17/Mistelzweig und Liebesbriefe Teil 9

28 20 1
                                    

Autorin: Yrwanna Czarna

Ich konnte nicht anders als mitten in der tiefsten Weihnachtsnacht zur nächsten Bushaltestelle zu eilen.
Egal wie hoch sich der Schnee auf dem Weg stapelte und meine Lunge dabei rasselte.
Nicht einmal die schneebedeckten Stolperfallen oder das versteckte Glatteis hinderten mich dabei zu sprinten.

Atemlos warf ich mich dem Fahrplan entgegen.
Vor lautem Schnaufen verflog mein nebeliger Atem vor meiner Sicht, dass ich erst innehalten musste, bis ich etwas entziffern konnte.
Zum Glück hatte ich ein gutes Timing erwischt.
Laut dem Plan käme der Bus in wenigen Minuten.
Doch meine Ungeduld wie auch die Eiseskälte ließ mich an der Haltestelle auf und ab laufen.
Zur Ablenkung las ich unter der Straßenbeleuchtung immer wieder den Brief durch, um mir ins Gedächtnis zu rufen, dass es keine Einbildung war, was darauf geschrieben stand.
Erst als mir auffiel, wie sehr ich zu bibbern begann, bemerkte ich, dass sich der Bus verspätete.
"Fuck, so komme ich doch nie rechtzeitig um 21 Uhr an." Bestätigte mir auch der Blick aufs Handy.
Mir blieb nur noch etwas mehr als eine halbe Stunde übrig.
Meinen Unmut schnaubte ich frustriert mit dampfenden Atem in die Kälte hinaus.
"Nicht im ernst! Das wird doch nichts! Ich werde definitiv zu spät kommen." Schob ich durch Zeitdruck allmählich Panik.

Erst nach weiteren geschlagenen 30 Minuten schlitterte der Bus schleichend an.
Auf seinem Weg und auch in meinem folgenden, kam man nicht mit dem erneuten Freischaufeln nach, dass es sich noch so lange zog.
Zumindest saß ich nun in der Zeit im Warmen, wenn dieser auch nicht gerade geräuscharm und geruchsneutral war.
Mir blieb also nichts anderes übrig als mich in meiner schwarzen Winterjacke zurechtzukuscheln.
Meinen Schal zog ich strammer um den Hals, wie an meiner Katzenöhrchenmütze über die eigenen Ohren.
Eigentlich würde ich, während einer ungewiss langen Fahrt, Musik hören, doch in aller Eile vergaß ich, meine Kopfhörer mitzunehmen.
Ich begnügte mich, aus dem Busfenster zu schauen und die feierliche Weihnachtsbeleuchtung der gesamten Stadt zu beobachten.
Ich spürte in mir diese längst vergessen geglaubte und kindlich unschuldige Vorfreude.
Es konnte für mich nicht schnell genug gehen, doch die Fahrt dauerte länger als gewohnt, dass ich erst vor 22 Uhr an der Haltestelle zum Herrenhaus ankam.
Wie gewohnt war es ab hier ungewöhnlich dunkel.
Die Bartholys lebten am Rande der Stadt, dass die alleinige Straßenbeleuchtung nur das Nötigste beschien.

Der Schnee war aber in der tiefen Nacht so hell, dass ich mich orientieren konnte.
Nahm ich fälschlicherweise an, nachdem ich die ersten Meter in den Wald, durch den ich laufen musste, nahm.
Irgendwann kam mir jeder wiederholende schemenhafte Baumstamm wie der andere vor, die aus der weißen Decke hervorragten.
Die beißende Kälte, die an meiner Kleidung knabberte, würde ich nun mit viel Selbstbeherrschung aushalten.
Nur die allgegenwärtige Stille war hier befremdlich.
Als würde der Schnee, der den ganzen Wald benetzte, jeden Ton vorher verschlucken, bevor er in die Ferne schallte.
Selbst meine Fußtritte hörten sich unter dem Neuschnee und schlafenden Unterholz dumpfer an.

Erst als die nagende Beklemmung in mir hochkroch, wurde mir wieder mein Talent bewusst, die Wetterbedingungen zu unterschätzen.
Für mich gab es allerdings kein Zurück.
Denn das mulmige Gefühl, verfolgt und etwas am Nacken zu spüren, scheuchte mich vorwärts.
Eigentlich wäre es klug und natürlich gewesen, nach links, rechts und zurück zu schauen, ob sich zwischen den geisterhaften Nadelbäumen etwas gefährliches abzeichnete.
Doch stattdessen rutschte ich in einen Tunnelblick ab, der mich auf einen Weg lenkte, ohne mir sicher gewesen zu sein, ob es der Richtige war.

Hatte ich Panik?
War ich mir da einer latenten Gefahr bewusst?

Insgeheim hoffte ich diese wahrnehmbare Anwesenheit, als Einbildung meiner verkappten Neurodivergenz zuzuschieben.
Da war kein imaginäres Monster, das mich verfolgte und fressen wollte.
Dachte ich.
Hoffte ich.
Bis die Angst es lebendig machte.

Advendskalender Is It Love 2022Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt