Kapitel 17: Prisma

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Der Teppichboden dämpfte jeden ihrer Schritte.
Trotzdem schlichen die beiden Frauen über den Flur des zweiten Stockwerks auf Zehenspitzen.
Sie nahmen gerade noch rechtzeitig das ins Schloss Fallen der Hotelzimmertür in der Mitte des Gangs wahr.
"Hast du gesehen? Da vorne ist er rein", wisperte Vic ihrer Komplizin von hinten ins Haar.

Mit einem Ruck richtete sich Thérèse ein Stück auf und verpasste der hinter ihr kauernden Staatsanwältin fast einen Kinnhaken.
Dann winkte sie sie mit kleinen Bewegungen hinter sich her. Schnell huschten sie auf die gegenüberliegende Flurseite und hielten vor der besagten Tür inne.

-"Kannst du was hören?"
Thérèse schüttelte den Kopf und presste ihr Ohr für einen Moment noch stärker gegen die Tür: "Es ist zu gedämpft."
-"Wir müssen in das Zimmer nebenan, vielleicht hören wir da mehr?"
Die Zeitreisende nickte und ging zielstrebig auf die benachbarte Tür zu:
"Zimmerservice!"

Sie klopfte und wartete für Vics Geschmack viel zu kurz bevor sie entschlossen die Türklinke runterdrückte und dran rüttelte.
"Scheint nicht belegt zu sein", meinte sie achselzuckend.
Der anderen Frau war das Herz derweil in die Hose gerutscht, sie hasste es, von solchen Situationen überrumpelt zu werden. Wenigstens hatte niemand wirklich die Tür geöffnet.

"Und jetzt?"
-"Jetzt buchen wir uns ein Zimmer. Merk dir die Nummer!", flötete sie, während sie schon die Treppen nach unten sauste.

"Sagen Sie, ist Zimmer 58 noch frei? Dort habe ich schon mal gewohnt und man hat so einen herrlichen Blick über den Markt!", schwärmte Thérèse und der Rezeptionist ließ den Finger über die Reihe mit Schlüsseln wandern, die hinter ihm an der Wand hingen.
"Da haben Sie aber Glück!", beschwingt hielt er der jungen Frau einen Zimmerschlüssel vor die Nase und wirkte sichtlich begeistert, ihr diesen Gefallen tun zu dürfen.
"Wie viele Nächte?"

-"Ich denke zwei reichen." Sie warf einen prüfenden Blick zu Vic, die einen Meter entfernt neben ihr stand und das Schauspiel stumm beobachtet hatte.
"Also zwei Personen, zwei Nächte...wunderbar. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt. Frühstück gibt es ab 7:30Uhr."

Thérèse nahm ihm den Schlüssel vom ausgestreckten Finger und machte mit einem Lächeln kehrt. Vic folgte ihr in diesem aufzuglosen Hotel die Treppen nach oben.

"Okay, was siehst du?", zischte diesmal Thérèse der Staatsanwältin von hinten über die Schulter.

Diese hatte sich ein wenig gefährlicher als nötig über die Balkonbrüstung gelehnt, um in das benachbarte Hotelzimmer blicken zu können. Es teilte sich den selben Balkon mit ihrem Zimmer, allerdings durch eine mannshohe Trennwand geteilt.

-"Nichts. Die Balkontür ist auf, aber der Vorhang ist zu."

Sie fixierte die Falten des dicken Stoffes, die sanft im Wind schaukelten, bis der Vorhang plötzlich aufgerissen wurde.

"OUUUH FUCK", presste sie hervor und wollte schnellstmöglich ihren Kopf und Oberkörper auf die richtige Seite des Balkons bringen.
Das stellte sich aufgrund des Balanceaktes, den sie vollführte, aber als Herausforderung dar.
Sie bekam hinter ihrem Rücken mit einer Hand das Geländer zu greifen, konnte sich in diesem Winkel aber trotzdem nicht in die richtige Richtung ziehen und steuerte dem verlagerten Körperschwerpunkt folgend geradewegs auf einen unfreiwilligen Felgumschwung zu.

Verhindert wurde ihre Reck-Übung nur durch die Zeitreisende, die sie mit einem beherzten Griff an der Kleidung nach hinten zog und sie schnell mit dem Rücken an die Trennwand drückte.

"Hoffentlich hat er mich nicht ge-" – "Schhh!"

Thérèse legte ihrem Gegenüber einen Finger auf die Lippen, während sie sich ebenfalls schnell an die Wand quetschte. Vics groß aufgerissene Augen schauten ihr entgegen und ihr Herz pochte von innen gegen den Brustkorb.

Das SchattenkabinettWo Geschichten leben. Entdecke jetzt