CW: Ansprache von Tod und körperlichem Übergriff
Überrascht und entsetzt wandte ich mich wieder Liams Gesicht zu und ich sah, wie ein innerer Damm in ihm brach und er es mir erzählte.
„Es war ein heißer Sommerabend und meine Familie und ich wohnten in Baihle. Es war noch nicht lange her, dass wir aus Everyn geflohen waren und wir hatten uns bei einer guten Freundin im Dachgeschoss verborgen. Eigentlich hatten mir es meine Eltern verboten, aber ich bin manchmal trotzdem raus in den Wald gegangen, wenn gerade Wachablösung war und nicht so viele Soldaten an den Mauern standen. Eines Morgens – meine Eltern schliefen noch – habe ich meine kleinen Schwestern mitgenommen. Ich wollte ihnen den Wald zeigen und ihnen damit eine Freude machen. Wir sind hier zum See gegangen und haben uns genau an dieser Stelle hier niedergelassen.", er deutete mit einer Hand an die Stelle, wo ich noch kurz zuvor gestanden hatte um die Wellen des Wassers zu bewundern, jetzt schaute ich mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf das Ufer und wartete ab, was nun kommen würde. Der Durst war mir egal, auch wenn mein Hals staubtrocken war und mein Körper nach dem frischen kühlen Wasser verlangte.
„Meine älteste Schwester war gerade fünf, die Jüngste noch keine drei und ich elf. Ich wollte ihr das Schwimmen beibringen und nahm sie mit ins Wasser, während die anderen beiden lachend am Ufer spielten. Ich weiß noch genau, wie ich sie festgehalten habe und ihr gezeigt habe, wie man die Arme und Beine bewegen muss, um sich über Wasser zu halten. Ich weiß nicht, ob sie es an dem Abend schon geschafft hätte, wenn nicht -", Liam stockte, seine Stimme klang erstickt und ich konnte das Glitzern von Tränen in seinen Augen sehen. Er versuchte es noch einmal „Wenn nicht -", doch nun brach seine Stimme vollends weg und er kniff die Augen zusammen. Ich konnte die Träne sehen, die seine Wange hinunter lief. Eine einzige kleine Träne, die dennoch so viel Schmerz und Leid in sich trug.
Auf eine seltsame Art war ich innerlich hin und her gerissen. Einerseits hätte ich am liebsten mit ihm geweint und seinen Schmerz geteilt. Aber andererseits ängstigte mich seine Schwäche. Wie konnte ein so starker Mann wie er, ein Dea der zehn Jahre Verfolgung, Armut und Gewalt überlebt hatte immer noch an solchen Schmerzen zerbrechen.
Seine Hand zitterte in meiner und durch irgendeinen uralten Instinkt bewegte sich meine freie Hand wie von alleine zu seinem Gesicht. Ganz sanft berührte ich seine weiche tränennasse Haut. Meine Fingerspitzen fingen an zu kribbeln. Vorsichtig strich ich mit dem Daumen über seine Wange und wischte die Tränen weg, die ihm immer noch aus den geschlossenen Augen liefen.
Er zuckte bei meiner Berührung überrascht zurück, doch entzog sich mir nicht. Es war das erste Mal, dass er meine Nähe wirklich zuließ und mich nicht aus seinen Gefühlen und seinem Schmerz ausschloss. Ich war so erleichtert über seine Offenheit. Meine Hand an seiner Wange und seine Hand in der meinen standen wir da und hörten dem Plätschern des Wassers und dem entfernten Geschrei der Zwillinge zu.
Vor meinem inneren Auge konnte ich sehen, wie die Soldaten ihn gefunden hatten. Ich sah, wie die Schwerter durch die kleinen Körper seiner Geschwister glitten, wie das fröhliche Lachen verstummte und sich in ein schmerzvolles Kreischen verwandelte. Ich sah, wie das Wasser sich rot färbte, und über ihn hinweg spülte. Ich sah, wie er – ein kleiner Junge – floh. Mit nichts weiter al dieser grauenhaften Erinnerung in seinen Gedanken. Deren hatte mir gesagt, seine Familie sei verraten worden. Vielleicht meinte er sich selbst damit. Vielleicht hatte er das Gefühl, sie verraten zu haben, weil er nicht vorsichtig genug gewesen war.
Ein Rascheln und Knacken der Äste am Waldrand lies mich aufschrecken. Liam lies meine Hand los und öffnete die Augen. Ich konnte förmlich sehen, wie er begann sich wieder hinter der Mauer aus Härte und Zurückweisung zu verschanzen. Seine Muskeln verhärteten sich und er zog sein Schwert, wer auch immer dort kommen würde, Liam würde ihn töten können. Nicht so wie damals, als er hatte zusehen müssen. Als er nichts hatte tun können.
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Eloen: Erbin von Eldora (Teil I)
FantasyIch blickte in die roten Augen des Dämons und ging vor ihm auf die Knie. "Ich schenke Euch einen Gefallen. Einen Wunsch. Was immer es ist, das Ihr von mir wollt, Ihr sollt es bekommen." Eloen Niam Glynwarin ist die letzte Überlebende des Herrscherg...