19. Kapitel Weg

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Weg war sie.
Wollte sie ihn unter Druck setzen? Oder wollte sie sich wirklich nur selbst schützen?
Aber eigentlich hatte sie auf ihn nicht besonders berechnend gewirkt.
Es gab viel an ihr, das er wirklich gut fand. Und sie war niedlich und trotzdem sexy.  Außerdem hatte sie ihren eigenen Kopf, das mochte er. Keine, die sprang, wenn er mit dem Finger schnippte.
Was aber eigentlich am aussagekräftigsten war, war die Tatsache, dass er sie nicht mehr aus dem Kopf bekam, seit sie sich begegnet waren.
Wenn er ihr gegenüber saß, neigte seine Phantasie dazu, mit ihm durchzugehen.
Und wenn er sie berührte, wollte er gar nicht mehr damit aufhören.
Wo lag also sein scheiß Problem?!
Es klopfte an der Tür.
„Moin", wurde er von Angelo begrüßt.
„Hi", erwiderte er gedankenverloren und ließ ihn eintreten.
„Wo ist Lea?" Fragend sah Angelo sich um.
„Sie ist zu Sarah und dann fährt sie nach Hause."
Paddy sammelte die einzelnen Klamotten ein und stopfte sie in seine Reisetasche.
„Ist alles okay bei euch?"
Paddy zuckte die Achseln.
„Seid ihr jetzt eigentlich zusammen?"
„Nein", antwortete sein Bruder und schloss seinen Koffer.
„Aber ich dachte..." Angelo runzelte die Stirn.
„Was?" „Dass du voll verknallt bist."
Paddy schwieg.
„Du wolltest nur mit ihr ins Bett?"
„Wir haben nicht..."
Angelo zog eine Augenbraue hoch. „Wie kommt das?" „Abgesehen davon, dass wir uns noch nicht lange kennen?" „Ja, abgesehen davon."
Paddy schmunzelte in sich hinein. „Ach, Wir haben so herumgeflachst. Und dann...  egal. Es hat sich eben so ergeben."
„Wurdest du gefriendzoned?" Angelo fiel es schwer, ernst zu bleiben.
„Nein", antwortete Paddy unverzüglich. „Genau das Gegenteil." „Sie hat sich verliebt? So schnell?" „Ja." Er nickte bedächtig.
„Vielleicht bin ich nicht immer der schnellste, aber wo ist denn jetzt eigentlich das Problem?"
Tja, das konnte er ihm ja eben auch nicht sagen. Lag es an den schlechten Erfahrungen mit Michelle?
„Ich möchte es auf mich zukommen lassen und sie hat gesagt, sie möchte, dass ich mich entscheide. Sie möchte erstmal Abstand. Sie hat Angst davor, dass ich nicht genauso empfinde wie sie."
Angelo schnaubte. „Zu recht anscheinend."
„Der Gedanke, sie vielleicht nicht wiederzusehen, fühlt sich beschissen an."
„Aha. Hört, hört!" „Ey, geh mir nicht auf den Sack! Der Gedanke, wieder an jemanden gebunden zu sein, Rechenschaft ablegen zu müssen, stresst mich aber auch. Du weißt, wie das Business läuft. Immer auf Achse, wenn auch weniger als früher. Und dann? Immer im Kopf mit einem Bein woanders sein? Und dann die Vorwürfe, weil ich so selten da sein kann."
„Du weißt doch gar nicht, ob sie dir Vorwürfe machen würde. Vielleicht sitzt sie nicht nur zu Hause und dreht Däumchen, bis du auftauchst?"
„Das wird sie sicher nicht. Sie hat die Ausbildung, ihren Nebenjob, die Tafeln, die Wikinger..."
„Die Wikinger?!", prustete Angelo los.
Paddy zückte sein Handy und zeigte ihm ein Selfie von ihnen auf dem Herbstmarkt.
„Wie geil ist das denn?"
„Ja, das war schon cool. Außerdem wirkte die Gugel wie eine Tarnkappe." Er lachte leise in sich hinein.
„Und du siehst doch irgendwie verknallt aus..."

Nachdenklich strich Lea sich über die Lippen, nachdem sie im Zug Platz genommen hatte.
Auch wenn sie nicht mehr sauer war, hatte sie bei Sarah nur kurz ihre Sachen geholt. Während sie auf den Zug gewartet hatte, hatte sie Alex telefonisch kurz auf den neuesten Stand gebracht.
„Schieß den Typen in den Wind!", hatte sie gesagt. „Das ist alles viel zu kompliziert."
Aber ihr Herz hoffte darauf, dass er die richtige Entscheidung treffen würde.
Am Sonnabend hatten sie das Konzert in der Ostseehalle. Es gab noch Restkarten, aber wollte sie ihn sehen, wenn sie nicht wusste, wie das alles ausgehen würde? Ja, vermutlich. Sie wusste nicht, wann sie ihn wiedersehen würde und ob überhaupt.
Vielleicht hatte sie übertrieben reagiert, als sie ihm das Ultimatum gestellt hatte. Mag sein. Sie hatte zwar abgestritten, dass es eins war, aber im Endeffekt war es das nun mal gewesen. 
In Kiel angekommen war sie mit dem Nachtbus binnen 10 Minuten zu Hause. Freudig wurde sie von den Katzen begrüßt. „Hey Monster. Jetzt gibt es Futter und dann ist Bettzeit. Ja, ich weiß, es ist mitten am Tag, aber ich brauch eine Mütze Schlaf." Wenig überraschend schlossen die drei Katzen sich an, doch bevor Lea das Handy zur Seite legte, prüfte sie noch einmal, ob der Ton auch an war. Sie wollte keinesfalls eine Nachricht oder einen Anruf von Paddy verpassen!
Und tatsächlich weckte sie ein schrilles Klingeln, doch das kam von der Haustür.
„Moin Schneckchen! Schläfst du etwa?", begrüßte Alex sie quicklebendig, als Lea ihr die öffnete und sie hereinbat.
„Pfff, Gegenfrage: warum schläfst du nicht?" „Neugier. Hast du Kaffee?" „Scherzkeks. Du hast mich gerade geweckt! Aber nimm dir doch einen Senseokaffee." „Naja, besser als nichts."
„Also wie war's in Hamburg? Ich dachte eigentlich, du bleibst bis Sonntag. Ich hab mich gewundert, als deine Nachricht kam."
„So war es auch eigentlich geplant gewesen. Aber..."
Forschend sah Alex sie an, bemerkte, wie Lea ihrem Blick auswich.  „Ach, vielleicht hab ich Mist gebaut." „Was hast du getan?" Alex drückte auf die Starttaste der Kaffeemaschine, während Lea sich ihr gegenüber mit verschränkten Armen an die himmelblau gestrichene Wand lehnte.
„Du weißt, Geduld ist nicht meine größte Stärke." „Ja, absolut nicht." Sie kicherte leise, nahm die Tasse und sah Lea aufmerksam an.
„Ich hab ihm ein Ultimatum gestellt." „Bist du irre?" „Anscheinend schon. Es war eigentlich nicht so gemeint. Aber ich sagte, er solle sich einfach überlegen, ob er mich will oder nicht." „Und was hat er dazu gemeint?" „Er hatte vorher schon betont, dass er es gerne auf sich zukommen lassen wolle. Vorhin habe ich gesagt, er muss nicht sofort antworten."
„Glaubst du, er wird sich melden?" „Ich denke schon. Ich hoffe es zumindest." „Habt ihr beide miteinander...?" „Nein."
Lea stand wieder auf und machte sich auch einen Kaffee.
„Hast du ihm eine Frist gesetzt?" „Nein." Dann verließ sie zügig die Küche und kehrte mit ihrem Handy zurück.
„Hat er sich gemeldet?" „Nein, leider nicht. Ich glaube, ich habe tatsächlich einen Fehler gemacht. Ich hab das wirklich nicht böse gemeint!" „Dann sag es ihm!"
Aber Lea schüttelte den Kopf. „Ich denke, das weiß er. Er soll die Zeit haben, die er braucht, um es sich zu überlegen. Er sagte, er meldet sich."
„Dann wird er das bestimmt auch. Als er bei mir auftauchte, da wirkte er doch auch ernsthaft an dir interessiert."
„Wir werden sehen."

FördewindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt