Kapitel 10: Actio pro Sozi

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„Dieses Gesetz ist frauenfeindlich! Dieses Gesetz ist männerfeindlich! Dieses Gesetz ist familienfeindlich! Dieses Gesetz ist volksfeindlich!
Deshalb darf es nicht in Kraft treten! Vielen Dank."

Der Mitte vierzig Jährige raffte seine Blättersammlung auf dem Rednerpult zusammen und ging zurück zu seinem Platz im Plenum.

"Das war der Vorsitzende des Rechtsausschusses Dr. Carl-Otto Lenz von den Christdemokraten. Als nächstes spricht der Bundeskanzler Friedrich Merz."

Vic verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf dem Stuhl der Besuchertribüne zurück. Honecker schwebte auf dem Platz neben ihr und warf ihr ein Augenrollen zu.

Die beiden hatten die Abschlussdebatte bisher stillschweigend von hier oben verfolgt.
Ein weiterer Besucher hätte sich bei der Platzwahl fast auf den unsichtbaren Ex-SED Generalsekretär draufgesetzt. Eine Fluch-Tirade von ihm konnte Vic gerade noch durch einen vorgetäuschten Hustanfall abwenden. Nun hatten sie um sich herum genug Platz, um sich bei Bedarf unauffällig unterhalten zu können.

Derweil räusperte sich der Bundeskanzler im dunkelblauen Anzug und begann seine Rede.

"Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,
wie mein Vorredner schon sagte, braucht es keine Reform des Ehe- und Familienrechts. Dieses neue Gesetz gibt dem treuen Ehegatten keinen Schutz! Es gibt den Kindern keinen Schutz vor Scheidung! Ein Ehegatte allein bestimmt, ob die Ehe dauern soll oder nicht.
Kein Gericht und kein Ehegatte kann sich dem länger als dreieinhalb Jahre widersetzen. Die Ehe wird damit eine unverbindliche, leicht scheidbare Gelegenheitsgesellschaft, die den ehetreuen Ehegatten weit weniger schützt als das Mietrecht den vertragstreuen Mieter."

Applaus brandete in den Reihen der CDU Fraktion auf. Er fuhr fort:

"Für uns, als CDU/CSU Fraktion, ist die Ehe nicht nur eine deklaratorische Feststellung. Sie ist vielmehr ein notwendiges Bekenntnis zur Werteentscheidung unserer Verfassung, meine Damen und Herren! Unsere Rechtsordnung kann und darf sich nicht damit begnügen, durch das staatliche Ehescheidungsrecht ein möglichst schnelles, unauffälliges und unverbindliches Auseinandergehen der Eheleute in die Wege zu leiten. Sie hat vielmehr zur Überwindung von Konflikten beizutragen, indem sie Einrichtungen zur Verfügung stellt und Maßnahmen vorsieht, die der Wiederversöhnung der Ehepartner dienen können", betonte der Kanzler.
"Wieso, sollte der scheidungswillige Partner auch noch belohnt werden für sein eigenes Ehe zerrüttendes Verhalten? Eine nicht einvernehmliche Scheidung, bereits nach drei Jahren Getrenntleben und ohne, dass der Partner widersprechen kann, wird es mit uns nicht geben. Das produziert Ehegatten, die Partner wechseln und Kinder, die Eltern wechseln."

Merz kehrte unter lautem Jubel zu seinem Platz zurück. Als nächstes wurde ein Sozialdemokrat ans Rednerpult gerufen.

"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wem hilft es denn, eine auf diese Weise zugrunde gegangene Ehe auf dem Papier bestehen zu lassen? Wird hier nicht Eheschutz mit Sühnebedürfnis verwechselt?
Das neue Recht will in dem Falle eines solchen Scheiterns nicht in erster Linie strafen und ahnden, sondern helfen und dafür sorgen, dass Eheleute ohne Hass, mit einem Minimum an Bitterkeit und einem Maximum an Fairness auseinandergehen.
Wer die Scheidung in den soeben angeführten Fällen verweigert, bewirkt, dass Ehegatten auf eine Ehe fixiert bleiben, die nur noch auf dem Papier existiert. Dass der aus der Ehe Herausstrebende neue Bindungen nicht legalisieren kann und auch der an der Ehe festhaltende Partner daran gehindert wird, sich ein neues Leben aufzubauen.
Welches Interesse sollte der Staat hieran haben? Er kann nicht verhindern, dass ein Ehegatte einseitig und ohne einen in der Person des anderen liegenden Grund seine Ehe aufgibt und das wissen sie selbst."

Das SchattenkabinettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt