5 - Ein römisches Grab

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Vic verliess das Gebäude mit einem weiteren Stapel Kisten, auf dem sie mehrere Ordner mit Dokumenten balancierte. Ich studierte immer noch die Zeitung. „Hast du die in einer Kiste gefunden? Ich dachte, ich hätte nur saubere und leere ausgewählt."

„Ja, sie lag in einer der Boxen und scheint ziemlich alt zu sein." Ich versuchte, das Papier zu glätten, damit ich das Datum in der oberen rechten Ecke entziffern konnte. „Zehnter Oktober 1989. Das sind fast auf den Tag genau dreiunddreißig Jahre."

Sie lachte und verstaute ihre Ladung hinten im Auto. „Aus archäologischer Sicht würde ich sagen, sie qualifiziert gerade noch als moderner Müll. Die muss von einer alten Grabung stammen. Im letzten Jahrhundert haben sie oft Zeitungspapier zum Verpacken und Polstern der Funde verwendet. Wirf sie in den Kofferraum, ich entsorge sie später."

„Kann ich sie behalten?" Nichts lag mir ferner, als diese Zeitung zu entsorgen. Sie stand irgendwie mit dem Raben in Zusammenhang, und obwohl mir schleierhaft war, warum der Vogel mir folgte, war ich fest entschlossen, es herauszufinden. Diese alte Zeitung mochte einen wichtigen Hinweis enthalten.

Vic zuckte die Schultern und stieg in den Wagen. „Klar, wenn es dir Freude macht. Schau bloß nach, dass nicht zufällig noch eine Scherbe oder sonst ein Artefakt zwischen den Seiten liegt."

Ich schüttelte das Papierbündel aus. Es enthielt keine losen Objekte. Deshalb faltete ich es vorsichtig, um die Seiten nicht zu zerreißen, und setzte mich auf den Beifahrersitz. Matt lehnte sich vom Rücksitz vor während ich die Zeitung in meinem Rucksack verstaute. „Glaubst du, das Ding ist wichtig?"

„Keine Ahnung, aber wenn es einen Grund gibt, warum es mir vor die Füße fiel, werde ich herausfinden welchen. Darauf kannst du dich verlassen."

Vic nahm die Umfahrungsstraße auf die andere Seite des mittelalterlichen Städtchens und bog in eine Wohnzone mit neu erstellten Mehrfamilienhäusern ab. Die Baustelle war an dem großen Kran und einem gelben Bagger von weither zu erkennen. Wir fuhren an der offenen Baugrube vorbei bis Vic einen freien Parkplatz am Straßenrand fand. Sie quetschte ihre Rostlaube gekonnt zwischen zwei Kleinlaster. „Hier sind wir."

Wir stiegen aus und folgten ihr zum Kofferraum, wo sie innehielt. „Hört zu, wegen dem, was ich gestern erzählt habe. Es könnte auch einfach sein, dass ich überreagiert habe. Ich meine, es gibt wohl kaum einen vernünftigen Grund, warum sich ein Geist auf einer archäologischen Fundstelle rumtreiben sollte, nicht?"

Matt und ich tauschten einen Blick. Uns war beiden klar, dass nicht jede und jeder übernatürliche Erscheinungen wahrnehmen konnten. Und selbst manche, die sie zu sehen oder spüren vermochten, anerkannten ihre Existenz nicht. Vic mochte zu diesem Typ Mensch gehören.

Ich setzte ein Lächeln auf und gab meiner Stimme einen fröhlichen Klang. „Abgesehen von einem Gespenst hast du uns eine Tour auf deiner Grabung versprochen. Ich hoffe sehr, dass du noch bereit bist, uns rumzuführen."

„Ja, natürlich. Das ist ja das mindeste, was ich tun kann, nachdem ich euch mit meinen Gespenstergeschichten auf den Nerv gefallen bin." Sie öffnete den Kofferraum, ihre momentane Unsicherheit wie weggeblasen. „Ihr habt Glück, heute wollen wir die Glasurne aus unserem schönsten Grab entnehmen."

„Klingt vielversprechend." Matt schulterte seine Tasche und ich nahm meine Kisten wieder auf.

Vic warf einen Blick auf unser Schuhwerk. „Ah, die neuen Wanderschuhe. Perfekt. Nun müssen wir im Büro nur noch Helme und Westen holen, damit wir die Baustelle queren dürfen."

Wir halfen ihr, das Verpackungsmaterial und die Kisten zu dem Baucontainer zu tragen, in dem ihr provisorisches Büro eingerichtet war. Dort packte sie einen Teil des Polstermaterials in eine Kiste um und klemmte sie sich unter den Arm. Ausgerüstet mit orangen Helmen und Warnwesten folgten wir ihr zur entlegenen Ecke der Baugrube. Der Regen der letzten Tage hatte den Boden aufgeweicht und ich war froh, dass wir auf einem Steg aus langen Brettern den Matsch sicher queren konnten. Wir umgingen den Bereich, wo die großen Baumaschinen arbeiteten. Rechts von uns lud ein mächtiger Bagger Kies in einen wartenden Lastwagen. Vic beachtete die Maschinen nicht und ging geradewegs auf ein Zelt aus runden Bögen zu. Die Konstruktionsweise erinnerte mich an eines der Tunnelzelte, die im Gemüseanbau verwendet werden.

Der Fluch des Raben | Wattys 2023 ShortlistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt