fester.

Vic atmete tief durch und überwand ihr Unbehagen sich wie ein Beifahrer auf einem Motorrad an der Ex-Parteivorsitzenden festzuhalten.
Die Nähe war zu nah. Definitiv.
Aber angesichts des Umstands gleich auf einem Besen als Fluggerät abzuheben wohl unausweichlich.

Kramp-Karrenbauer hob jetzt beschwörend ihre Hände.
"Ene mene Kappes, flieg los mein Dibbelabbes! Hex, hex!"
Der Besen surrte daraufhin wie ein Elektroauto und hob sich langsam in die Höhe. Als Vic keinen Bodenkontakt mit den Füßen mehr hatte, bekam sie ein flaues Gefühl in den Magen.

Berechtigterweise. Senkrecht schossen sie jetzt gut 10 Meter in die Höhe. Vic quietschte und kniff fest die Augen zu.
Sie rauschten durch die ungemütliche Herbstnacht.
Nasse Haarsträhnen klebten in ihrem Gesicht und eine Daune hatte sich aus AKKs dunkelblauer Steppjacke rausgearbeitet und piekte Vic in die Nase. Mit auch nur einem Finger loslassen wollte sie aber auf keinen Fall. Sie klammerte sich mit größter Anspannung an die schlanke Frau vor ihr und zählte die Sekunden bis zur Landung.

"Wo soll ich Sie absetzen? Sind wir in Ihrer Straße?"
Vic nickte heftig. Egal wo sie landeten,  sie wollte einfach nur wieder Kontakt zur Erde.

Das Elektroauto Geräusch verstummte und mit zittrigen Knien spürte sie nassen Asphalt unter ihren Füßen.
Sie öffnete die Augen und erkannte ihre ungefähre Nachbarschaft.

"Sie sind ja ganz bleich! So schlimm war es nun wirklich nicht!" AKK stützte sich lässig auf ihren Besen.
Sie fuhr fort: "Wir sehen uns morgen wieder. Nach der Arbeit. Sie wissen ja, wie Sie uns finden."
Sie klemmte sich den Besen flink wieder zwischen die Beine.

Vic wollte endlich nur nach Hause, aber eine Sache beschäftigte sie schon die ganze Zeit.
"Kann ich Sie noch was fragen?"
Kramp-Karrenbauer nickte.
"Wieso wollen Sie Merz eigentlich aufhalten? Ist das nicht nach ihrem Geschmack, die Zeit ein wenig zurück zu drehen? Sie sind doch so konservativ."

AKK ignorierte die Betonung auf dem letzten Wort.
"Ja, das stimmt, ich bin konservativ. Ich halte nicht alle neumodischen Entwicklungen für begrüßenswert. Wir sollten uns vielmehr auf unsere Werte besinnen! Aber ich kann nicht Merz das Zepter überlassen. In den 70ern habe ich als Frau keine Chance auf politische Karriere. Dabei bin ich die bessere Parteivorsitzende. Ich bin die rechtmäßige Nachfolgerin von Angela Merkel. Ich werde die CDU wieder zu altem Glanz und ins Kanzleramt zurückführen! Das Land braucht mich!"
Vic hob die Augenbrauen. War das ein leichter Anflug von Größenwahn? Eine bekannte Unionskrankheit.
"Und wieso machen Herr Altmaier und Herr Maas da mit?"

"Peter ist ein verlässlicher Mann, er will den Wunsch von Angela unterstützen, sie haben jahrelang eng zusammengearbeitet. Er würde zudem wieder Minister in meiner Regierung werden. Und wir wissen, dass es ohne die SPD nicht geht. Die alte SPD. Ich bin Heiko sehr verbunden, dass er Koalitionsgespräche für eine Neuauflage der Groko führen würde!"
Sie kräuselte entschlossen die Lippen. Sie hatte scheinbar einen echten Plan.

Das SchattenkabinettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt