2/Mistelzweig und Liebesbriefe Teil 1

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Autor: Yrwanna Czarna

Fragt mich bitte bloß nicht, wie Sarah das geschafft hat!?
Ich war von meiner eigenen Zustimmung noch ganz verdattert, dass ich im selben Moment mit ihr und in Festtagsgarderobe im Foye des Campus stand.
Was ritt mich mit ihr diesen amerikanischen Weihnachtstraum - oder eher meinen Albtraum - aus Gold, Weiß, Rot und Tannengrün mit beizuwohnen!?
Überall glitzerte, schimmerte und funkelte es, dass einem schwindlig werden konnte.
An Weihnachtskugeln, Lametta, Zuckerstangen, Sternen, Tannengrün und vor allem Mistelzweigen sparte die Uni wirklich nicht!
Nicht mal an der Audiotechnik, aus der bereits am Eingang die flockigen Jingles um die Ohren klimperten.

Während ich ungewohnt scheu von einem Bein zum anderen trat, beäugte ich verunsichert die ganze glamouröse Szenerie.
Es war eindeutig zu viel Bling Bling und Tam Tam im Weihnachtsmannkostüm.
Ausländer wie mir, die das Ausmaß und die Idee wie hinter diesen klassisch amerikanischen "Prom Nights" nicht begriffen, war das alles viel zu viel.
"Ich glaube, ich habe es mir jetzt doch anders überlegt, Sarah! Das hier ist überhaupt nichts für mich. Ich will wieder nach Hause!" nölte ich ihr stockend die Ohren voll.

Hielte mich Sarah nicht fest, wäre ich jetzt stiften gegangen!

Doch von meinen Zweifeln und Zetern ließ sie sich nicht beirren, "Ach komm, das wird sicher ein wunderschöner Abend," und zog mich mit ihrer gewohnt fröhlichen Leichtigkeit zur Sammelgarderobe.
"Ich möchte nicht umsonst das Kleid für dich besorgt und aus dir ein Meisterwerk gemacht haben!" traf sie mit dem Argument einen Volltreffer gegen mein Gewissen.

Sie lag damit eigentlich richtig.
Ich sah bereits oft genug zu mir runter und begutachtete den romantisch-mystischen Look an meinen sanduhrförmigen Körper.
Das Kleid war wirklich der Burner!
Vom Grundschnitt war es das simple kleine Schwarze, das allerdings noch dunkle, florale Spitze vom Hals abwärts, Dekollete und Ärmel zierte.
Der Eyecatcher machten jedoch die schwarzen Federn aus, die wie Schulterstücke bis zu meinem Ausschnitt hinab führten.
Auch an meinen Ärmeln zog sich eine üppige Reihe aus diesen dunklen Daunen und nicht zuletzt am Saum meines Kleides.
Dass wir für mich eine Strumpfhose in dem fast identischen Spitzenstil und in meiner Größe fanden, grenzte an ein Wunder.
Aber vor allem taten es mir die eleganten schwarzen Budapester an.
Ich hätte es sonst Sarah nie verziehen, wenn sie mich in Absätze genötigt hätte.
Es konnte dann nur noch und definitiv in eine Katastrophe ausarten!

Während sie ihren tannengrünen Retro-Mantel auszog und darunter ein tiefrotes Kleid im gleichen Schnitt der 50er enthüllte, stand sie vor mir erwartungsvoll am Tresen.
Sie zuppelte auffordernd an meiner schwarzen Kunstfelljacke, die das Outfit in ihrer Gänze noch verhüllte.
"Jacke her! Glaube ja nicht, dass du dich heute verstecken darfst, Mona!" Platzte meine Freundin beinahe vor Aufregung und Stolz, so ungeduldig, wie sie an meiner Jacke zog.

Nun war jede Flucht zu spät.
Ich stand für den Rest des Abends auf dem Präsentierteller.

Hätte Sarah nicht noch diesen guten Job mit meinem Abend-Make-up gemacht, wäre ich in dem Augenblick bestimmt in einer ungesünderen Blässe angelaufen.
"Nun mach nicht so ein Gesicht! Sonst krümeln die Smokey-Eyes!" Tadelte sie mich für meine verzogene Miene.
"Du wirst schon sehen!" Hackt sie sich dann zuversichtlich an meinen Arm und drängte mich weiter zu der Festlichkeit. "Du wirst heute der funkelnde Weihnachtsstern am Firmament sein, der allen die Show stehlen wird!"
Die Worte, die sie in ihrem natürlichen Enthusiasmus wählte, waren manchmal fast schon zu malerisch schön.
Aber auch ich musste es mir immer wieder eingestehen, dass sie aufbauend und ansteckend waren.

Während wir durch die Campushallen schritten, die ganz nebenbei gesagt für mich eher eine Ähnlichkeit mit Santa's Spielzeugwerkstatt und einem Puff hatten, kamen uns einige Studenten entgegen, die ich nur vom Sehen kannte, Sarah allerdings von ihren Kursen umso besser.
Es wäre haushoch gelogen, dass wir uns beide aufhalten ließen.
Meine Freundin war diejenige, die mit ihnen ihre Pläuschchen begann, während ich mich neben ihr wie Falschgeld fühlte.

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