Der Dämon

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Ferris und Deren flogen wie vom Blitz getroffen die Straße in unsere Richtung hinunter. Doch das war nicht der Grund, weshalb ich wie versteinert neben Liam kniete. Es war das Wesen, das sie verfolgte.

Die Straße hinter ihnen schien in einem dunklen Schatten zu liegen, als würde das Sonnenlicht dort nicht hinkommen. Der Schatten bewegte sich kriechend, wie Nebel immer weiter und verschlang alles, was ihm dabei in die Quere kam.

Ich fühlte mich zehn Jahre in die Vergangenheit zurück versetzt, an den Tag, an dem einer dieser Schatten durch die Schlafzimmertür meiner Eltern gekrochen war und sie getötet hatte. Der gleiche alles verschlingende schwarze Rauch, die selbe Kälte und Angst, die in der Luft lag.

Meine Hände begannen unkontrolliert zu zittern, schlimmer als je zuvor, weil ich wusste, was auf mich zukommen würde. Und weil ich wusste, dass es kein Entkommen gab.

„Eloen!", brüllte mich eine vertraute Stimme ganz nah neben mir an. Eine Hand schüttelte mich. Riss förmlich an mir, um mich aus meinem Schock zu ziehen. Aber ich konnte nicht reagieren. Mein Mund war zu einem stummen Angstschrei verzerrt, die Nägel meiner Finger hatten sich verkrampft in Liams Arm gekrallt. Bewegungslos.

Erst als eine Hand mein Gesicht packte und von dem Schatten abwandte wurde ich aus meiner Trance gerissen. Liams Augen blickten in meine lilanen. So tief und unergründlich und gleichzeitig so vertraut, wie immer.

Wie aus weiter Ferne kehrten alle Geräusche wieder zurück. Die Bewegungen um mich herum wurden auf einmal wieder schneller. Gefühl kehrte zurück in meinen tauben Körper. Liams Stimme fesselte mich und gab mir gleichzeitig Halt.

„Eloen! Hör mir zu!", er hielt mein Gesicht immer noch zwischen seinen Händen und gab mir den Halt, den ich so dringend brauchte. „Hör mir zu, Prinzessin!"

Dieses Wort riss mich endgültig aus meiner Starre. Prinzessin. Ich war die Prinzessin, nach der mein Bruder suchte. Ich war die Prinzessin, die der einzige Hoffnungsschimmer für ein ganzes Volk war. Ich war die verfluchte Prinzessin mit den lilanen Augen. Ich konnte nicht aufgeben. Ich konnte nicht aufgeben. Ich konnte nicht aufgeben. Wie ein Mantra wiederholte ich diese Worte in meinem Kopf. Ich wusste, was ich zu tun hatte um uns alle hier lebend heraus zu bekommen.

„Lass mich das machen!", entschloss ich mich mit klopfendem Herzen. Ich wand mich gegen meinen Willen aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück, um ihm zu signalisieren, dass er mir nicht folgen sollte. Dann drehte ich mich um und rannte so schnell ich konnte zu dem Torbogen. Pfeile zischten an mir vorbei, doch das schreckte mich jetzt nicht mehr ab. Ich konnte nicht sterben. Noch nicht.

Ferris und Deren hatten das Tor schon fast erreicht, ebenso wie der Schatten, der hinter ihnen die Straße herunter kroch. Kalter Angstschweiß ran meinen Rücken hinunter.

Die Wachen hörten auf zu schießen, als sie sahen, dass der Schattendämon kam. Die Männer, die unten auf der Straße standen stoben in alle Richtungen auseinander. Sie flüchteten sich in die engen Gassen und Nebenstraßen, die von dem Dämon wegführten.

Ein plötzlich aufkommender Wind pfiff mir entgegen und riss mir die Kapuze vom Kopf. Mein langes Haar wehte mir ums Gesicht. Die Kraft mit der der Schatten die Straße entlangkam fegte alle verwelkten Blätter aus den Hausecken, jedes Körnchen Staub wurde aus seinem Winkel gepustet und flog um mich in die Höhe. Ich musste blinzeln. Die Staubkörnchen brannten in meinen Augen und ließen sie tränen.

Als ich die Augen endlich wieder ganz aufschlagen konnte lag die Straßen wie leergefegt vor mir da. Die Zinnen und Dächer der Stadt erhoben sich ehrwürdig und kunterbunt wie immer in die Höhe, aber das Leben war wie verschwunden. Das einzige, was zu sehen war, war der Schattendämon.

Eloen: Erbin von Eldora (Teil I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt