„Glühmost? Was ist das denn?", fragte eine jung gebliebene Frau, die einen knallroten Schal um ihren Hals gewickelt hatte, um sich ein wenig vor der Kälte zu schützen.
Heute Vormittag war das Wetter wirklich noch angenehm, aber seit einer Stunde war plötzlich so ein Wind aufgekommen, dass es sich gleich zahlreiche Grade kühler anfühlte, als es eigentlich war. Dennoch war der Christkindlmarkt gut besucht. Die Menschen scharten sich zwar um die Feuertonnen und tranken umso mehr heiße Getränke, aber das spielte mir sowieso in die Karten. In den letzten wenigen Stunden musste ich die Glühwein- und Kinderpunschgetränkekocher bereits nachfüllen, obwohl beide ein Fassungsvermögen von knapp dreißig Litern hatten, weil der Ansturm zwischenzeitlich so groß war. Obwohl es zahlreiche Glühweinstände auf diesem Markt gab, stellten sich viele trotz der Schlange bei mir an. Viele davon waren Bekannte, die genau wussten, wie lecker unser Glühwein war oder Besucher aus den letzten Jahren, die sich unseren Stand gemerkt hatten. Dabei bekam ich viel Lob für die Heißgetränke und musste dazu von mindestens zwanzig Leuten meiner Mutter liebe Grüße ausrichten.
Nach dem Andrang war nun wieder etwas Ruhe eingekehrt. Vor wenigen Minuten war auf dem Hauptplatz des Christkindlmarktes eine Weihnachtsparade losgegangen, weshalb alle ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet hatten.
„Heißer Most", antwortete ich der Dame und fügte gleich noch an „Most ist alkoholhaltiger Fruchtsaft. Dieser hier" Ich klopfte auf den Getränkekocher, der mit literweise Most gefüllt war, „wurde von uns selber aus unseren eigenen Äpfeln und Birnen gepresst. Wollen Sie mal einen Schluck probieren?"
Es überraschte mich immer wieder aufs Neue, dass viele Menschen Most nicht kannten, obwohl es gerade in unserer Gegend noch viele alte Obstbauern gab. Diese verkauften ihre Früchte jedoch zur herkömmlichen Saftherstellung, da sie damit deutlich mehr Gewinn machen konnten. Wobei Gewinn ohnehin schwierig formuliert war. Meistens konnte man mit dem, was man für mehrere Tonnen Obst bekam, kaum die Umkosten decken.
Most machten nur noch die wenigen, die wirklich Spaß daran hatten, wie meine Eltern zum Beispiel.„Gerne", lächelte die Dame und nahm die Tasse entgegen, nachdem ich sie nur mit wenig Glühmost befüllt hatte. Dann zog sie begeistert die Augenbrauen nach oben, kaum dass sie vorsichtig an dem heißen Getränk genippt hatte. „Die Tasse können Sie mir voll machen!", strahlte sie sofort und hielt mir gleich wieder die Tasse entgegen.
„Das macht vier Euro bitte", lächelte ich sie an, während ich ihr die volle Tasse wieder reichte, und freute mich gleich darüber, dass sie es passend hatte. Die meisten zahlten die vier Euro mit einem fünf Euro Schein, weshalb ich schon die ganze Zeit darauf achtete, dass mir nicht die Euros für das Rückgeld ausgingen. Zudem musste ich bedenken, dass es auf die Tassen einen Euro Pfand gab, den ich auch weiterhin rausgeben können musste.
Der Abend war noch nicht angebrochen. Obwohl es im Winter früh dunkel wurde, schienen noch vereinzelte Sonnenstrahlen über den Himmel, was für mich bedeutete, dass der richtige Ansturm wahrscheinlich erst noch kommen würde. Immerhin ging die Vielzahl der Menschen erst abends auf einen Christkindlmarkt, wenn die blinkenden Lichter und das knisternde Feuer in den Feuertonnen so richtig ihren Charme ausbreiten konnten.
Die Musik, die die Parade begleitete, schallte lauter als die normale Weihnachtsmusik über den Platz, damit jeder bemerkte, dass gerade ein Showprogramm lief. Von meiner Hütte aus, die etwas höher stand als die Besucher auf dem Weg, konnte ich bereits von hier die Parade sehen, die sich langsam ihren Weg durch die Menge bahnte. Derweil wurde sie von einem Moderator begleitet, der die einzelnen Schaubilder vorstellte.
Von Santa Claus über das Christkind bis hin zu Väterchen Frost und Hexe Befana waren sämtliche Vertreter der einzelnen Bräuche weltweit dabei. Viele von ihnen waren zu Pferd unterwegs. Santa Claus natürlich in einem Schlitten voller Geschenke, der von vier braunen Pferden gezogen wurde. Dahinter direkt die Heiligen Drei Könige, die mit einem Esel und einem Kamel dahin schritten.
Die einzelnen Schausteller waren aufwendig gekleidet und sahen von der Entfernung schon super aus. Da wunderte es mich nicht, dass die Gäste, vor allem die Kinder, haltlos begeistert waren.Auch ich lehnte mich etwas zurück und beobachtete die Parade, die langsam immer näher zu meinem Stand kam. Deswegen interessierte sich gerade auch niemand mehr für ein Heißgetränk, dafür waren sie alle viel zu beschäftigt, zahlreiche Fotos zu schießen und Videos zu filmen.
So eine Parade hatte immerhin nicht jeder Christkindlmarkt zu bieten. Genauso wenig wie andere Christkindlmärkte einen singenden Santa Claus hatten, der im Anschluss sogar noch eine echte Bescherung machte, bei der die Kinder Tüten voller Schokolade bekamen und die Chance hatten mit dem ‚echten' Weihnachtsmann ein Foto zu machen.
Kein Wunder also, dass dieser Markt so beliebt war.Ich war wirklich froh um meinen Heizstrahler, der unter dem Tisch auf dem die Getränkekocher standen, warme Luft hervor blies. Dadurch waren zumindest meine Füße angenehm warm. Oben rum griff ich nun auch nach meinen Handschuhen und zog den Reißverschluss meiner Jacke höher. Die warme Luft des Heizstrahlers kam leider nicht gegen den pfeifenden kalten Wind an, der auch deutlich an den Kostümen der Schausteller zerrte. Dabei tat mir vor allem das Christkind leid, das nur in einem dünn aussehenden, weißen Kleid mit Dreiviertelärmeln auf dem Pferd saß, dass sich durch die Menschenmengen nur langsam fortbewegen konnte. Ihr golden aussehendes Haar, das ziemlich sicher eine Perücke war, bewegte sich anmutig im Wind und sogar die großen Flügel, die sie an ihrem Rücken trug, sahen durch den Wind fast echt aus.
Der Anblick ihrer nackten Unterarme ließ mich jedoch gleich selber erzittern, sodass ich mir kurzerhand eine Tasse heißen Kinderpunsch rausließ, um mich von dem kalten Anblick zu erholen.Das Lachen der Kinder als die Wichtel von Santa Claus durch die Menge hüpften und an Mützen zogen und an Jacken zupften, ließ auch mich lächeln.
Was wäre Weihnachten ohne dem Lachen von Kindern?Am Ende der Parade zog ein Reiter auf einem schwarzen Pferd rasante Kreise. Dabei stampfte das Pferd mit kräftigen Schritten auf dem Boden und blies hörbar seinen Atem aus den Nüstern. Durch die kalten Temperaturen sah das beinahe aus, als wäre das Tier ein Drache, der gleich drohte Feuer zu speien.
Das Pferd sah wild aus, aber der entspannte Ausdruck des Reiters deutete daraufhin, dass er alles im Griff hatte und dass auch die Zuschauer so nah stehen blieben, zeigte, dass sie dem Reiter vertrauten. Er war in eine Art Rüstung gekleidet, die die blinkende Weihnachtsdekoration widerspiegelte, und lediglich seinen Rumpf bedeckte, während ein dicker Umhang über seine Schultern hing. Auf seinem Kopf trug er einen eisernen Helm mit zwei spitzen Hörnern, die bedrohlich gen Himmel ragten, und in seiner freien Hand, die Zügel hielt er nur mit einer, schwenkte er einen langem Sperr umher.„Odin, der Herr der Götter!", hallte die kräftige Stimme des Moderators durch die Lautsprecher und im selben Moment stellte sich das atemberaubend schöne, schwarze Tier auf seine Hinterbeine und wieherte, als wüsste es, dass gerade von ihm und seinem Reiter die Rede war. Die Menge klatschte daraufhin gleich begeistert und auch ich konnte mich von dem Anblick kaum losreißen.
„Odin ist während der Rauhnächte mit seinem wilden Heer unterwegs. Aber Achtung. Diese Gruppe aus übernatürlichen Wesen gilt es zu meiden", hauchte der Moderator mystisch ins Mikrophon, woraufhin einige Kinder plötzlich doch Angst bekamen und hörbar zu weinen begannen.
Mein Blick lag auch weiterhin fokussiert auf dem schwarzen Tier mit seinem Reiter, bis sie als Schlusslicht der Parade an meiner Hütte vorbeigekommen waren und sich die Menschenmenge hinter ihnen schloss und sofort der Tumult von zuvor wieder losging.
Heute war gerade Mal der erste Tag des Christkindlmarktes und noch dazu kein so gutes Wetter. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es an den folgenden Adventswochenenden aussehen würde. Wahrscheinlich würden sich die Menschenmassen dann hier gegenseitig durchschieben.„Das war sie, unsere Weihnachtsparade! Um 18:30 Uhr können Sie, liebe Gäste, die unterschiedlichen Bräuche noch einmal hautnah erleben. Um 18:30 Uhr findet auf der Tribüne eine Reise um die ganze Welt statt, in der die verschiedenen Weihnachtsbräuche mit schönen Schaubildern detailliert vorgestellt werden. Um 18:30 Uhr auf der Tribüne", machte der Moderator noch Werbung für das nächste Showprogramm, ehe wieder Weihnachtsmusik in angenehmer Lautstärke durch die Lautsprecher abgespielt wurde.
„Ich hätte gerne noch einmal so einen Glühmost." Die Frau mit dem roten Schal von vorhin war gerade wieder an meine Hütte herangetreten.
„Gerne", lächelte ich und befüllte ihre Tasse erneut, ehe sie mir wieder passend vier Euro reichte. Auch diesmal freute ich mich, denn der Herr nach ihr wollte lediglich seine Tasse wieder abgeben und dafür einen Euro Pfand zurückhaben.
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Glühwein - selfmade by Andreas ✓
RomanceDass Andreas dieses Jahr zum ersten Mal die volle Verantwortung für den Glühweinstand seiner Familie auf dem größten Christkindlmarkt der Umgebung übernehmen muss, ist noch machbar. Immerhin freut sich der Endzwanziger schon seit Monaten sehr auf di...