Kapitel 33

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Der Schuss, der die angespannte Stille zerriss, verfehlte Lee So Man nur knapp. Sofort erklang der nächste, doch nun war Taos Vater bereit und wich der tödlichen Kugel aus. Tao wandte sich ruckartig in die Richtung des Schießenden und hielt seinen Atem an. An einem der Fenster stand Lisa, bewaffnet mit einem Gewehr, dass sie im Moment nachlud, die Augen voller Hass auf den Mann gerichtet, der ihre Familie vor ihren Augen tötete. Sie zielte erneut, ruhig berührten ihre Finger den Abzug, doch Lee So Man reagierte schneller und zog in hoher Geschwindigkeit eine Waffe hervor, die er in Lisas Richtung abfeuerte. Ihr schmerzvoller Schrei erklang in der Luft, ein Schrei der in dieser Stille grellend laut vorkam. Niemand bewegte sich, keiner wagte es, ein zu lautes Geräusch von sich zu geben. Erleichterung durchfuhr Tao, als das Mädchen wieder vor dem zerbrochenen Fenster auftauchte. Ihr Gesicht blutete, dass erkannte er aus der Entfernung. Trotz dessen sah sie wunderschön aus, obwohl dieses Funkeln in seinem Innerem fehlte. Er liebte sich nicht, dass er verstand er. Zumindest nicht so wie den Kaiser. Er hatte sie nie so geliebt, denn dieses schöne Gefühl hatte er nie zuvor gehabt, bis er sich seine Gefühle zu Yifan eingestand. Er liebte Lisa anders. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, als diese Gedanken durch seinen Kopf jagten. Vielleicht nur drei Sekunden, vielleicht weniger. Es war auf jeden Fall zu spät, als er bemerkte, dass sein Vater erneut zielte. Lisa schaffte es nicht, ihre eigene Waffe nachzuladen. „NICHT!" Tao warf sich auf seinen Vater und riss ihn zu Boden, doch der Abzug war schon gedrückt. Lisas lebloser Körper lehnte sich langsam nach vorne und fiel aus dem Fenster, mehrere Meter runter, wo er auf den steinigen Boden abprallte. Das Blut spritzte wild umher, traf die nebenstehenden Personen, die nur entsetzt ihre Köpfe wegdrehten. Tao hatte das Gefühl, seine Lunge würde ihm jeglichen Sauerstoff wegschneiden. Es kribbelte überall, sein Herz pochte in ungesunder Geschwindigkeit und Sterne funkelten in seinen Augen, vermischt mit einem aufsteigenden Schwarz. Dann war alles weg, er sah nur seinen Vater unter sich, der ihn ausdruckslos ansah. „Du liebst sie sowieso nicht." „D..du.." Taos Stimme war nur ein Hauchen. „D..du hast sie umgebracht.." „Ja, Zitao." Lee So Man richtete sich langsam auf und schon Tao von sich runter. „Du hättest sie nie geliebt, wie du den Kaiser liebst." „Vater, du hast Lisa getötet." Unaufhaltsam flossen die Tränen an Taos blassen Wangen herab. „Tao, welchen Nutzen hat ihr Leben für dich?" Lee So Man berührte Taos Wange. „Du hättest ihre Liebe niemals erwidern können. Du liebst sie nicht. Und sie weiß es nicht. Sie gehört Familie Huang an, aber sie weiß nicht, dass sie einen Zwillingsbruder hat." Tao wollte nicht zuhören. Er wollte, dass der Mann vor ihm einfach still blieb. „Du hast meine Freundin umgebracht." „Zitao, Lisa durfte nie deine Freundin werden!" Tao zuckte zusammen und schaute zu seinem Vater auf. Jegliche Fürsorge, jegliches Gefühl zu seinem Sohn waren verschwunden. Kalter Hass starrte Tao an. „Sie ist deine Schwester, Huang Zitao. Huang Lalisa Manoban ist deine Zwillingsschwester! Du bist der verschwundene Sohn, Huang Zitao. Ich hatte dich damals entführt, weil ich deine Mutter liebte, doch dieses Weib entschloss sich, den Mann mit dem höheren Status zu heiraten. Nur einen Sohn, Zitao.." Lee So Man trat näher an den Jungen heran. „Nur einen einzigen Sohn wollte ich von ihr und das hatte sie mir verwehrt. Deshalb nahm ich mir dich an mich und zog dich auf, als wärst du mein eigener." Mit dem Daumen strich der Mann Taos Tränen vorsichtig aus dessen Gesicht. „Schau mich nicht mit diesem leeren Gesichtsausdruck an, Zitao. Hast du vergessen, dass ich ein guter Vater war? Ich habe dich geliebt, liebst du mich auch wie einen Vater?"
Tao traf das Gesicht seines vermeintlichen Vaters mit voller Wucht. Lee So Man hatte nicht einmal die Zeit, etwas zu sich zu kommen, da saß schon der nächste Schlag, dann ein weiterer. Blut floss dem ehemaligen General der Drachenarmee aus der Nase, die Lippen waren aufgeplatzt, als Tao weiter auf den Mann einschlug. Immer wieder schlug er zu. Sein angeblicher Vater verschwamm vor seinen Augen, er wurde müde, doch der Gedanke an Lisa, seine Schwester, wie sie tot aus dem Fenster fiel, gab ihm neue Kraft. Irgendetwas zerrte an ihm und versuchte ihn von dem Monster vor ihm wegzudrücken, doch er wehrte sich. „Taozi.." Diese Stimme. Tao hielt inne. „Komm her." Es bedurfte nur diese zwei Wörter und schon versank Tao in Yifans Armen und fing hemmungslos an zu weinen. Und er weinte lange, während Yifan ihm über den Rücken strich und seinen Kopf küsste.

Wanted //Taoris//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt