„Das sieht ganz gut aus. Denke ich", murmelte Stefan und zupfte erneut an dem samtigen, roten Stoff. Dabei sah er immer noch skeptisch aus, obwohl er das Stück Stoff nun schon drei Mal umgehängt hatte.
„Mir gefällt's", antwortete ich erneut. Ich fand es bei den ersten zwei Malen schon ansprechend, aber Stefan, der Perfektionist, konnte es einfach nicht sein lassen, weiterhin an dem Stoff herum zu zupfen.
„Mum würde aus allen Wolken fallen, wenn sie den Stand so sehen würde", murmelte Stefan und ließ mit einem resignierten Seufzen die Arme fallen. „Besser wird's nicht mehr."
„Und besser hat Mama es auch nicht hinbekommen", versuchte ich ihn etwas zu beschwichtigen und klopfte ihm auf die Schulter.
Schlussendlich war es ohnehin egal, wie der Vorhang hing. Spätestens wenn die goldenen Christbaumhänger an dem roten Stoff hingen und es draußen dunkel wurde, würde niemandem mehr auffallen, dass er links vom Durchgang eine Falte mehr hatte, als rechts davon. Mal ganz davon abgesehen, dass der Vorhang seine Form sowieso nicht lange behalten würde, immerhin mussten wir immer mal wieder da hindurch.
Der Vorhang war nur dafür da, um den hinteren Teil der Hütte vor neugierigen Augen zu schützen. Das Chaos, das dahinter herrschte, wollte nämlich niemand sehen und würde wahrscheinlich nur die Kundschaft vertreiben.Stefan brummte unbegeistert. Dann verschwand er mit einem vorsichtigen Handgriff hinter dem Stoff, nur um einen Augenblick später mit der Kiste voller Christbaumschmuck zurückzukommen. Dabei blieb der rote Stoff jedoch an dem Karton hängen, wodurch sich seine Arbeit gleich wieder in Luft auflöste. Mein Bruder konnte daraufhin nur verärgert fluchen.
„Lass mich das machen", schmunzelte ich und nahm ihm die Kiste ab. „Du kannst derweil schonmal den Heizlüfter anschmeißen. Langsam wird es kalt."
Der Inhalt der Kiste funkelte mir bereits beim Öffnen entgegen und ließ mich einen Moment sprachlos. Diese Aufhänger hatten mich schon als Kind so fasziniert und auch als Erwachsener war ich noch immer von ihrer Schönheit angetan. Ich holte den ersten vorsichtig heraus und hielt die Sternschnuppe für einen Moment ins Licht, damit ich ihr Funkeln kurz anhimmeln konnte. Die Christbaumhänger wurden vor Jahren alle von meinem Vater in aufwendiger Handarbeit geschnitzt und dann mit goldener Farbe lackiert, ehe Stefan und ich sie mit goldenem Glitzer anmalen durften. Danach wurden sie noch mit Klarlack versiegelt und glänzten nun schon seit gut zwanzig Jahren jedes Jahr in eben dieser Glühweinbude an ein und demselben roten Samtstoff.
Ich konnte es kaum erwarten, den Stand schon bald fertig geschmückt zu sehen.
Die goldenen, glitzernden Christbaumhänger an dem samtigen, roten Stoff und dazu eine funkelnde Lichterkette, die Stefan und ich heute Vormittag schon über die gesamte Decke gezogen hatten.
Allein die Vorstellung daran, weckte zahlreiche Kindheitserinnerungen und löste eine furchtbare Vorfreude auf die Adventszeit aus.Meine Eltern betrieben schon seit Jahrzehnten eine eigene Glühweinbude auf einem der größten Christkindlmärkte, die es in unserer Umgebung gab. Ursprünglich hatten sie ganz klein angefangen. Der selbst gemachte Glühmost meiner Mutter war in unserer Nachbarschaft so beliebt, dass sich gleich herumgesprochen hatte, was es Gutes bei uns gab. Dadurch war der ehemalige Mieter dieses Standes auf sie aufmerksam geworden und hatte ihr angeboten, gemeinsam mit ihm in seinem Glühweinstand ihren Glühmost zu verkaufen.
Und das war ein voller Erfolg. Seitdem war meine Mutter jedes Jahr mit dabei, bis der ehemalige Mieter keine Lust mehr auf den Stand und den damit einhergehenden Stress hatte, sodass er es kurzerhand gänzlich meiner Mutter überlassen hatte.Das erste Jahr nach ihrer Übernahme war zwar etwas chaotisch, aber die leckeren Getränke und Mamas liebenswerte Art und Weise hatten dazu geführt, dass sie trotzdem noch mehr Kunden sammeln und sich dadurch problemlos auf dem Christkindlmarkt halten konnte.
Mit den Jahren kam dann auch die Erfahrung und schon bald gab es nicht nur selbst gemachten Glühmost, sondern auch Glühwein, Orangenpunsch, Kinderpunsch und seit neuestem auch weißen Glühwein. Dazu servierte Mama immer Plätzchen, die aber von unserem Bäcker des Vertrauens gebacken wurden, da sie dann doch nicht so viel Zeit übrig hatte.
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Glühwein - selfmade by Andreas ✓
RomanceDass Andreas dieses Jahr zum ersten Mal die volle Verantwortung für den Glühweinstand seiner Familie auf dem größten Christkindlmarkt der Umgebung übernehmen muss, ist noch machbar. Immerhin freut sich der Endzwanziger schon seit Monaten sehr auf di...