5.1 Fortsetzung „Challenge"

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Als Angelo in der Kirche auftauchte, hörte er seinen Bruder leise singen. Er runzelte skeptisch die Stirn und folgte der Melodie.
„Sag mal, was singst du denn da?"
Paddy war gerade dabei seine Gitarre an den Verstärker anzuschließen und drehte sich nun erschrocken um.
„Och, nur so'n alten Song", nuschelte er in einen imaginären Bart hinein.
„Das ist „An Angel"!" „Oups...ist mir gar nicht so aufgefallen." „Du hast das Lied seit bestimmt zwei Jahren nicht mehr freiwillig über die Lippen gebracht! Wie kommst du jetzt darauf?"
Paddy hatte sein Instrument auf den Schoß gelegt und ließ verträumt seine Finger über die Saiten gleiten.
„Lea hat erwähnt, sie mochte das Lied immer besonders gern. Noch bevor wir es auf CD hatten. Sie hat es damals das erste Mal auf einem Konzert gehört", seufzte er.
„Ach, daher weht der Wind. Das hätte ich mir auch gleich denken können."
Paddy grinste verschmitzt. „Ja, vielleicht. Ich hatte mir übrigens überlegt, wir könnten es mal wieder auf der Bühne spielen. Was sagst du dazu?" „Was soll ich dazu sagen? Das muss doch Patricia entscheiden. Die müsste doch meinen Part übernehmen." „Aber Lea findet, dass unsere Stimmen so gut zueinander passen würden." „Dann müsstest du es umschreiben, so dass ich mit meiner Stimme da noch mithalten kann." „Das kriege ich hin", antwortete Paddy zuversichtlich.

Lea folgte nicht Paddy sondern dem eigentlichen Straßenverlauf um die Kurve und stand kurz darauf vor Alex Tür. Nach dem dritten Klingeln wurde ihr schließlich geöffnet. „Guten Morgen!", flötete sie fröhlich und erntete einen gehetzten Blick. „Schneller kam ich nicht aus der Wanne. Du hast ja genug gute Laune für ein ganzes Schwesternzimmer. Komm rein, das muss ja ein toller Abend gewesen sein!" Doch zunächst erzählte Alex von ihrem Nachmittag und ihrem Abend und ihrem Morgen...
Lea versuchte, aufmerksam zuzuhören, aber immer wieder landeten ihre Gedanken bei Paddy und wie er sie so überrumpelt hatte. Alex beobachtete sie von der Seite. „Was ist denn los mit dir? Hörst du mir eigentlich zu? Du lachst die ganze Zeit still in dich hinein, als würdest du nen Film schieben." „Ich schieb keinen Film! Filme guckt man..." „Sondern?" „Hach...nichts", lachte sie leise.
„Oh je, du siehst aus, als hätte es dich erwischt. Dann erzähl endlich von dem Typ von gestern." 
Lea hatte zwar versprochen, sich noch bei ihr zu melden, aber da es am Abend so spät geworden war, hatte sie beschlossen, es auf den Morgen zu verschieben.
„Der muss ja wirklich umwerfend sein, wenn ich mir dein Gesicht gerade so ansehe." „Ja...", strahlte sie.
„Hat er dich geküsst?" 
Lea antwortete nicht und grinste nur vielsagend.
„Das wundert mich nicht, falls du diesen Rock getragen hast. Du siehst heiß aus. Das hab ich ja noch nie an dir gesehen!Und? Wie war der Kuss?" „Toll." „Toll? Ein Ausflug an den Strand ist toll, aber ein Kuss?!" „Er war genial. Besser?" „Unwesentlich." „Okay, sagen wir, er war wortwörtlich ziemlich unbeschreiblich." „Das klingt schon aussagekräftiger. Und seht ihr euch wieder?"
Das Lächeln wich ein wenig aus Leas Gesicht und sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung." „Wie? Du weißt es nicht? Hast du seine Nummer?" „Ja." „Aber?" „Ich kann da doch nicht einfach anrufen!?"
Alex guckte sie mit hochgezogenen Augenbrauen schief an. „Warum nicht? Meinst du etwa, er hat dir die Nummer gegeben, damit du sie dir an die Wand hängst?" „Nein, aber..." „Nichts aber! Ruf ihn an, verdammt." „Ja, aber..."
„Jetzt ruf schon an!" „Ich habe seine Nummer gar nicht dabei." „Lüg nicht!", kicherte ihre Freundin und knuffte ihr in die Seite. Ertappt zog Lea den kleinen Zettel aus ihrem Portemonnaie und faltete ihn auseinander. Neugierig warf Alex einen Blick darauf. „Das ist ja süß." „Ja", seufzte Lea erneut und holte ihr Telefon aus der Tasche, um die Nummer zu speichern.
Nachdenklich betrachtete sie seine Notiz, während sie auf dem Balkon stehend an ihrer Zigarette zog. Doch schon nach zwei Zügen drückte sie sie im Aschenbecher aus. „Ich glaub, ich lass den Mist. Schmeckt auch nicht."
Alex zog an ihrer Kippe und sah sie misstrauisch an. „Hat er dir das eingetrichtert?" „Nein, warum sollte er? Aber ich habe gestern den ganzen Abend nicht geraucht, dann kann ich mir das auch weiterhin verkneifen. Ich kann es zumindest versuchen."
Alex zuckte mit den Achseln und verkniff sich jeden weiteren Kommentar.
Als sie wieder hineingingen, zog Lea nicht hier Handy aus der Tasche sondern lieber die Schuhe wieder an.
„Willst du schon wieder los?" Sei nicht böse, aber ich würde gern mal schauen, ob er zufällig schon in der Kirche ist. Du weißt doch, ich hatte erzählt, dass sie heute dort das Konzert haben." „Ich drück die Daumen!" „Danke! Wir hören!"
Eilig machte sie sich auf zum Gotteshaus, Ungeduld ließ ihre Füße schneller werden. In ihrer Tasche spielten die Fingern aufgeregt mit dem kleinen Stückchen Papier, während sie mit der anderen Hand die Türklinke hinunterdrückte. Absperrungen für den Einlass waren bereits aufgebaut worden, waren aber noch nicht geschlossen. Halb hatte sie damit gerechnet, dass das Portal abgesperrt sein würde, doch die Tür ließ sich öffnen.
Das Wetter war noch warm und es sollte laut Bericht erst am späten Nachmittag zu regnen anfangen, so genossen die meisten Touristen die Sonne außerhalb und die Kirche war leer. So erschien es Lea zumindest im ersten Moment, doch dann hörte sie bekannte Stimmen leise diskutieren.
Vorsichtig stieg sie diesmal über die Kabel am Boden hinweg, die nun mit einem leuchtenden Klebeband gekennzeichnet waren.
Gut gemacht, Angelo, lobte sie ihn wortlos und grinste.
Die Stimmen wurden lauter, als sie sich ihnen näherte. Sie schienen aus einem kleinen Raum an der Seite des Hauptganges zu kommen.
Sie schlich förmlich auf dem Weg dorthin, stets bemüht, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
„Paddy, das klingt, gar nicht so schlecht. Es passt jetzt zu meiner Tonlage und trotzdem hat das Lied nicht viel von seinem altem Charme verloren." „Schön. Ich hoffe, Lea wird es auch noch gefallen", hörte sie Paddys Stimme, direkt gefolgt von einem genervten Stöhnen seines jüngeren Bruders. „Lea hier, Lea dort. Meinst du nicht es reicht?"
Selbige hatte gerade die Hand gehoben, um die Tür aufzuziehen, als sie innehielt und lauschte.
„Was soll denn das jetzt?! Geht's noch?", fragte Paddy entsetzt über dessen Reaktion.
Angelo schnaufte leise. „Das frage ich dich! Denkst du nicht, das ist alles noch ein bisschen zu früh? Immerhin habt ihr euch gerade erst getrennt." „Das ist jetzt schon eine ganze Weile her", verteidigte Paddy sich.
„Ist es nicht! Das waren vielleicht sechs Wochen, wenn überhaupt, die seit eurem Streit vergangen sind. Und du warst seitdem am Boden zerstört!"
Lea erkannte deutlich die Wut, die in seiner Stimme mit schwang.
„Findest du es fair, dir eine Neue zu suchen, nur um die Alte zu vergessen? Und was ist mit Michelle? Hast du mal in Erwägung gezogen, dass sie zurückkommt? Was machst du dann mit deiner Lea?"
Leas Herz klopfte bis zum Hals. Liebend gerne hätte sie gehört, was er antworten würde, doch sie spürte, wie ein lauter  Schluchzer aus ihr hervorzubrechen drohte. Ohne jetzt noch auf das Hallen ihrer Schritte zu achten rannte sie den Gang hinunter und stürzte aus der Tür.
Die Sonne schien sie zu verhöhnen, als sie das grelle Licht blendete und sie lief weiter, um aus dem betriebsamen Treiben der Fußgängerzone herauszukommen.

FördewindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt