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Am nächsten Tag sah Jesus Daryl erst beim Mittagessen. Sie saßen an verschiedenen Tischen und sahen sich nur einmal über die Köpfe der anderen hinweg an. Daryl saß bei Carol und als Jesus, gleich nachdem er aufgegessen hatte, aufstand, um seinen Wachdienst anzutreten, ging er, ohne einen weiteren Blick zu Daryl hinüberzuwerfen, weg. Er sah nicht mehr, dass Daryl sich in diesem Moment zu ihm umdrehte und ihm hinterher sah. Carol beobachtete das Geschehen.

>>Ist alles in Ordnung bei euch?<<

Daryls Kopf ruckte wieder zu seiner Freundin. Verwirrt sah er sie an.

>>Ja klar, warum auch nicht?<<

>>Weiß ich nicht. Ich hab' mich nur gefragt, nachdem ihr sonst fast schon unzertrennlich wart und euch jetzt nicht mal mehr anseht.<< Gespielt gleichgültig zuckte sie mit den Schultern.

>>Es ist nichts. Denke ich.<<

Carol zog fragend die Augenbrauen nach oben.

>>Was ist im Königreich passiert?<< fragte sie eindringlich.

>>Nichts, << knurrte Daryl. Dann sah er Carol ins unbewegte Gesicht und gab sich geschlagen. >>Na gut, etwas.<<

Carol gab Daryl nicht die Genugtuung weiter zu fragen. Sie blickte ihn schweigend an. Daryl verdrehte die Augen.

>>Wir hatten im Königreich nur ein Zimmer<< sagte Daryl, als würde das alles erklären.

Auch Carol sah ihn verständnislos an.

>>Ja, ich weiß. Ezekiel hat davon gesprochen einige Gästezimmer zu Unterrichtsräumen umzufunktionieren. Und?<<

>>Und eventuell sind wir uns näher gekommen.<< Daryl hatte seine Stimme und seinen Blick gesenkt.

Als Carol nichts sagte, sah er wieder auf. Sie lächelte und legte eine Hand auf seinen Arm.

>>Danke, dass du es mir erzählt hast<< sagte sie ebenso leise wie er.

Dann aß sie ungerührt weiter und ließ Daryl staunend sitzen. Dann grinste auch er. Er war froh, in Carol so eine gute Freundin gefunden zu haben. Was hatte er auch erwartet, was geschehen würde? Immer noch rechnete er damit verurteilt zu werden, weil er sich auch zu Männern hingezogen fühlte. Wenn sich scheinbar alle für ich freuten, konnte er es sich selbst doch auch erlauben, oder? Oder?

Die nächsten zwei Tage vergingen ebenfalls, ohne dass Daryl und Jesus sich mehr als einen flüchtigen Blick zuwarfen. Es war keine kalte Stille, die zwischen ihnen herrschte. Eher spürten sie beide, dass sich ihre Beziehung zueinander, seit sie im Königreich gewesen waren, verändert hatte. Und solange man nicht darüber sprach, wurde diese Veränderung auch nicht real.

Am folgenden Abend hatte es sich Daryl wieder in der Scheune eingerichtet. Seit er zurückgekehrt war, war er lediglich in seinem Trailer gewesen, um seine Kleidung zu wechseln. Er wollte nicht in dieser Sardinenbüchse schlafen. Zumindest nicht allein. An einen Heuballen gelehnt las er in dem Buch, das er im Königreich begonnen hatte. Er hatte es vor der Abreise in seinen Rucksack gesteckt und würde es bei seinem nächsten Besuch wieder zurückbringen. Als er von den Trailern das Geräusch von Schritten hörte, sah Daryl von seinem Buch auf. Es war dunkel, aber trotzdem konnte er einen wippenden Manbun ausmachen. Er musste grinsen. Jesus schien auf dem Weg zum Barrington Haus zu sein. Kurzentschlossen legte Daryl sein Buch weg und nahm seine Armbrust zur Hand. Der Pfeil sirrte fast lautlos durch die Nacht und blieb direkt vor Jesus in einer Trailerwand stecken. Ohne zu Zucken blieb Jesus stehen. Er schmunzelte, ohne dass Daryl dies sehen konnte. Ersah nur, dass die Gestalt, die er für die Jesus hielt, den Pfeil aus der Wand zog und ihre Richtung änderte. Kurze Zeit später knarzte die alte Holzleiter und Jesus schlanke Gestalt schob sich auf den Heuboden.

>>Ich glaube, du hast hier was verloren<< grinste er und überreichte Daryl den Pfeil.

Daryl grinste ebenfalls schüchtern.

>>Danke.<<

Jesus setzte sich neben Daryl. Ihre Beine baumelten über die Kante des Bodens. Schweigend sahen sie in die Nacht hinaus. Dann brach Jesus die Stille.

>>Du hättest mich nicht gleich erschießen müssen, um mit mir zu reden.<<

>>Du hast nicht mal gezuckt<< stellte Daryl fest. >>Was machst du überhaupt hier draußen?<<

>>Dasselbe könnte ich dich fragen. Hast du hier geschlafen seit wir zurückgekommen sind?<<

Daryl nickte.

>>Ich wollte nicht im Trailer schlafen. Nicht alleine.<<

Erstaunt sah Jesus ihn an.

>>Daryl - << begann Jesus.>>Ich hab' Tara von uns erzählt. Sie hat mir keine Ruhe gelassen.<<

>>Ich hab's Carol erzählt.<<

Jesus sah ihn noch erstaunter an.

>>Und Aaron.<<

Wenn man dachte, dass Jesus Augen nicht noch größer werden konnte, täuschte man sich. Dann lachte er.

>>Okay, du hast also wirklich kein Problem damit.<<

Daryl schnaubte amüsiert auf.

>>Ich habe seit einiger Zeit mit weniger Dingen Probleme, wie du weißt.<<

Jesus errötete leicht und dachte an die Nächte im Königreich.

>>Kann ich dich was fragen, ohne, dass du ausrastest?<<

Daryl sah den jüngeren Mann an und nickte ernst.

>>Wie geht es weiter mit uns, Daryl?<<

Der Jäger sah wieder in die Nacht hinaus.

>>Ich hab' ernst gemeint, was ich in der Schule zu dir gesagt habe<< sagte er dann. >>Ich will nicht mehr ohne das sein, was wir haben. Ob wir es jetzt Beziehung nennen oder nicht. Ich konnte mich dir mehr öffnen als je jemand anderem. Ich hab' dir Dinge erzählt, die weiß nicht mal Carol über mich. Und ich will dich nicht verlieren.<<

Jesus' Augen glänzten, als er Daryl ansah.

>>Versprichst du mir, dass ich dich mehr Sachen fragen darf, ohne dass du mich im Wald verprügelst?<<

Daryl lachte auf. Dann nahm er Jesus Gesicht in seine Hände und küsste ihn.

>>Ich liebe dich, Paul Rovia.<<

>>Ich liebe dich, Daryl Dixon.<<

***

Am nächsten Morgen fuhr ein mit einem Zelt beladener Pickup durch das Tor nach draußen. Tara, Carol und Aaron standen auf der Veranda des Barrington Hauses und sahen Daryl und Jesus grinsend hinterher.

Ende

Kopf aus - A Desus LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt