Kapitel 18

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"Shan? Bist du dir sicher?", fragte Rex.
"Hat er jedenfalls gesagt.", sagte der Junge.
"Ich schaue mir das einmal an. Lily, du bleibst hier.", befahl Rex. Obwohl ich unendlich gerne mitgehen wollte, konnte ich nicht. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft mich selbstständig aufzusetzen. Das musste jemand anders für mich übernehmen. Ich konnte nichts anderes tun als auf diesem Sofa zu liegen, vor Schmerzen die Augen zusammenkneifen und warten bis Rex zurück kommt und mir vielleicht das Leben retten kann. Ich wollte mich nur kurz entspannen aber ich schlief augenblicklich ein.

Nur eine halbe Stunde später wachte ich wieder auf. Ich hatte ein Drittel meiner noch verbleibenden Zeit mit schlafen verbracht! Rex hatte seine Hand noch an meiner Schulter, weil er mich durch ein Schulterdrücker aufgeweckt hatte. Neben ihm stand ein grosser, schwarzhaariger Mann. Seine eisblauen Augen liessen mich erschaudern.
"So, da alle nun wach sind, können wir jetzt ja anfangen.", sagte Rex.
"Hi, ich bin Shan.", sagte der Mann und reichte mir seine Hand. Ich war nun nicht mehr fähig, auch nur meine Hand zu bewegen, also sagte ich stattdessen einfach: "Hi, ich bin Lily."
"Das erkenne ich.", sagte Shan.
"Und kannst du mir nun helfen? Denn wenn nicht möchte ich ehrlich gesagt meine restliche Zeit nicht mit einem fremden Menschen verbringen."
"Ja ich kann dir helfen. Aber ich kann nicht viel tun, denn nicht ich bin der, der die Schmerzen ertragen werden muss."
"Es kann ja nicht mehr schlimmer werden als es bereits ist."
"Also, um zu erklären was ich mache, was du machen musst und was danach passiert brauche ich jedoch noch ein paar Minuten. Fangen wir mit dem Teil danach an. Du wirst danach ein Hybrid sein. Eine Mischung aus Werwolf und Vampir.", erklärte Shan.
"Ich möchte euch ja ungerne unterbrechen, aber wir müssen uns schon mal auf den Weg machen.", sagte Rex.
"Ja, kein Problem. Ich kann es ihr auf dem Weg erklären.", sagte Shan und ich wurde plötzlich von Rex hochgehoben und aus dem Zimmer getragen. Ich fragte nicht, wohin wir gehen, denn im Moment war mir wichtiger wie ich überleben kann.
"Nun, eine Mischung aus Werwolf und Vampir zu sein ist eigentlich ein Privileg. Du bist doppelt so stark, kannst dich trotzdem in einen Werwolf verwandeln, musst jedoch Blut trinken. Dich schwächt weder Stahl noch Eichenholz. Du musst dir vorstellen, wenn dich jemand mit Eichenholz angreift, nimmt deine Werwolfseite überhand und umgekehrt. Hast du das bis jetzt verstanden?", erklärte Shan.
"Ja.", sagte ich leise.
"Gut, dann zu deinem Teil. Wir werden nun zu deinem alten Zuhause fahren, weil du dort zum Werwolf wurdest. Eigentlich müssten wir auch zu dem Ort mit der ersten Vampirbegegnung, aber bei dir ist das glücklicherweise der gleiche Ort. Ich glaube nicht, dass wir das sonst noch schaffen würden. Alles was du tun musst, ist dich in einen Werwolf zu verwandeln und als Werwolf menschliches Blut zu trinken."
"Ich möchte aber keinen Menschen umbringen."
"Musst du auch nicht.", Shan wedelte mit einem Blutbeutel herum. "Das ist von Blutspenden. Es ist also niemand dabei gestorben. Zu meinem Teil. Du weisst sicher dass man mit Vampirblut im Organismus nicht sterben kann, oder?", Shan redete immer schneller.
"Ja.", sagte ich erneut.
"Erschrecke bitte nicht, aber dann muss ich dir das Genick brechen. Das wird dich nicht töten, da das Gift von einem Vampir die gleiche Wirkung hat. Wieso weiss ich nicht wirklich.", mein Körper spannte sich an. Ich werde sterben. Und ich habe mich noch nicht einmal von Tresha verabschiedet, falls irgendetwas schief laufen sollte.
Wir kamen bei meinem alten Haus an. Nach der Berechnung von Rex hatte ich noch eine halbe Stunde. Ich wurde auf die Delle gelegt, wo ich gelandet bin, als ich aus dem Fenster gesprungen bin.
"Jetzt verwandle dich bitte.", sagte Shan. Mit Mühe konnte ich mich ohne das Rennen trotzdem verwandeln. Es war schmerzhaft und anstrengend, aber auszuhalten.
"Hier ist das Menschenblut. Trink es jetzt bitte.", sagte Shan und reichte mir den Blutbeutel. Ich würgte das Blut herunter. Es schmeckte scheusslich. Shan kam zu mir.
"Schliess die Augen.", flüsterte er. Ich schloss meine Augen erst nach mehreren Sekunden. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mich gerade von jemandem töten lasse, den ich gerade einmal eine halbe Stunde kenne. Dann zwickte es im Nacken und meine Augen rollten nach innen.
*****
Der Wind weht durch meine Haare. Meine Füsse graben sich in den Sand. Das Rauschen der Wellen beruhigen mich. Mein Bruder lag direkt neben mir auf einem Badetuch. Meine Eltern sind in den Supermarkt gegangen. Ich stehe auf, nehme eine Hand voll Sand und lasse ihn über meinen Bruder rieseln.
"Lily!", quiekt mein Bruder.
"Kommst du ins Meer?", frage ich. Ohne zu antworten steht er auf und rennt in die Wellen. Ich renne ihm nach und schubse ihn ins Wasser. Daraus entstand dann eine Wasserschlacht. Meine Eltern kommen zu uns.
"Wir haben euch ein Eis gekauft.", sagt meine Mutter. Dankend nehmen wir das Eis, liegen uns auf eine Liege und lecken an unserem Eis. Ich war glücklich. Definitiv. Und ich hoffe, dass es noch mehr solche Momente in meinem Leben geben wird.
*****
Meine Augen öffneten sich langsam. Ich lebe. Ich drehte meinen Kopf und es knackte in meinem Genick. Es schmerzte kurz, aber der Schmerz nahm schnell ab.
"Lily?", eine Stimmte sagte meinen Namen. Ich versuchte scharf zu sehen. Zwei Köpfe beugten sich über mich. Ich wollte mich aufsetzten, aber ich sackte nach wenigen Zentimetern wieder auf den Boden.
"Wo bin ich?", fragte ich verwirrt.
"Bei dir Zuhause.", sagte eine Stimme. Endlich konnte ich sie zuordnen. Sie gehörte zu Rex. Und der andere? Ich sah in zwei eisblaue Augen. Jetzt erinnerte ich mich wieder. Das war Shan, der Werwolf-Vampir.
"Bin ich ein Vampir?", fragte ich.
"Ich weiss es nicht. Lass es uns ausprobieren.", sagte Shan und kramte in seiner Tasche. Ich möchte kein Vampir sein. Ich möchte aber auch nicht tot sein. Ich möchte einfach nur mein Leben als Mensch mit meiner Familie weiterführen. Shan hatte nun gefunden, was er suchte. Es war ein Blutbeutel. Mein Rachen und meine Augen fing an zu brennen. Ich spürte ein zwicken in meinem Mund und merkte, dass ich mich mit meinen eigenen Zähnen geschnitten hatte. Vorsichtig tastete ich mit meiner Zunge meine Eckzähne ab. Sie waren spitzig und scharf wie ein Messer. Ich griff hungrig nach dem Blutbeutel und saugte ihn in einem Zug aus. Es schmeckte so gut.
"Gib mir noch einen.", knurrte ich.
"Konzentriere dich auf deine Familie. Du willst kein Blut.", Shan versuchte mich zu beruhigen. Ich knurrte. Ich war so wütend. Und dann verwandelte ich plötzlich. Es war mir egal, warum ich mich verwandeln konnte. Ich konnte mich nur noch auf Blut konzentrieren. Shan und Rex wichen zurück. Ich schnappte nach Shan's Tasche, erwischte sie jedoch nicht. Shan warf seine Tasche zu Rex, der sie verdutzt fing. Dann knurrte mich der schwarzhaarige an. Ich knurrte zurück. Er sprang und verwandelte sich augenblicklich in einen Wolf. Er war viel grösser als ich. Sein Fell war pechschwarz und seine Augen blau wie Eis. Er knurrte wieder. Ich legte meine Ohren und verwandelte mich dann zurück.
"Was war das?", fragte ich. Wieso hatte ich das getan? Ich wollte das garnicht. Wirklich.
"Das ist bei mir auch passiert. Es wurde allerdings einwenig mehr Blut vergossen.", erklärte Shan.
"Ich würde jetzt ehrlich gesagt gerne zurück gehen.", sagte Rex.
"Ich glaube es ist besser, wenn Lily und ich nicht zurück gehen. Wir sind immer noch zur Hälfte Vampir und die grössten Feinde der Vampire sind die Werwölfe.", sagte Shan.
"Wohin willst du denn mit ihr gehen?", fragte Rex.
"In das Dorf, in das ich damals ging, als ich den Angriff auf die Vampire startete."
"Wie kannst du dir sicher sein, dass sie euch nicht töten werden?"
"Kann ich nicht, aber wir beide zusammen sind stärker als eine Armee Vampire."
Nach langem Überlegen sagte Rex: "Na gut. Aber ich werde euch besuchen kommen."
"Einverstanden. Aber komm alleine ja?", die Beiden verabschiedeten sich und dann rannte Rex als Werwolf davon.
"Lily?", fragte Shan.
"Ja?", antwortete ich.
"Bist du genug fit um zu rennen?"
"Ja."
"Dann werden wir jetzt eine Weile laufen."

Wir hatten den Rauch schon von Weitem gesehen. Alle Häuser waren niedergebrannt. Wir hatten niemanden gefunden, der überlebt hat. Shan lief auf ein hohes Haus zu.
"Das war einmal so etwas wie das Königshaus. Der Rudelanführer wohnte hier.", erklärte Shan. Wir gingen ins Haus und fanden eine rote Schrift an der Wand. Es war Blut.

Wir werden euch finden.

Die VerwandlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt